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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


ist. Wir glauben darum, daß wir einem weiten Leserkreise eines Volks- und Familienblattes einen guten Dienst erweisen, wenn wir an dieser Stelle kurz die Frage: wie sollen wir schreiben? erörtern; denn diejenigen Eltern, welchen die Bildung und die Gesundheit ihrer Kinder am Herzen liegt, werden dadurch instand gesetzt, manches Uebel rechtzeitig abzuwenden.

Einer der deutschen Aerzte, welche die „Naturlehre des Schreibens“ zum Gegenstand ihrer Studien gemacht haben, Medizinalrath Dr. S. Rembold in Stuttgart, hat diese Frage meisterhaft in seinem trefflichen Buche „Schulgesundheitspflege“*[1] behandelt, und die nachstehenden Regeln für das richtige Schreiben im gesundheitlichen Sinne bilden die Schlußfolgerungen seiner Untersuchungen. Nach eingehenden Berathungen sind sie durch Erlaß der Kultusministerialabtheilung für Gelehrten- und Realschulen in Württemberg eingeführt, dürften sich aber nicht nur für Schüler, sondern für alle, die viel schreiben und schreiben müssen, nützlich erweisen.

Wir setzen uns also an den Tisch und sollen schreiben.

Wie ist zunächst das Heft zu legen? Die Antwort lautet: Möglichst genau vor die Mitte des Körpers, und zwar so gedreht, daß die Zeile, bezw. der entsprechende Heftrand von links unten nach rechts oben in einer Neigung von 30 bis 40° bergan steigt oder der Heftrand mit der Tischkante einen Winkel von 30 bis 40° bildet.

Die Körperhaltung beim Schreiben.

Auf dem so zurechtgelegten Hefte schreiben wir nun derart, daß die Grundstriche der Schrift senkrecht zum Tischrand stehen; die Hand hat von selbst das Bestreben, diese Richtung einzuhalten, weil sie ihr am bequemsten ist, und daraus entsteht eine geneigte Schrift, deren Grundstriche mit der Zeile des Schreibheftes einen Winkel von 30 bis 40° bilden.

Die Haltung des Oberkörpers bleibt dabei möglichst aufrecht, der Oberkörper findet im Rückgrat seine Stütze; ein Anlehnen des unteren Theils an die Rücklehne des Stuhls verhütet die Ermüdung. Man sitzt ferner gerade vor dem Tisch, so daß die Querachse des Körpers oder die Verbindungslinie zwischen den Schultern parallel zu dem Tischrande steht. Die vielfach empfohlene schiefe Stellung des Körpers ist zu verwerfen. Der Körper drückt sich endlich nicht an den Tischrand, sondern bleibt etwa 3 cm von ihm entfernt.

Der Kopf erhält dieselbe Stellung wie der Oberkörper, also parallel zum Tischrande, und senkt sich ein wenig gegen den Tisch.

Auf die Tischplatte werden nur die Vorderarme und nicht die Ellbogen gelegt. Die Ellbogen halten sich etwas tiefer als der Tischrand und dürfen weder zu nahe an den Körper rücken, noch zu weit von demselben entfernt sein; die Höhe der Schulter über dem Tischrand giebt für die Entfernung den Ausschlag.

Beide Hände liegen nahezu symmetrisch auf der Tischplatte.

Die Füße stehen auf dem Boden, während der Oberschenkel wagrechte, der Unterschenkel senkrechte Richtung hat. Zur Abwechselung können die Füße auch zuweilen auf die Fußleiste vorgeschoben oder unter die Sitzbank zurückgezogen werden.

Die Schreibbewegungen werden nur durch die auf der Tischplatte befindlichen Körpertheile ausgeführt. Die Fingergelenke und das Handgelenk besorgen dabei die zur Herstellung von Buchstaben und Wörtern nöthigen Bewegungen. Der rechte Vorderarm wird, um die Zeile weiterzuführen, nicht nach außen auf dem Tischrand verrückt, sondern führt eine drehende Winkelbewegung um den möglichst unverändert bleibenden Stützpunkt aus.

Um eine neue Zeile zu beginnen, hat der Vorderarm die eben vollzogene langsame Drehbewegung in schnellerem Tempo zurückzumachen. Der Stützpunkt des Vorderarmes soll auch beim Vollschreiben der Seite nicht verrückt werden. Zunächst wird die Verkürzung der Entfernung durch Einbiegen des Handgelenkes ausgeglichen, dann muß das Heft emporgeschoben werden.

Das sind die Regeln für das Schreiben, die uns von allen bekannten am zweckmäßigsten erscheinen, deren ungezwungene Natürlichkeit jeder an sich selbst leicht erproben kann und deren Befolgung man als eine wahre Wohlthat empfindet. Die Eltern mögen sie an sich selbst einüben und dann auf ihre Kinder aufpassen.

Es giebt aber noch andere Regeln zu beobachten. „Wie oft sieht man,“ schreibt Medicinalrath Rembold, „in den Privathäusern Kinder in der Dämmerung bei trübem Kerzenlicht, bei rechtsstehender Lampe, stehend am Fenstersims, Klavier etc. oder verkrümmt und verdreht sitzend auf zu hohen Stühlen oder vor zu hohen Tischen, in allen nur denkbaren Situationen lesen und schreiben!“ Und darum ertheilt er den Eltern folgende Rathschläge:

Wenn dein Kind zu Hause schreibt oder liest, so sorge:

1) für gutes Licht. Nie lasse dein Kind in der Dämmerung oder beim trüben Schein einer Talg- oder Paraffinkerze arbeiten! Wenn möglich, vermeide das letztere überhaupt bei künstlicher Beleuchtung, andernfalls sorge für eine gut brennende Petroleumstehlampe, die ungefähr einen halben Meter vom Kopf des Kindes entfernt aufzustellen ist! Wenn das Kind schreibt, so sei stets darauf bedacht, daß das Licht von dessen linker Seite her auf das Papier fällt!

2) Sorge für einen richtigen Arbeitstisch! Lasse dein Kind stets nur an einem viereckigen Tisch, nie an einem runden Tisch, an Klavier, Kommode, Fensterbrett oder ähnlichem Möbel arbeiten! Dringend zu rathen ist, beim Schreiben durch Auflegen eines Reißbrettes oder eines leicht zu fertigenden hölzernen Gestells auf dem Tisch eine leicht geneigte Ebene herzustellen, auf welche das Heft aufgelegt werden kann.

3) Sorge für einen richtigen Sitz!

a) Der Stuhl sei so hoch, daß die Ellbogen des vor dem Tisch sitzenden Kindes nie über 2 oder 3 cm tiefer stehen als die Platte des Tisches. Da die meisten Stühle zu diesem Zwecke für Kinder zu niedrig sind, so erhöhe den Sitz durch Unterlage eines Kissens oder besser eines entsprechend hohen einfachen hölzernen Gestelles!
b) Den Füßen gieb stets eine Stütze durch eine untergestellte Fußbank!
c) Den Stuhl schiebe stets so weit unter den Tisch, daß das Kind sich beim Schreiben an die Stuhllehne bequem anlehnen kann! Beim Lesen kann der erstere etwas zurückgezogen werden. Befindet sich an dem Stuhl keine bequeme Lehne, so hilf durch ein vorgelegtes Kissen nach!

4) An dem so hergerichteten Arbeitstisch überwache fortwährend das lesende oder schreibende Kind! Halte darauf, daß es

a) stets aufrecht sitzen bleibt, d. h. daß Kopf und Rückgrat nie nach vorn übergebeugt werden. Am besten erreichst du das, wenn du darauf dringst, daß der Rücken fortwährend an der Stuhllehne sich stützt. Wird der Stuhl beim Lesen zurückgeschoben, so darf das Buch nicht auf dem Tisch liegen bleiben, sondern muß in die Hand genommen werden.
b) Halte darauf, daß das Kind sich nie seitlich verdreht! Lasse, um dies zu verhindern, beim Schreiben Heft oder Tafel stets genau vor die Mitte des Körpers legen und zwar so schräg, daß die Grundstriche der Buchstaben in ihrer Verlängerung senkrecht auf den Tischrand zu stehen kommen! Die Verbindungslinie der Schultern stehe parallel mit dem Tischrande, die Unterarme liegen symmetrisch auf der Tischplatte.

Das sind goldene Regeln – und so klar und einfach, daß die Eltern sie nicht so leicht vergessen, die Kinder sie leicht erlernen können, und zu deren Einprägung unsere Abbildung das ihrige beitragen möge. Sind sie einmal zur Gewohnheit geworden, so wird die fehlerhafte Haltung zur Qual, aus der man schleunigst zu der natürlichen und darum so bequemen zurückkehrt.

Haus und Schule haben noch viele andere Berührungspunkte auf dem Gebiete der Gesundheitspflege. – Wer sie kennen lernen will zum Besten seiner Kinder, der möge das Buch Rembolds „Schulgesundheitspflege“ lesen, gleichviel ob er Lehrer oder Vater ist. *     

An den Ahrensklinterklippen im Harz. (Zu dem Bilde S. 728 u. 729.) Die Scharen der Wanderlustigen aus der Ebene haben die grünen Harzberge verlassen, mit ihnen die bunten Sänger in Busch und Baum; es ist still geworden um die trotzigen, starren Steinklippen, zu denen der wirbelnde Wind das herbstlich gefärbte Laub emporträgt, um die er heulende Klagelieder singt, als trauere er um die geschwundene, sommerliche Pracht, die vor kurzem noch das weite Waldgebirge in ihr buntes, schimmerndes Gewand hüllte. Und der Herbststurm weckt auch den wilden Jäger aus dem mondelangen Schlaf, von neuem beginnt er sein nächtliches Streifen; mit gellendem Pfeifen, mit wildem Ruf und Peitschenknall treibt er den schaumtriefenden Renner dem am nächtlichen Himmel hinjagenden Gewölk voran, und die heulende kläffende Meute folgt seinem Hufschlag. Den einsamen Wanderer, den zur Nachtzeit sein Weg durchs Gebirge führt, ergreift wohl furchtsames Grauen; er denkt nur der Schreckgestalt der Sage, weil er die Wald und Luft erfüllenden Töne nicht auf ihren Ursprung zurückzuführen vermag; er sieht nicht die mächtigen Scharen der gefiederten Bewohner der Lüfte, die hoch über ihm auf der breiten Heerstraße der Zugvögel dem Süden zustreben und mit trompetenden, gackernden, pfeifenden Signalen ihre Geschwader zusammenhalten. Mit Freuden begrüßt er den lichten, rosigen Streifen, der im Osten den Horizont säumt; verkündet er ihm doch den nahenden Morgen und damit das Ende der nächtlichen Schrecken! Deutlicher werden die Umrisse der Umgebung; eben schwammen noch die Kronen der Bäume in dem aus den Thälern steigenden Nebelmeer, jetzt grenzen sie sich bereits scharf gegen den hellen Himmel ab und recken trotzig die starken, knorrigen Zweige in die reifkalte Morgenluft.

Unser Weg führt uns über den Jakobsbruch um den Hohnekopf nach


  1. * Tübingen, Verlag der H. Lauppschen Buchhandlung.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_738.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)