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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ausbreche. Sehr bezeichnend ist der Ausdruck, den am Ende des 15. Jahrhunderts der Rostocker Humanist Nikolaus Marschalk von den Juden gebrauchte, welche religiöser Fanatismus wegen wirklicher oder angeblicher Marterung einer Hostie auf den Scheiterhaufen brachte. „Sie sind,“ schreibt er, „dem Vulkan (dem Gott der Feuers) geopfert.“

Daß die ältere Zeit sich die Pest als altes Weib oder den Tod als einen Knochenmann versinnlichte, ist bekannt. Neuerdings ist diese überlebte Vorstellung in Korfu wieder aufgewacht. Ein Schiffer wollte absegeln, als sich ein skelettartig mageres altes Weib, vor dem jedem grauste, an Bord drängte. Auf hoher See aber trat plötzlich ein Mönch, dessen Kommen niemand bemerkt hatte, mit erhobenem Kruzifix bannend auf die Megäre hinzu. Scheu entsetzt wich die häßliche Alte zurück und weiter zurück, bis sie über Bord stürzte. Als die Fluth sich über ihr geschlossen hatte, war der Mönch verschwunden. Seine Züge aber hatten sich dem frommen Kapitän deutlich eingeprägt. Im Hafen von Korfu angelangt, erkannte er beim nächsten Kirchgang seinen Mönch wieder im Bilde des heiligen Spiridion – das gebannte Weib aber war niemand anders – als die Influenza. Jede Krankheit ist nach der Auffassung niederer Kultur in letzter Linie die Wirkung eines bösen Geistes oder bei höher entwickelten Völkern der Quintessenz aller bösen Geister, des Teufels.

„Ich suche Zuflucht bei Allah vor Satan dem Verfluchten,“ muß der Mohammedaner sagen, wenn er gähnt, wobei er die linke Hand mit ihrem Rücken vor den Mund hält, denn durch diesen pflegt der Teufel einzuschlüpfen. Daß dieser Glaube auch in Deutschland einst herrschte, beweist die lange Litteratur über Hexen und Besessene. Der äußerliche Rest dieser Sitte hat sich in dem Gebrauche, beim Gähnen die Hand vor den Mund zu halten, noch aufbewahrt. Daß das Anstandsgefühl nicht das Schöpferische in der Sitte war, beweist, daß ganz dieselbe Sitte bei den Zulukaffern besteht, die doch Knigges „Umgang mit Menschen“ gewiß nicht gelesen haben.

Das Bezeichnende aller dieser Vorstellungen liegt in der stofflichen, körperlichen Auffassung von der Seele und deren mystischer Uebertragung auf unbelebte Wesen. Ganz zu der niedrigen Anschauungsstufe der Steinzeit kehrt der neue und alte Spiritismus zurück. Die „Spirits“ klopfen, werfen, lesen und schreiben. Johannes Trojan hat in seinen Scherzgedichten humorvoll geschildert, wie er sich den dritten Mann zum Skat aus der vierten Dimension herbeiruft:

  „Und die Karten flogen
  Unsichtbar im Bogen
Auf den Tisch und Spiel folgt nun auf Spiel.
  Doch im Lauf des Spieles
  Zeigte sich gar vieles,
Was uns als Theilhabern nicht gefiel.

  ‚Grand mit Viern‘ gewinnt er,
  Als wir zwei dahinter
Kommen, daß nicht alles richtig war.
  Nicht mit rechten Dingen
  Konnt’ ihm das gelingen,
Daß der Spirit mogelt, ward uns klar.“

Wir haben hier im Scherze das Gebiet der Poesie betreten: hier liegt das Feld, wo sich die traurige Wirklichkeit der Ueberlebsel verklärt zu Sage und Dichtung. Haben wir die finstere Seite nicht vergessen, auf welche der Rückfall in überlebte Weltanschauungen führt, so sei hier zum Schlusse auf sie als Urquell unserer schönsten Poesien hingewiesen. Unvergleichlich schön sind die Wanderungen in die Unterwelt im Homer und ergreifen uns noch heute in Jordans edlem Epos, in „Hildebrants Heimkehr“. Erst nachdem Goethes Mephistopheles unter jubelndem Beifall über die Schaubühne geschritten, war die Gefahr des Hexenprozesses, der noch zu Goethes Lebzeiten Opfer forderte, endgültig beseitigt. Verklärt und gereinigt, hat die Seelenübertragung vom Menschen auf leblose Gegenstände unsterbliche Lieder wie das „Heidenröslein“ und den „Fichtenbaum“ geschaffen. Denn viele Wanderungen mußte der kindlich suchende Menschengeist durchlaufen und fand sich weit vom Ziele. Er suchte nach Wahrheit, er suchte nach Licht. Unzählige haben die Irrwege in Qual und Tod geführt, bis die Zeit herankam, wo man das Wort verstehen lernte: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, sollen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“




Bilder aus dem Landsknechtsleben.

Von H. Bauer.0 Mit Zeichnungen von Peter Schnorr.
I
Wie der Stand der frommen Landsknechte aufkam. – Die Aufrichtung des Regimentes. – Obrist Blaubart.


Es ist kein Zufall, wenn um dieselbe Zeit, als die deutsche Dichtkunst aus den Schlössern der Fürsten, von den Burgen des Adels herabstieg und ihre Heimstätte in den Reichsstädten bei den ehrsamen Bürgern und Handwerksmeistern aufschlug, auch das Kriegswesen sein bis dahin vornehmeres Aussehen und seine Art verwandelte und die Entscheidung der Schlachten aus den Händen der in immer dichtere Stahlharnische sich und ihre Rosse einhüllenden adligen Ritterscharen nahm, um sie in die starken Fäuste kriegsmuthiger, abenteuerlustiger Bürger und Bauern, eines leichter bewehrten Fußvolks, zu legen. Beide Erscheinungen haben ihre tiefste Wurzel in dem durch die Reformationsbewegung geweckten Geiste der Freiheit und in dem durch dieselbe besiegelten Verfall mittelalterlichen Feudallebens.

Bei beiden Vorgängen wirkten natürlich auch noch allerhand äußere Umstände mit, vor allen Dingen die Ausbildung der Handfeuerwaffen, die für den ohnehin überlasteten, als Hauptwaffe die schwere Lanze führenden Ritter unverwendbar waren und deren Geschosse ganz anders an die stählernen Harnische pochten als selbst die Bolzen der stärksten Armbrust. Sogar der rauflustige Götz von Berlichingen spricht in seiner Lebensbeschreibung mit unverhohlenem Respekt von Geschütz und Feuerwaffen und meint in der Erzählung von der Fehde des Markgrafen Kasimir von Brandenburg gegen die Nürnberger, es sei ihm und seinen adligen Gesellen im Geschützfeuer der Nürnberger „die Weile nit kurz geworden; dann es kann nit ein jeglicher das Gepölder leiden.“

Von entscheidendem Einflusse aber war doch in erster Reihe der schon seit geraumer Zeit eingetretene Verfall des feudalen Heerbanns, in welchem neben den adligen Ritterscharen das Fußvolk kaum noch als bewaffneter Troß in Betracht kam. Dieser Verfall trat allenthalben ein, am meisten in Deutschland; des Reichs politisches Gefüge wurde so locker, daß das Vasallenverhältniß der Fürsten und des reichsunmittelbaren Adels zum Kaiser immer mehr seine Wirksamkeit verlor. In den kleinen Nachbarfehden der Landesfürsten erwies das Lehnssystem zwar noch längere Zeit sich verwendbar; für die Reichskriege hatte es lange vor dem Ende des 15. Jahrhunderts jede Bedeutung verloren.

An Stelle des dienstpflichtigen Lehnsmanns trat schon im 15. Jahrhundert der um Sold dienende Ritter. Eine zweckentsprechende Ordnung des nationalen Wehrwesens auf Grund der geschichtlich gewordenen Verhältnisse versuchte zuerst um die Mitte des eben genannten Jahrhunderts Karl VII. von Frankreich mit der Errichtung der fünfzehn ritterlichen Ordonnanzkompganien der „Hommes d’armes“ (Waffenleute). Dieses Heer ritterlicher Söldner war fortan die Pflanzschule der neueren französischen Ritterschaft, seine Ruhmessterne waren die Bayard und La Trémouille.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_252.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)