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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Helgoland.

Eine überraschende Kunde hat der 17. Juni 1890 dem deutschen Volke gebracht. An diesem Tage ward der zwischen der deutschen und der englischen Regierung vereinbarte Vertrag im Deutschen Reichsanzeiger veröffentlicht, der im Zusammenhang mit der Regelung jener mannigfach sich kreuzenden und stoßenden kolonialen Interessen auf dem Boden Ostafrikas die Abtretung der Insel Helgoland von England an Deutschland, vorbehältlich der Genehmigung des englischen Parlaments, ausspricht.

Es ist hier nicht der Ort, über das Verhältnis von Werthen und Gegenwerten, die in jenem Vertrage gegen einander ausgespielt werden, ein Urtheil zu fällen. Der Streit der Meinungen vorüber wird fortdauern, bis Thatsachen, greifbare Ergebnisse ihn zum Schweigen bringen. Es ist auch hier nicht der Ort, über das, was der deutsche Reichstag oder das englische Parlament dazu sagen wird, Betrachtungen anzustellen, umsoweniger, als das endgültige Ja oder Nein vielleicht schon gefallen ist, bis diese Blätter in die Hände unserer Leser gelangen. Denn wenn auch

Karte von Helgoland nach Prof. K. Giebel (1845) und Dr. Emil Lindemann (1888).

noch vor kurzem im englischen Unterhause ein mittelbarer Antrag auf Abtretung Helgolands an Deutschland den lebhaftesten Widerstand fand und mit großer Stimmenmehrheit abgelehnt wurde, so kann doch niemand wissen, in welcher Weise sich die Wirkung der neuen Vertragsbestimmungen auf die Gegner der Abtretung äußert.

Eines aber ist sicher: der Gedanke einer Erwerbung Helgolands für Deutschland wird überall im Reiche einen freudigen Widerhall finden; er wird begrüßt werden mit jener Genugtuung, welche der Heimfall eines verloren gegangenen Bruchteils an das uralte Stammland in jedem gesunden, aufwärts strebenden Volkstum erwecken muß; und wenn jene Erwerbung zur Thatsache werden sollte, so wird sie, obwohl auf ganz verschiedenem Wege errungen, doch im Geiste des Volkes sich jenen anderen Wiedereroberungen zur Seite stellen, welche die Aufrichtung eines mächtigen Deutschen Reiches gleichsam als deren handgreiflichster Ausdruck vor zwei Jahrzehnten begleiteten.

Denn ein uralt deutsches Stück Land ist der Fels von Helgoland! Es bedarf, um das zu erfahren, keines Hinaufsteigens in die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte, keiner umständlichen Nachweise aus Akten und Chronikbüchern. Das schlägt von selbst an unser Ohr, wenn wir die Insel betreten und der Sprache der Eingeborenen lauschen. Mit wunderbarer Zähigkeit haben sie die Laute ihrer alten friesischen Mundart bewahrt, und die Kinder reden erst ihr helgoländisch Platt, ehe sie in der Schule und in der Kirche das neuzeitliche Hochdeutsch erlernen.

„Grön is det Lunn,
Road is de Kant,
Witt is de Sunn;
Deet is det Woapen
Van’t Hillige Lunn’.“

So lautet der alte Wahlspruch von Helgoland, den wir zugleich als Probe der Sprache hierhersetzen, und höchstens der Oberdeutsche, schwerlich aber der Niederdeutsche wird der Uebersetzung bedürfen :

„Grün ist das Land,
Roth ist die Kant,
Weiß ist der Sand;
Das ist das Wappen
Vom ,Heiligen Land‘.“

Nur etwa 64 km von der Elbmündung bei Cuxhaven und 87 km von der Mündung des Nordostseekanals bei Brunsbüttel liegt der meerumspülte und sagenumwobene Fels, senkrecht aus der See emporsteigend zu einer Höhe von 28 bis 56 Metern, ein braunrother Thonstein von harter Beschaffenheit, 1600 Meter in der Länge und an der breitesten Stelle 500 Meter messend, das sogenannte „Oberland“. Ihm vorgelagert ist an der südöstlichen Seite ein sandiges Vorland, das „Unterland“, und mit ihm zusammen besitzt die Insel einen Flächeninhalt von 0,59 qkm. Einst sollen Viehzucht und Kornbau wohl gediehen sein auf der Insel, aber heute sieht man nur Schafe auf den grünen Matten des Oberlandes grasen, und was an die Stelle der wogenden Kornfelder getreten ist, das verrät uns der Name der die ganze Insel von Nord nach Süd durchziehenden „Kartoffelallee“. Der Häringsfang bildete einst, vor 300 Jahren, den Haupterwerb des helgoländischen Fischers, aber die gewinnbringenden Fische nahmen, wie man glaubt, infolge veränderter Meeresströmungen, plötzlich andere Wege; es war ein furchtbarer Verlust für die Bewohner des Felseneilands, und es ist kein Wunder, daß die Sage in einem bösen Frevel die Ursache des tiefeinschneidenden Ereignisses suchte. „Nach der Einführung des Christenthums,“ so heißt es, „wurde ein kleines Götzenbild zum heiligen ,Tiets‘ umgetauft. Da es der Fischerei günstig war, so trug man es im Frühjahr in Prozession auf dem Oberlande umher bis auf einen Berg, der ,Tietsberg‘ genannt. Bei einer solchen Prozession erfrechten sich einige, das Bild zu prügeln, und seit jener Zeit kam nie wieder ein Häring nach der Insel, statt seiner erschien die Pest.“ – Die ihrer Haupteinnahmequelle beraubten Fischer suchten und fanden dann Verdienst als Lotsen und Seefahrer und später auch durch mancherlei anderen Fischfang (Schellfisch, Hummer, Austern). Dann brachte die Zeit der von Napoleon I. verhängten Kontinentalsperre und mit ihr ein blühender Schleichhandel vorübergehend großen Reichtum auf die für die Zwecke des letzteren so günstig gelegene Insel. Lotsenwesen, Fischerei und Schiffahrt wurden an den Nagel gehängt, denn es gab leichteren Gelderwerb. Aber die Kontinentalsperre nahm ein Ende, die reichen Geschäfte verließen die Insel, andere Verbindungen waren unterbrochen oder fehlten: die Helgoländer waren, nicht ohne eigene Schuld, in der bittersten Notlage. Da brachte ihnen ein unternehmender Landsmann, Jacob

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_464.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)