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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

mit Gras bedeckt waren. Dieser Anblick versetzte alle in ungestüme Freude, und ein Bursche aus dem Zuge stürmte vorwärts und küßte das dürre Gras. Dann zerstreuten sich einige Leute, und einige kehrten mit frischen grünen Grasbüscheln zurück und wurden von den im Lager Zurückgebliebenen mit derselben Freude begrüßt wie die Taube mit dem Oelzweige vom Vater Noah und seiner Familie!

Am 13. Dezember endlich erreichte die Karawane den Rand eines Hochplateaus, zu dessen Füßen sich das ersehnte Ziel ihrer Reise, der Albertsee, ausbreitete. Aber eine Enttäuschung ward ihr zu Theil – Emin Pascha, der zu Befreiende, war nicht da! Stanley entschloß sich, da er den weiteren Landmarsch nach Wadelai mit seiner erschöpften Mannschaft nicht wagte, das Boot aber bei Kilonga Longa zurückgelassen hatte, zu dessen Station zurückzukehren und sein Fahrzeug herbeizuholen. Für alle Fälle wurde unterwegs in dem fruchtbaren Bezirke Ibwiri das Fort Bodo, das „Friedensfort“, angelegt. Dann ging’s abermals vorwärts nach dem Albertsee, und hier erfolgte endlich – am 29. April 1888 – das erste Zusammentreffen mit Emin.

Stanley hatte nun dem „Geretteten“ drei Vorschläge zu unterbreiten, die sich in der Kürze dahin zusammenfassen lassen: 1) Emin und seine Truppen verlassen mit Stanley die von Aegypten aufgegebene Provinz, ziehen hinab nach Sansibar und kehren von da nach Kairo zurück; wollen sie aber in der Aequatorprovinz bleiben, so mögen sie dies auf ihre eigene Verantwortung thun. 2) Emin übergiebt seine Provinz an den Kongostaat und tritt selbst in dessen Dienste. 3) Emin Pascha macht mit seinen Soldaten Eroberungen für die britisch-ostafrikanische Gesellschaft.

Zur unangenehmen Ueberraschung Stanleys ging aber Emin auf keinen dieser Vorschläge ein, sondern berief sich einfach auf die Entscheidung seiner Leute, deren Schicksal er auch ferner zu theilen gesonnen sei. So ging denn der schon genannte Mounteuey Jephson mit Emin nach dessen Provinz ab, um dort diese Entscheidung einzuholen. –

Die in Jambuja zurückgelassene Nachhut Stanleys war inzwischen nicht eingetroffen, und Stanley entschloß sich, noch einmal den Weg durch den Wald nach Jambuja zurückzulegen, um die Hauptvorräthe zu holen.

Auf dem bereits gebahnten Wege drang er rasch bis Banalja, wenige Tagemärsche oberhalb Jambuja, vor, wo er die Trümmer der Nachhut fand und erfuhr, daß Major Barttelot von einem Skaven Tippu-Tibs erschossen worden war. Er ordnete die Nachhut frisch und brach zum dritten Male nach dem Albertsee auf.

In den von den Sklavenjägern ausgeplünderten Distrikten trat noch einmal das furchtbare Gespenst der Hungersnoth an die vielgeprüfte Expedition heran. Das geschah im Dezember 1888 in der Nähe des Zusammenflusses des Ihuru und des Dui.

In den Bananenpflanzungen von Ngwetsa ließ Stanley jeden Mann genügenden Mundvorrath mitnehmen, um damit Fort Bodo zu erreichen, bei welchem von der Expedition Felder bestellt worden waren. Alles lief verhältnismäßig gut ab. Man bestand Kämpfe mit den Eingeborenen, schlug sie aber immer zurück; auch einige Zwerge wurden gefangengenommen und sagten unter anderem aus, daß man in einigen Tagen eine herrliche Bananenpflanzung erreichen werde. Stanley ahnte nicht, wie verhängnißvoll die Aussage der Zwerge für ihn werden sollte. Er erfuhr es erst am 8. Dezember. Bald nachdem das Zelt des Hauptquartiers aufgeschlagen und das aus blattreichen Pflanzen bestehende Unterholz etwas ausgerodet war, beobachtete Stanley einen jungen Burschen, welcher wankte. Er ging zu ihm und fragte ihn nach der Ursache, woraus er zu seiner Ueberraschung erfuhr, daß Schwäche infolge Mangels an Lebensmitteln der Grund seines schwankenden Ganges sei. „Habt Ihr denn Eure ganzen fünftägigen Rationen schon aufgegessen?“

Nein, er hatte sie fortgeworfen, weil die gefangenen Zwerge gesagt hatten, daß sie in einem Tage eine Pflanzung erreichen würden, die wegen ihrer Bananen, „der größten in der Welt“, berühmt sei.

Nachforschungen im Lager ergaben, daß mindestens 150 Leute dasselbe gethan hatten und nun nichts mehr besaßen. Man war wieder in einem Hungerlager. Ngwetsa war nur 19½ Marschstunden entfernt. Am 9. Dezember morgens brachen darum etwa 200 Mann nach den Bananenpflanzungen auf, nachdem sie für die 130 Personen im Lager etwa 200 Pfund Mehl zurückgelassen hatten.

Tage vergingen und die Fouragierer kehrten nicht zurück.

Die Leute sahen jämmerlich aus. Stanley öffnete die Kisten mit europäischem Proviant und vertheilte Butter und kondensirte Milch zur Verbesserung der Mehlsuppe, je einen Topf Butter und Milch für 130 Personen, die sich nach dieser Mahlzeit im Walde zerstreuten, um Beeren und Pilze zu suchen. Einige verirrten sich und wurden vermißt, andere starben im Lager.

„Nachts auf meinem Lager,“ schreibt Stanley, „beunruhigte mich der Gedanke an die Abwesenden; aber wie unangenehm die Idee, daß ein schreckliches Unglück – sie konnten sich im Walde verirrt haben und vor Hunger zusammengebrochen sein, ehe sie die Bananenpflanzung erreicht hatten – sich ereignet habe, auch sein mochte, ich konnte nicht umhin, auch die dunkelsten Aussichten zu berücksichtigen und das Schlimmste zu erwarten, um wenn möglich die Ueberbleibsel der Expedition zu retten, damit die Nachricht an den Pascha und durch ihn eines Tages an die Civilisation gelange. Ich malte mir aus, daß die ganze Kolonne in diesem Lager umgekommen sei, wie der Pascha einen Monat nach dem andern sich wunderte, was aus uns geworden sei, wie wir in diesem unbekannten Winkel des großen Waldes vermoderten und verwesten, jedes Zeichen an den Bäumen verwuchs und jede Spur von uns innerhalb eines Jahres verwischt sein würde, so daß unser Begräbnißplatz auf ewige Zeiten unbekannt bleiben würde. In der That schien es mir, als ob wir gerade solchem Schicksal stetig entgegengetrieben würden. Da waren ungefähr 200 Mann, welche ohne Lebensmittel 55 km weit gingen, um solche zu suchen. Nicht 150 von ihnen würden den Ort erreichen, die übrigen würden sich wie die Madi[1] auf den Boden werfen, um zu warten und von den andern zu betteln, falls diese etwa zurückkehren sollten. Und wenn den 50 Tapfersten ein Unglück zustieß, was dann? Einige werden einzeln von den Zwergen niedergeschossen, die übrigen im ganzen von den größern Eingeborenen angegriffen. Die Leute haben keinen Führer, sie zerstreuen sich, verlieren den Kopf, verirren sich und werden einer nach dem andern von den Speeren der Wilden niedergemacht. Während wir warten und ewig warten auf Leute, die nicht wiederkehren können, sterben die meinigen erst zu dreien, sechsen, zehnen, zwanzigen, bis alles vorüber ist, wie ein erloschenes Licht. Nein, es muß irgend etwas geschehen. – –

Bonny (der oben genannte Offizier Stanleys) erbot sich, mit 10 Mann im Lager bei den Vorräthen zu bleiben, wenn ich für ihn und die Leute Lebensmittel für zehn Tage, die Zeit, welche wir fort zu sein beabsichtigten, zurücklassen würde. Das Material, um eine dünne Brühe für eine so kleine Zahl auf zehn Tage zu bereiten, war nicht schwer zu finden. Wir maßen eine halbe Tasse voll Maismehl pro Kopf für 13 Mann und zehn Tage und zählten 4 Milchbiskuits pro Mann und Tag ab; außerdem ließen wir ihnen noch einige Büchsen mit Butter und kondensirter Milch zur Verbesserung der Mehlsuppe zurück. Für diejenigen, welche nicht gewillt oder nicht imstande waren, uns zu den Bananen zu folgen, vermochten wir nichts zu thun. Was eine kleine Besatzung von 13 Mann viele Tage unterhalten konnte, würde das Leben von 50 Leuten nicht retten, die schon so schwach waren, daß nur eine große Menge des leicht verdaulichen Bananenmehls sie möglicherweise noch erhalten konnte.

Am Morgen des 15. Dezember musterten wir alles, was im Lager noch am Leben war. Der Manjema-Anführer Sadi meldete, daß von seinen Leuten 14 nicht imstande seien, sich zu bewegen; Kibbobora berichtete, daß von seiner Abtheilung nur sein kranker Bruder nicht gehen könne, und bei Fundi war nur ein Weib und ein kleiner Knabe zu schwach für den Marsch. Die Expedition mußte 43 Personen zurücklassen, die der Auflösung nahe waren, wenn nicht innerhalb 24 Stunden Lebensmittel herbeigeschafft wurden. Einen hoffnungsvollen Ton anschlagend, obwohl das Herz mir fast brach, sagte ich ihnen, sie sollten guten Muthes sein, ich würde die Abwesenden aufspüren, die sich vermuthlich vollstopften. Höchst wahrscheinlich würde ich ihnen unterwegs begegnen, in welchem Falle sie den ganzen Weg zum Lager zurück springen sollten. ‚Betet inzwischen für meinen Erfolg. Gott allein kann euch jetzt helfen!‘“


  1. Eingeborene aus der Aequatorialprovinz, die Emin Stanley als Träger mitgegeben hatte.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_434.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)