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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

recht erheblichen Umständen und Kosten verknüpft ist. Man erkundige sich bei dem exportirenden Fabrikanten und man wird die merkwürdigsten Namen vernehmen von Orten, nach denen ihre Ware wandert, vom Hause des deutschen Gouverneurs in Kamerun bis zur einsamen Farm im amerikanischen Westen. Für solche Klavierbesitzer ist ein zünftiger Stimmer unter gewöhnlichen Verhältnissen einfach unerreichbar; sie müssen, wenn sie nicht unter ewiger Verstimmung leiden wollen, zur Eigenhilfe greifen, und da ist allerdings eine Erfindung mit Freuden zu begrüßen, die diese Eigenhilfe weniger „schrecklich“ macht.

Eine solche Erfindung nun ist „Wilhelm Fischers patentirte Stimmvorrichtung, D. R. P. Nr. 40440“. Sie besteht im wesentlichen in der Ersetzung des Stimmwirbels durch die Stimmschraube. Wir wollen versuchen, unsern Lesern ein Bild von derselben zu machen.

Die Anwendung von Stimmschrauben an Stelle der gewöhnlichen Wirbel oder Stimmstifte ist 1845 von Morgenstern und sodann kurz nach der Pariser Weltausstellung 1867 in Deutschland mehrfach versucht worden. Als das beste Ergebniß dieser Versuche erschien die Stimmvorrichtung des Königsberger Pianofortefabrikauten Gebauhr, welcher von der Jury der Wiener Weltausstellung im Jahre 1873 durch Verleihung der Fortschrittsmedaille

ausgezeichnet wurde. Der Gebauhrsche Stimmapparat erwies sich jedoch nicht hinreichend leistungsfähig und verschwand mit der Zeit wieder aus den Pianofortewerkstätten. Auch ein weiterer, von den Franzosen ausgehender Versuch einer Stimmschraubenvorrichtung konnte im praktischen Pianofortebau nicht durchdringen, obgleich amerikanische Fabrikanten, durch denselben angeregt, einzelne Pianino und Flügel mit Stimmschrauben versahen.

Jenen nicht gelungenen Versuchen ist die neue Stimmvorrichtung von Wilhelm Fischer in Leipzig als eine in allen Einzelheiten vorzüglich durchgeführte Leistung entgegenzusetzen. Dieselbe ist als der bedeutendste Fortschritt in dieser Richtung zu bezeichnen und scheint berufen zu sein, die früheren mit Schwächen behafteten Einrichtungen im Stimmwesen vollständig zu verdrängen. Die Stimmvorrichtung von Fischer ist um so leichter einzuführen, als sie nur eine geringe Aenderung in der gewöhnlichen Konstruktion der Flügel und Pianino bedingt.

Zum besseren Verständniß des Gegenstandes möge die beigegebene einfache Zeichnung dienen. In dieser ist die Saite mit a, der Winkel mit b, die Millimeterschraube mit c und die das Ganze zusammenhaltende Eisenplatte mit d bezeichnet. Diese kräftige Eisenplatte d ist an die Stelle des bisherigen Stimmstockes aus Holz gesetzt, sie ist in einheitlicher Form mit dem Eisenrahmen des Instrumentes gegossen, mit welchem sie ein unverrückbares Ganzes bildet. An die Stelle des sonst üblichen Wirbels oder Stimmstiftes ist in der Fischerschen Stimmvorrichtung der metallene Winkel b getreten. Derselbe findet seinen Stützpunkt in einer halbkreisförmigen Vertiefung der Eisenplatte d; an seinem unteren Schenkel ist die Saite a befestigt, während die Millimeterschraube c, welche ihr Gewinde in derselben Eisenplatte hat und dem Winkel gleichzeitig festen seitlichen Halt giebt, durch ihren Druck auf den anderen Winkelschenkel der Saite die nöthige Spannung giebt und durch ihre mit einem Schraubenzieher ungemein leicht zu bewerkstelligende Drehung die Saite in die gewünschte Tonhöhe bringt. Jene Metallwinkel bedürfen kaum eines größeren Raumes als die Wirbel, mit welchen sie auch die örtliche Anordnung gemein haben. Da bei der Fischerschen Stimmvorrichtung die Saiten an den beiden Enden ihre Befestigung im Eisen haben (nicht im Holz, wie bei einem gewöhnlichen Stimmstock mit Wirbeln), so verbürgt diese Konstruktion die denkbar längste Haltbarkeit der Stimmung; sie ermöglicht aber auch, wegen des engen Gewindes der regulirenden Schraube, die geringsten Tonveränderungen, was, wie oben angedeutet, ganz besonders für die höheren und höchsten Lagen des Bezuges vom größten Werthe ist. Die ungemein leichte Handhabung macht das sonst so schwierige Geschäft des Stimmens auch dem Laien ohne weitere Uebung möglich, wenn derselbe ein gutes Gehör besitzt und die Intervalle für die temperirte Stimmung richtig zu beurtheilen weiß. Jedenfalls ist von allen Stimmvorrichtungen diejenige mit der Fischerschen Millimeterschraube die einfachste, zuverlässigste und verhältnißmäßig billigste. Außerdem hat sich dieselbe in der Praxis trefflich bewährt; denn die Leipziger Pianofortefabrik von Fischer und Fritzsch, deren Mitbesitzer der Erfinder ist, hat bereits eine große Anzahl ihrer mit der angezeigten Vorrichtung versehenen Flügel und Pianino versandt und allenthalben Anerkennung der Vorzüge gefunden. Prof. Dr. Oskar Paul.




Blätter und Blüthen.

Frauenbildung. Unter diesem Titel hat Helene Lange eine Schrift (Berlin, L. Oehmigkes Verlag) herausgegeben, in welcher sie für die wissenschaftlichen Studien der Frauen und für ihre Berufsthätigkeit in einzelnen Fächern eine Lanze einlegt. Jedenfalls enthält die Schrift, der man Freimuth der Meinungsäußerungen und Wärme der Darstellung nachrühmen muß, eine Menge interessanter Angaben über die englischen Verhältnisse auf dem Gebiete der Frauenbildung. Von den dortigen Anstalten, welche erwachsenen Mädchen eine gründliche Ausbildung zu theil werden lassen, wurde als die erste Queens College in London im Jahre 1848 errichtet. Dies College stand stets und steht noch heute unter männlicher Leitung und befolgt den Schülerinnen gegenüber ein vorsichtiges Anpassungssystem. In demselben Jahre gründete Miß Reid in London, anfangs nach dem Vorbilde des erwähnten College, ein zweites, Bedford College, welches sich aber später höhere Ziele steckte und unmittelbar auf die Prüfungen der Londoner Universität vorbereitete. Seit jener Zeit hat sich eine vollständige Umwälzung in der Frauenbildung vollzogen. Wesentlich darauf eingewirkt haben die bahnbrechenden Schriften von Miß Emily Davies; doch auch tonangebende Gelehrte förderten die Bewegung. In der Nähe von Cambridge wurde 1872 das Girton College eröffnet, das gegenwärtig über hundert Studentinnen birgt. Hier halten auch einzelne Professoren von Cambridge Vorlesungen. Seit der Gründung des College haben 129 Girtonians ihr Examen ehrenvoll in Cambridge bestanden und zwar 44 in klassischer Philologie, 36 in Mathematik, 1 in Mathematik und Geschichte, 23 in Naturwissenschaften, 14 in Philosophie, 8 in Geschichte. Aehnliche günstige Ergebnisse hat das in Cambridge selbst befindliche Newnham College aufzuweisen. Als ein Wunder der Gelehrsamkeit wird Miß Ramsay gefeiert, die beim Examen in der klassischen Philologie die höchsten Ehren errang. Die „Times“ schreiben über sie:

„In der That, eine erstaunliche Leistung! Miß Ramsay stand den philologisch durchgebildeten jungen Leuten unserer besten öffentlichen Schulen gegenüber, und sie hat ihre Nebenbuhler auf deren eigenem Gebiete geschlagen. Ja, sie hat sich ihnen allen um den Unterschied einer ganzen Abtheilung überlegen gezeigt, ist nicht nur die erste einer Klasse, zu der mehrere andere Kandidaten zugelassen werden, nein, sie befindet sich in der ganzen ersten Abtheilung allein. Zu einer gleich hohen Auszeichnung ist noch nie ein männlicher Student gelangt.“ Doch sie hat bald darauf ihren Mitbewerbern das Feld geräumt, indem sie sich mit dem Master vom Trinity College in Cambridge verheirathet hat.

Ein wichtiges Ziel war die Berechtigung der Frauen zu den akademischen Graden. Auch dieses wurde erreicht; im Jahre 1878 wurde die Londoner Universität mit allen ihren Graden den Frauen eröffnet.

Im Jahre 1886 wurde in Gegenwart der Königin das Royal Holloway College eröffnet, das schon wegen der Großartigkeit seiner Gebäude besondere Erwähnung verdient. Es liegt etwa anderthalb Stunden von London nahe bei Egham auf einem mäßigen Hügel inmitten einer der lieblichsten englischen Landschaften. Die Gebäude sind wahrhaft fürstlich. Die für ihre Errichtung und Ausstattung verwendeten Summen belaufen sich auf 600000 Pfund Sterling. (12000000 Mark), sie sind im französischen Renaissancestil gehalten und umschließen zwei durch ein Quergebäude getrennte Höfe. Das College hat 1000 Zimmer und 3000 Fenster, ist auf etwa 250 Studentinnen berechnet, hat Dampfheizung, elektrische Beleuchtung, weitläufige wirthschaftliche Baulichkeiten und eine Gemäldegalerie im Werth von 90000 Pfund Sterling.

Was die Berufswahl der wissenschaftlich gebildeten Frauen betrifft, so galt als besonders unweiblich die Medizin, schon bei der Abstimmung über die Freigebung der Londoner Universitätsgrade stieß diese bei den Medizinern auf die stärkste Opposition. Der erste weibliche Arzt war Miß Elisabeth Garrett; in Edinburgh wurde Miß Jex Blake im Jahre 1869 als erste Studentin der Medizin aufgenommen; doch das führte zu den häßlichsten Scenen und die zum Studiren zugelassenen Frauen siedelten nach London über. Eine unabhängige Hochschule für Aerztinnen wurde 1874 in London eröffnet; sie steht gegenwärtig in Blüthe. Bis jetzt sind 60 Frauen in das Register der staatlich anerkannten Aerzte eingetragen. Nicht in den vornehmsten, aber in den gebildetsten Kreisen und unter den Armen finden sie hauptsächlich ihren Wirkungskreis. Auch giebt es Hospitäler für Frauen, die nur von Frauen geleitet werden.

Papst Julius II. besichtigt die ausgegrabene Statue des Apollo von Belvedere. (Zu dem Bilde S. 432 u. 433.) Ueber die Entstehung dieses Gemäldes giebt uns der Künstler, Professor Karl Becker ist Berlin, selbst nähere Auskunft. Während seines Aufenthalts in Rom im Winter 1880 bis 1881 malte er die ausführliche Studie einer Halle, welche seiner Zeit von Papst Julius II. in der Nähe des Weges nach der Via Appia erbaut worden war und die jetzt sehr versteckt in Weingärten liegt. Einige Zeit darauf las er, daß zu jener Zeit, im Jahre 1495, die Statue des Apollo bei Ostia gefunden und vom Papste angekauft worden sei. So entstand das Bild, indem der Maler annahm, daß der Papst nach der Reinigung und Wiederherstellung der Statue dieselbe in der von ihm erbauten Halle aufstellen ließ und sie dort zunächst mit seinem Gefolge und mit den damaligen berühmten Künstlern in Augenschein nahm, ehe sie in dem berühmten „Hof des Belvedere“ im Vatikan, von welchem sie ihren Namen bekommen hat, dauernde Unterkunft fand.

Wir sehen auf dem Bilde den kunstsinnigen Papst in das Anschauen des antiken Meisterwerkes, über dessen Urheber die Kunstforscher heute noch nicht einig sind, vertieft, neben dem Papste den Baumeister Bramante, welcher mit Beredsamkeit und Begeisterung dem Kirchenfürsten die nöthigen Erklärungen giebt, etwas weiter zurück den idealen Künstlerkopf Raphaels, der in schwärmerische Bewunderung der Statue vertieft ist. Auf der andern Seite im Vordergrund steht Michel Angelo, der kraftgeniale Meister mit den ernsten bedeutenden Zügen, und neben ihm sitzt seine berühmte Freundin Viktoria Colona, aus deren Augen ein feuriger Dichtergenius leuchtet.

Das ganze Bild athmet den Geist der Renaissanceepoche in einer idealen Beleuchtung, durch welche besonders die Züge der Künstler und Künstlerinnen verklärt sind. Es befindet sich jetzt in einer der größten Kunstsammlungen Amerikas, der Corcoran Gallery in Washington.

Fallschirme. (Mit Abbildung S. 429.) Es giebt Erfindungen,

die nach Jahren aufgewärmt werden und vielen neu erscheinen, weil sie inzwischen von der große Masse vergessen wurden. Eine solche Erfindung ist der Fallschirm. Der berühmte Leonardo da Vinci war der erste, der das Projekt eines Fallschirmes beschrieb und zeichnete; hundert Jahre später regte der venetianische Architekt Fausto Veranzio die Idee von neuem an und wir haben eine Abbildung seiner Zeichnung im

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_445.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)