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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Die Paroledame von Rostock. Der strenge Ernst des militärischen Dienstes muß es sich ab und zu gefallen lassen, daß gleich dem Grasbüschel an der starren Festungsmauer das Blümlein Humor an ihm emporwuchert und ihm ein gut Theil seiner finsteren Schroffheit benimmt – ohne daß dadurch das feste Gefüge der Mauer, „Disziplin“ genannt, sich lockern würde. Einen anmuthigen Beleg zu diesem Satze hat unser Bildchen festgehalten: es stellt uns die „Paroledame von Rostock“ dar, deren Tod kürzlich von den Zeitungen gemeldet wurde.

Es war ein merkwürdiges, einzigartiges Verhältniß, welches zwischen dieser Dame, dem Fräulein Adelheid Mahn, und den in Rostock liegenden Bataillonen des mecklenburgischen Füsilierregiments Nr. 90 bestand. Kein Tag verstrich, an welchem nicht Fräulein Mahn bei der mittäglichen Paroleausgabe erschien und sich dort die für den Dienst des nächsten Tages ausgegebenen Befehle von den Feldwebeln mittheilen ließ, um dann am folgenden Morgen beim Antreten dieser oder jener Compagnie zugegen zu sein. Nicht Regen noch Sturm noch Schnee vermochten sie von diesem Gange abzubringen, und wenn irgend ein bedeutenderes militärisches Schauspiel stattfand, eine Parade oder eine Besichtigung, wenn die Truppen zum Manöver abrückten oder von demselben nach Hause zurückkehrten, — niemals fehlte Fräulein Mahn unter den Zuschauern.

Ja, als zu Anfang dieses Jahres die Garnison von Rostock die Quartierhäuser in der Stadt aufgab und die neue Kaserne bezog, da wechselte auch die „Soldatenmutter“ ihre Wohnung, um den geliebten Füsilieren nahe bleiben und an ihrem täglichen Leben und Treiben fortdauernden Antheil nehmen zu können. Die Rekruten wie die alten Mannschaften, der jüngste Lieutenant wie der gestrenge Regimentskommandeur, alle kannten die anhängliche, in ihrer Bescheidenheit niemand lästig fallende Dame und erwiesen ihr gerne jede Aufmerksamkeit; und als sie starb, da schmückte das Regiment ihren Sarg mit Kranzspenden, die Offiziere und Unteroffiziere gaben ihr das letzte Geleite nach dem Friedhof und die Militärkapelle spielte einen Choral über dem offenen Grabe der getreuen „Paroledame“.

Wie die merkwürdigen Beziehungen zwischen der Verstorbenen und ihrem Regimente allmählich entstanden, darüber fehlt uns sichere Kunde. Die geschäftige Legende aber füllt die Lücke aus und erzählt, daß einst, als die vierundsiebzigjährige Greisin noch ein hübsches junges Mädchen war, sie eine tiefe Neigung zu einem schmucken mecklenburger Krieger faßte, daß aber leider, wie so oft im Leben, „aus der Geschichte nichts wurde“. So sei es gekommen, daß sie die Liebe, welche bei dem Einen ihre Erfüllung nicht finden sollte, auf den ganzen Stand übertrug — und ihm hat sie auch die Treue gewahrt bis zum Tode.

Adelheid Mahn, die Paroledame von Rostock.
Nach einer Augenblicksaufnahme von R. Peters in Rostock.


Frauen- und Männersprache. Zu unserem Artikel in Nr. 1 erhalten wir durch die Güte eines Lesers eine interessante Ergänzung. Die Zweitheilung der Sprache nach dem Geschlechte des Redenden bestand nicht bloß bei dem Stamme der Kariben in der westindischen See, sondern eine entsprechende Einrichtung besteht heute noch in Japan. Ja, es giebt dort sogar eine Dreitheilung, insofern gewisse Wörter und Ausdrücke für gewöhnlich nur von Männern, andere nur von Frauen, wieder andere nur von Kindern gebraucht werden. Die Männersprache gilt für derber, die Frauensprache für feiner und höflicher. Will der Mann also höflich reden, dann bedient er sich der Frauensprache, während die Kindersprache im Munde des Erwachsenen den Eindruck der Schwächlichkeit hervorrufen würde. Ueberhaupt muß der Japaner, welcher für feingebildet gelten will, in der Wahl seiner Worte sehr vorsichtig sein und sich sorgfältig nach dem gesellschaftlichen Rang dessen richten, mit dem er spricht.


Nesselgift. Analogien, Aehnlichkeiten zwischen dem Thier- und Pflanzenreiche giebt es vielfach, und eine solche besteht auch zwischen den Brennhaaren der Nesseln und den Giftzähnen der Schlangen. Beide sind spitzige Röhrengebilde, die auf einer Giftdrüse sitzen. Der Vergleich geht aber noch tiefer. Nicht nur das Werkzeug, welches das Gift anbringt, auch das Gift selbst ist in beiden Fällen ähnlich. Wohl besteht das Nesselgift zum größten Theil aus Ameisensäure, die ätzend auf die Haut wirkt, aber diese ätzende Substanz scheint nur dazu berufen zu sein, den Hautpanzer zu durchbrechen, um einem anderen weit schlimmeren Gifte Eintritt in die unteren Hautschichten zu erzwingen. Nach gründlichem Verbrennen mit Nesseln entstehen nämlich Röthungen, Anschwellungen und heftige Schmerzen, wie sie durch reine Ameisensäure nicht hervorgerufen werden, und dies zeigt uns schon, daß die Nesseln noch ein besonderes Gift hervorbringen, das in kleinsten Mengen wie das Schlangengift wirken kann. Unsere Brennnesseln sind noch unschuldiger Natur; sie strafen unsern Angriff nur durch ein unangenehmes Jucken und Brennen; aber in den Tropen wachsen gefährlichere Arten. In Indien ist z. B. die feingekerbte Nessel (Urtica crenulata) heimisch, deren Berührung wenig Röthe und keine Geschwulst, aber dafür einen furchtbaren Schmerz erzeugt, der sich bald über das ganze Bein oder den ganzen Arm, je nach der Berührungsstelle, erstreckt und selbst eine Art Starrkrampf erzeugt. Diese schmerzlichen Empfindungen lassen nur langsam während einer ganzen Woche nach. Aus Java und aus Timor sind Arten wie die Urtica stimulans und Urtica urentissima bekannt, deren Gift ähnlich dem Schlangengifte selbst nach Jahren schmerzliche Rückfälle hervorruft. Daß Wasser kein Mittel zur Linderung der Nesselverbrennung ist, sondern die Schmerzen nur noch erhöht, dürfte allgemein bekannt sein. *     




Inhalt: Lea und Rahel. Roman von Ida Boy-Ed (6. Fortsetzung). S. 373. – Frühlingspfade. Bild. S. 373. – Mondnacht am Volta. Bild. S. 376 und 377. – Die Gräber unsrer großen Musiker in Wien. Von La Mara. S. 380. Mit Abbildungen S. 381. – Eine Räubergeschichte. Von Isolde Kurz (Schluß). S. 382. Mit Abbildungen S. 382 und 384. – Wallensteins Werbung um Isabella von Harrach. Bild. S. 385. – Deutsche Erzieherinnen in England. S. 386. – Blätter und Blüthen: Mondnacht am Volta. S. 387. (Zu dem Bilde S. 376 und 377). – Wallensteins Werbung um Isabella von Harrach. S. 387. (Zu dem Bilde S. 385.) – Die Paroledame von Rostock. Mit Abbildung. S. 388. – Frauen- und Männersprache. S. 388. – Nesselgift. S. 388.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_388.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)