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verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Zufälligkeiten in ihrer freien Entwicklung gehemmt worden. Wollen wir ihre Absichten erkennen, so müssen wir sie aus der Summe vieler Einzelerscheinungen herauszulesen suchen, müssen das Wahre vom Zufälligen unterscheiden lernen.

So lebt in unserem Künstler das Bild eines Menschen, wie er sein würde, wenn alle Umstände glücklich zusammenträfen. Nach diesem trägt er die Schönheiten, die er einzeln in der Wirklichkeit vorfindet, zusammen. Er sieht bei dem einen ein Hautfältchen, das bei dem andern fehlt, und sagt sich danach: es ist nicht wesentlich, lassen wir es fort – er „stilisirt“! Wo sich die Natur einmal uneingeschränkt offenbaren kann, da wird sie denn auch beinahe wirken wie ein stilisirtes Kunstwerk. Vollendet schöne Menschen, wie man ihnen vielleicht noch hier und da in Italien begegnen kann, oder antike Figuren, die vielfach nichts anderes sind als fein beobachtete Studien aus der Palästra, der Ringschule, lassen das sofort erkennen. Wir haben also als Wesen des Stils hier das Streben zu betrachten, die Dinge der Zufälligkeiten zu entkleiden und auf ihre Grundideen zurückzuführen. So ist es denn gerade ein Drang nach Wahrheit im höhern Sinne, der den Künstler von der Wirklichkeit abweichen läßt. Gleichwie von der dargestellten Form gilt das auch von der Komposition überhaupt. Da ist im Figurenbilde oder in der Landschaft keine Gestalt – kein Baum, der nicht in vollstem Einklang mit der künstlerischen Idee stände. Die stummen Gewänder selbst fangen mit an zu reden und unterstützen durch Masse oder Bewegung, was die Menschen sagen; ein Accord der Uebereinstimmung von Innerem und Aeußerem – Wahrheit. –

Wir haben es nunmehr noch mit einem Stilbegriff zu thun, der in allen Künsten Anwendung finden kann, dem das liebe Publikum aber schier noch fremder gegenübersteht als den andern, ja dessen Nichtachtung es nicht selten als ganz besondere künstlerische Leistung ansieht. Seine Erklärung heißt kurz: „Stil ist das bewußte Sichfügen in die Forderungen des Darstellungsmaterials“!

Zur Erläuterung ein Beispiel aus der Musik. Wir hören im Konzertsaal einen Cellisten. Er spielt sein Instrument mit ausgezeichneter Geschicklichkeit, Passagen, Triller und Staccati wechseln in ununterbrochener Folge. „Nein, solch ein Spiel!“ heißt es, nachdem er schweißtriefend geendet hat, „der behandelt sein Cello ja wie eine Geige!“ – Ja, das thut er wirklich. – Aber ist das denn auch richtig? Gewiß nicht; denn hätte ein Geiger dasselbe Stück mit gleichem Können auf seinem viel beweglicheren Instrumente gespielt, so würde er bei minderem Aufwand eine noch schönere Wirkung erzielt haben. Der Cellist hat aber seinem Cello zugemuthet, was ihm nicht entspricht: allzugroße Beweglichkeit, und andererseits die Vorzüge, die es vor andern hat, schönen Gesangston u. dergl., geopfert; – das ist „stillos“!

In der Malerei hört man nicht selten die Ansicht: Womit man malt, ist doch ganz einerlei! Kann ich mit Pastell oder Aquarell eine Wirkung hervorbringen, die der Oelmalerei entspricht, wohlan! – Das ist aber gerade so falsch wie die Meinung des Cellisten. Jedes Material hat seinen Stil, der sich wie gesagt ergiebt aus seinen Vorzügen, die ausgebeutet werden müssen, und seinen Unzulänglichkeiten, die Beschränkung auferlegen.

Der Pastellmaler z. B. arbeitet mit dicken weichen Farbestiften; das schließt seine Technik schon von allen den Kunstäußerungen aus, die scharfgezeichnete kleine Einzelzüge mit sich bringen wie beispielsweise die Genremalerei. Seine Farbe ist an sich matt, und ihr fehlt mit dem Glanz auch die Tiefe. Das verweist die Pastellmalerei in das Gebiet lichter farbenzarter Erscheinungen; ein Satz, der übrigens am anschaulichsten durch ihre Herkunft – sie stammt aus der Puderzeit – bestätigt wird. Der Ruhm endlich: mein Bild wirkt aber wie ein Oelbild! wird auch nur solange dauern, als dieses nicht wirklich daneben hängt.

Jede Kunst, sei’s welche es sein möge, hat ihr festumgrenztes Reich, in dem ihr gewisse Erfolge von keiner andern streitig gemacht werden können. Verläßt sie es, so wird sie günstigsten Falles mit Gewaltanstrengungen nur das erreichen, was einer andern natürliche Sprache ist; wir brauchen das kaum noch an vielen Beispielen zu beweisen.

Alles in allem haben wir sonach vier verschiedene Anwendungen des Wortes Stil zu verzeichnen gehabt, und zwar Anwendungen auf recht vielartige Erscheinungen. Es wäre nun seltsam, wenn die Sprache für vier verschiedene Begriffe nur ein und dasselbe Wort haben sollte. Wir müssen deshalb wohl annehmen, daß sie alle untereinander in festem Zusammenhang stehen. Sehen wir sie darauf hin noch einmal an, so hieß unsere erste Erklärung: Stil ist die Formenausdrucksweise eines gewissen Zeitabschnitts. Wir fügten hinzu, daß damit jedoch nur eine Gruppe von Leistungen bezeichnet werde, die einzeln genommen unserer zweiten Forderung entsprächen, die war: Stil ist künstlerisch verklärte Zweckmäßigkeit. Beides ist also eigentlich eins! Das eine gilt für eine Summe, das andere fürs einzelne. Die dritte und vierte Erklärung alsdann hieß: Stil ist Weglassen des Unwesentlichen, und Stil ist das bewußte Sichfügen in die Forderungen des Materials. Wir sagen also in der Architektur und in dem Kunstgewerbe zum geschaffenen Dinge: scheine was Du bist, sei wahr! wir streben in den andern bildenden Künsten danach, die Wirklichkeit ihrer Zufälligkeiten zu entkleiden, nach Wahrheit, und verlangen endlich vom Material: rede wie dir der Schnabel gewachsen ist, sprich wahr! So finden wir denn in der Wahrheit das, was alle diese Verschiedenheiten zusammenhält, und können sagen: „Stil ist Wahrheit“. Damit wäre unsere Sprache vollauf gerechtfertigt und zugleich eine Handhabe gegeben, um etwas, das vielfach fälschlich mit Stil bezeichnet wird, die Manier, schroff davon zu scheiden.




Flammenzeichen.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Inzwischen wurden Fürst Adelsberg und sein Gefährte in Gnaden entlassen, sie verbeugten sich soeben vor der Prinzessin, die sich erhob und den Saal verließ; aber die scharfen Züge Ihrer Hoheit hatten einen ungewöhnlich milden Ausdruck und Rojanow besonders wurde mit einem gnädigen Lächeln verabschiedet.

„Hartmut, ich glaube, Du kannst hexen!“ sagte Egon halblaut. „Ich habe zwar schon manche Proben Deiner Unwiderstehlichkeit gesehen, daß aber meine allergnädigste Tante in Deiner Nähe einen förmlichen Anfall von Liebenswürdigkeit bekommt, das ist unerhört, das stellt alle Deine bisherigen Leistungen in Schatten.“

„Nun, der Empfang war doch ungnädig genug,“ spottete Hartmut, „Ihre Hoheit schienen mich anfangs wirklich für eine Art Briganten zu halten.“

„Und nach zehn Minuten standest Du bereits im vollen Sonnenschein der Gnade und wurdest als erklärter Günstling entlassen. Mensch, was hast Du eigentlich an Dir, daß sich alles ohne Ausnahme Deinem Zauber beugt! Man sollte an das alte Märchen vom Rattenfänger glauben.“

Um Hartmuts Lippen zuckte wieder jener herbe, verletzende Spott, der seinem Gesichte auf Augenblicke alle Schönheit nahm und ihm einen gradezu teuflischen Zug gab.

„Ich verstehe eben die Weise zu spielen, die sie am liebsten hören. Sie klingt freilich anders für jede, aber wenn man nur den rechten Ton zu treffen weiß, dann widersteht keine.“

„Keine?“ wiederholte Egon, während sein Blick wie suchend durch den Saal glitt.

„Nicht eine einzige, sage ich Dir!“

„Ja, Du bist ein Pessimist in dieser Beziehung, ich für meine Person lasse wenigstens Ausnahmen gelten. – Wenn ich nur wüßte, wo Frau von Wallmoden geblieben ist, ich sehe sie nirgends.“

„Seine Excellenz wird ihr wohl den Text lesen wegen der undiplomatischen Aeußerung von vorhin.“

„Hast Du diese Aeußerung auch gehört?“ fragte Egon rasch.

„Gewiß, ich stand an der Thür.“

„Nun, ich gönne unserer Allergnädigsten die Lehre von Herzen, sie war selbstverständlich wüthend darüber., aber glaubst Du im Ernste, daß der Gesandte deswegen – still, da ist er selbst!“

Sie sahen in der That den Gesandten vor sich, der soeben aus dem Thurmzimmer zurückkehrte. Eine Begegnung war diesmal

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verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1890, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_212.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)