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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

der sich so traulich an die alte, spätgothische Stadtkirche anlehnt. Der Burgkeller wurde 1546 erbaut und hat eine große Vergangenheit. In dem eigenartigen Renaissancebau berieth einst der hochherzige sächsische Kurfürst Johann Friedrich der Großmüthige, als er 1547 von Karl V. mit einem spanischen Heer durch Jena geführt wurde, mit seinen Söhnen über die Gründung einer Universität daselbst. Hier hausten später die „Burgkelleraner“, ehe eine Spaltung der Burschenschaft in Burschenschaften eingetreten war. Festlich prangte auf der Camsdorfer Flur unmittelbar an der Brücke die alte „Tanne“, in welcher sich einst die Gründung den deutschen Burschenschaft vollzogen hat. Festlich prangten auch die neuen Kneiphäuser, das reizende Germanenhaus am Markt und das prächtige Teutonenhaus am Löbder Graben. Auch das alte Karzer hätte gewiß geflaggt, wenn es nicht sammt seinen historischen Wandgemälden niedergerissen gewesen wäre.

Am 5. August versammelten sich die Burschen am Vormittag auf dem Marktplatz, der immer der Ort öffentlicher Scenen aus dem Studentenleben gewesen ist. Hier werden die Fackeln niedergeworfen, hier werden Versammlungen abgehalten, und in der guten alten Zeit mußte sich das ehrsame Rathhaus gar manchesmal gefallen lassen, daß vor seinen Augen eine regelrechte Mensur ausgepaukt wurde. In des „Rathes Zeise“, einem winkeligen, absonderlichen Bierlokal, hauptsächlich aber auf dem freien Marktplatz saßen die Füchse, Brandfüchse und Burschen unter den alten Herren, um sich bei „Creo“ und „Crollo“, dem Weiß- und Rothwein von Jenas Bergen, für den Festzug zu stärken. Auch das Denkmal Kurfürst Johann Friedrichs des Großmüthigen hatte Festschmuck erhalten. Der gute „Hannefriede“ trug einen Eichenkranz, und das Schwert, das schon manchen vorwitzigen Cylinder durchbohren mußte, war mit Tannenreisig geziert. Vom Markt bewegte sich der Festzug nach dem Eichplatz, auf welchem Donndorfs Burschenschaftsdenkmal steht. Hier bildeten die Burschenschafter eine schöne Gruppe um das Denkmal, vor dem Rechtsanwalt Dr. Harmening aus Jena, ein alter Armine, eine kernige Ansprache hielt, die mit einem Hoch auf die Burschenschaften schloß. Der Anblick, der sich hier den Zuschauern bot, war ein prächtiger. Hatten doch die Burschenschaften aller Hochschulen ihre Vertreter entsandt, Berlin, Greifswald, Königsberg, Halle, Straßburg, Gießen, Göttingen, Freiburg, Erlangen, Marburg, München, Bonn, Leipzig, Breslau, Kiel, Heidelberg, Rostock, Tübingen, Würzburg, ja sogar die Oesterreicher (Wien, Prag, Innsbruck) waren im Festzuge vertreten. Voran ritt ein Herold, dem drei Chargierte der Jenaer Arminia, Teutonia und Germania im Wichs zu Pferde folgten. Dann kamen die liebreizenden Ehrenjungfrauen, die am Burschenschaftsdenkmal Kränze niederlegten, Musikcorps, und nun die lange Reihe der alten und jungen Musensöhne. Sie boten zum Theil im Schnürrock, dem Sammetbarett mit der wallenden Straußfeder, der weißen Lederhose, den „Kanonen“ mit Sporen und dem blanken Paradeschläger einen malerischen Eindruck, den unser Hauptbild festzuhalten gesucht hat.

Vom Eichplatz ging es über den Markt nach der „Festhalle“, wo der allgemeine „Frühschoppen“ alsbald eine feuchtfröhliche Stimmung unter die akademischen Bürger und ihre Gäste brachte. Manches kräftige Kneiplied wurde vom Stapel gelassen, manche begeisterte Ansprache gehalten, und auch das Oberhaupt der Stadt Jena, Oberbürgermeister Singer, ließ es sich nicht nehmen, den Gefühlen, welche Jena für die Studentenschaft und insbesondere die Burschenschaft hegt, beredten Ausdruck zu verleihen. Am Nachmittag folgte die Aufführung eines poesievollen „Festspieles“ mit lebenden Bildern und Gesängen von Prof. Naumann, das eine Geschichte der Burschenschaft in dichterischem Gewande bot. Die wirkungsvollen lebenden Bilder stellten die Gründung der deutschen Burschenschaft auf der „Tanne“, das große Wartburgfest, die Auflösung der Burschenschaft, Barbarossa im Kyffhäuser, die Wacht am Rhein und eine Apotheose des burschenschaftlichen Geistes dar. In der Dichtung des Herrn Redakteur Schneider in Berlin findet sich manches markige Wort, das als ein schöner Beweis dafür gelten kann, wie die jüngern Burschenschafter gleich den alten den rechten, edlen Ausdruck für „Ehre, Freiheit, Vaterland“ zu finden wissen. Am Abend fand der eigentliche Festkommers in der Festhalle statt, der wieder durch Festlieder, ernste, begeisterte Ansprachen und launige „Bierreden“ ausgezeichnet wurde. Daß dabei insbesondere auch der Deutsch-Oesterreicher in warmen Worten gedacht wurde, bedarf keiner besonderen Erwähnung. Die „alte Burschenherrlichkeit“ feierte einmal wieder ihre schönsten Triumphe. Am Gasthaus zur „Tanne“ wurde überdies eine Marmortafel mit der Inschrift: „Hier wurde die deutsche Burschenschaft gegründet, 12. Juni 1815“ enthüllt.

Ein fideler Frühschoppen am Markt in der „Zeise“, Ausflüge in die reizende, romantische Umgebung Jenas und ein gemüthliches Beisammensein mit einem Jubiläumstänzchen, bei dem auch die „Philinen“ zu ihrem Rechte kamen, bildeten den Abschluß des schönen Festes am 6. August. Die alten und jungen Burschenschafter, die jetzt wieder daheim sind, werden sich dieser Augusttage mit freudigem Herzen erinnern. Ist doch durch sie das Band, das die deutschen Burschenschaften umschlingt, wieder neu gefestigt worden. Was aber die deutsche Burschenschaft in der Geschichte des deutschen Geisteslebens zu bedeuten hat, das ist bereits von anderer Seite in der „Gartenlaube“ geschildert worden. Das Jubiläumsfest bekräftigte die Wahrheit des alten Liedes:

„Allein das alte Burschenherz
Kann nimmermehr erkalten,
Im Ernste wird wie hier im Scherz
Der rechte Sinn stets walten.
Die alte Schale nur ist fern.
Geblieben ist uns doch der Kern,
Und den laßt fest uns halten!“

Hermann Pilz.     




Die Ostjaken.[1]
Von Alfred Edmund Brehm.

Leicht und mühelos ist gegenwärtig und wohl noch auf Jahrhunderte hinaus der Kampf ums Dasein, welchen der Mensch in Sibirien zu bestehen hat, leicht und mühelos namentlich in den von der Natur überreich begabten Gefilden im Süden des Landes, nicht allzuhart und schwer aber auch in jenen Gegenden, welche wir als eine eisige Wüste, als unwirthliche Einöde zu betrachten gewohnt sind. Wohl tritt im hohen Norden Westsibiriens das Klima dem Menschen rauh und streng entgegen; wohl weigert sich hier die in geringer Tiefe unter ihrer Oberfläche für ewig erstarrte Erde, nährende Frucht zu bringen, aber auch hier schüttet die Natur gütig ihr Füllhorn aus, und was das Land versagt, gewährt das Wasser. In unseren Augen mag der in jenen Breiten seit Jahrhunderten ansässige Mensch arm und elend erscheinen, in Wahrheit ist er weder das eine noch das andere. Auch der Ostjake gewinnt sich seine Bedürfnisse; auch er umgiebt sein Dasein mit ihn beglückenden Reizen, denn seine Heimath schenkt ihm mehr, als er zum Leben bedarf.

Es mag sein, daß der Stamm der Ostjaken, der zu der finnischen Völkerfamilie gehört, in früheren Zeiten zahlreicher gewesen ist als gegenwärtig; ein Volk nach unseren Begriffen aber hat er wohl nie gebildet. In einzelnen Theilen des von ihm besiedelten oder wenigstens von ihm durchwanderten Gebietes soll die Einwohnerzahl stetig abnehmen, in anderen dagegen in geringem Grade sich vermehren; von erheblichem Belang scheint aber weder die Zu- noch die Abnahme zu sein. Man rechnet hoch, wenn man den Gesammtbestand auf fünfzigtausend Köpfe anschlägt. – Alle am Irtisch und oberen, beziehungsweise mittleren Ob hausenden Ostjaken wohnen in feststehenden, sehr einfachen, den russischen ähnlichen Blockhäusern, und nur hie und da trifft man zwischen diesen bereits eine höhere Gesittungsstufe anzeigenden unbeweglichen Wohnungen auch einmal auf ein Birkenrindenzelt, „Tschum“ genannt, wogegen dieses am unteren Ob unbedingt vorherrscht und, wie erklärlich, die alleinige Behausung des wandernden Renthierhirten ist. Fast, wenn auch nicht vollständig im Einklange damit steht, daß die in feststehenden Dörfern lebenden Ostjaken der russisch-katholischen Kirche angehören, wogegen die im Tschum hausenden ihrem uralten Glauben noch gegenwärtig treu sind. Mit der Annahme des Blockhauses und des Christenthums geht ebenso Hand in Hand, daß die im mittleren Ob- und unteren Irtischgebiete ansässigen Ostjaken nicht allein ihre Kleidung bis zu einem gewissen Grade mit der des benachbarten russischen Fischers vertauscht, sondern im Umgange mit diesem auch viel von seinen Sitten und Gewohnheiten angenommen, von den ihrigen dagegen verloren, zum Theil auch die Reinheit ihres Stammes eingebüßt und eigentlich nichts weiter behalten haben als die unveräußerlichen Merkmale des Stammes, die Sprache, sowie vielleicht noch die dem ganzen Volke gemeinsame Geschicklichkeit, Anstelligkeit und – harmlose Gutmüthigkeit. Ich beschränke meine Mittheilungen im wesentlichen auf diejenigen Ostjaken, welche ihren alten Glauben, ihre alten Sitten bis heute festgehalten haben.

  1. Aus dem im Verlage der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart soeben in Lieferungen erscheinenden Buche „Vom Nordpol bis zum Aequator. Populäre Vorträge von Dr. A. E. Brehm. Mit Illustrationen von R. Friese, G. Mützel, Fr. Specht u. a.“
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