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verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

allzu hohe Einfriedigung eingeschlossen, die prächtige Bronzegruppe: „Christoph Columbus bringt Amerika seinem Europa dar“, ein Geschenk der Kaiserin Eugenie an den Präsidenten Mosquera, ihren entfernten Verwandten.

Vom hohen Meer aus giebt es nichts Reizenderes als den Blick auf die Stadt und die Reede von Colon. Links erscheinen die niedrige Insel Manzanillo und die weißen, von Kokospalmen beschatteten Häuser der Stadt, rings umher ist die Ebene mit Wäldern bedeckt, welche die Limonbai umgürten, rechts und links von dieser steigen in einiger Entfernung die Höhen von Mindi und Puerto Bello auf, während geradeaus im bläulichen Hintergrund niedrige Hügel den Rücken bilden, der die Ebenen der atlantischen Küste von denen der pacifischen trennt.

Der Bau der Bahn wurde im Januar 1850 in Angriff genommen, am 28. Januar 1855 konnte sie eröffnet werden. Es sind ungeheure Anstrengungen nöthig gewesen, um diese doch nur 75 Kilometer lange Strecke zu vollenden, und Tausende von Menschenleben wurden dabei geopfert. Gerade das Letzte ist aber ebenso häufig bestritten wie arg übertrieben worden. Gehört es auch ins Bereich der Fabel, wenn man rührend erzählte, wie vom Heimweh ergriffene Chinesen sich während der Ebbe an die Küste des Stillen Oceans setzten und ohne Klage, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung die steigende Fluth erwarteten, bis sie der feuchte Tod aus ihren Sklavenketten befreite – denn die Chinesen arbeiteten im Mittelpunkt des Isthmus –, so ist es doch sicher, daß viele von ihnen, sobald sie das Fieber in ihren Gliedern spürten, sich selbst ums Leben brachten oder sich von ihren Landsleuten den Tod geben ließen. Man holte Engländer, Deutsche, Irländer, Franzosen, Neger, ostindische und chinesische Kulis herbei, aber unter allen räumte das Klimafieber in grauenerregender Weise auf. In der ersten Zeit, in der gerade die schwersten Arbeiten zu verrichten waren, hatte man nicht die geringsten Anstalten getroffen, die Kranken zu pflegen, erst 1852, also volle zwei Jahre nach Beginn des Unternehmens, fing man an, einen Sanitätsdienst einzurichten; auf Manzanillo erhoben sich einige Holzbaracken, die Magazine von Colon wurden mit den nöthigen Vorräthen ausgestattet und längs der Bahn schlug man Schuppen auf, in denen die Arbeiter Schutz vor Sonne und Regen finden konnten. Nach den Angaben der Eisenbahngesellschaft freilich sollen während des Baues nur 293 Weiße gestorben sein und doch waren häufig bei 7000 Arbeiter zu gleicher Zeit auf den Bauplätzen.

Die Kosten des Baues stellten sich trotz der geringen Länge außerordentlich hoch; sie beliefen sich auf über 8 Millionen Dollars. Die ersten 19 Kilometer von Colon aus führen durch überaus sumpfiges Terrain, in welchem die Schienen zum Theil auf eingerammten Pfählen liegen; zur Ueberschreitung der mäanderartig die Landschaft durchschlängelnden Flüsse waren nicht weniger als 170 Brücken von 4 bis 200 Meter Spannweite nöthig. Die größte derselben ist die Brücke über den Chagres, die jetzt, um den zerstörenden Einflüssen der Insekten und der Witterung zu trotzen, wie die meisten anderen aus Eisen erbaut ist. Zu diesen Einflüssen kommt eine mächtig wuchernde Vegetation, in deren Umarmung die Bahn sehr bald verschwinden würde, führte nicht ein Heer von Arbeitern mit derselben einen unablässigen Kampf um das Terrain. Die Bahn ist eingeleisig, hat aber bequeme Ausweichstellen und alle 61/2 Kilometer befindet sich ein Haus für den Bahnwärter. Früher nahm man dazu Weiße, später wurde ersparnißhalber die Pflege der Bahn ausschließlich Negern anvertraut. Ueberhaupt ist der Betrieb der denkbar einfachste. Es giebt nur eine Wagenklasse und von Bahnhöfen und Billetschaltern ist keine Rede. Die Passagiere steigen ungehindert ein und wählen selbst ihre Plätze, erst unterwegs wird die Zahlung gefordert; nur höchst selten sieht sich der Zugführer gezwungen, zu halten und einen Zahlungsunfähigen der freien Luft und dem Urwald zu übergeben.

Die Zahl der Reisenden, welche den Isthmus benutzten, wuchs mit der Eröffnung der Bahn sogleich in außerordentlicher Weise, zumal zu den vielen schnell gebildeten Dampferlinien noch die trat, welche Europa über Panama und Tahiti mit dem gleichfalls unter dem Zauber reicher Goldfunde schnell aufblühenden Australien verband. Im Jahre 1859 erreichte der Personenverkehr seine höchste Ziffer mit 46 976 Fahrgästen. Dazu kam der Transport der kolossalen Gold- und Silbermassen und Edelsteine, während der von anderen Waaren bei den sehr hohen Spesen ein geringer war.

Nach dem Bericht des Ingenieurs Totten, des Erbauers der Bahn, wurden in den 12 Jahren von 1855 bis 1866 befördert 396 032 Reisende, für 501 Millionen Dollars Gold, für 147 Millionen Dollars Silber, für 7 Millionen Dollars Juwelen und 614 535 Tonnen Güter.

Seitdem aber nahm der Verkehr gewaltig ab, namentlich seit Eröffnung der nordamerikanischen Pacificbahn und der bald darauf folgenden Verlegung der Station für die australischen Dampfer nach San Francisko und der Eröffnung zahlreicher Dampferlinien um das Kap Horn nach der Westküste Südamerikas. Noch immer freilich wußten Reisende die Fahrt über den Isthmus mitten durch Wälder, die noch in ihrem herrlichsten, in keinem Theil der Erde übertroffenen Urschmuck prangten, als eines der sinnberauschendsten Schauspiele zu preisen, welche das Auge des Naturfreundes zu genießen vermag, aber das praktische Interesse an dieser Bahn nahm immer mehr ab, so daß schließlich die bisherige jährliche Zahlung von einer Viertelmillion Dollars an die columbianische Regierung eingestellt werden mußte und die Verwaltung sich unschwer entschloß, ihren Besitz und ihre Gerechtsame an die von Lesseps zur Durchstechung des Isthmus gebildete Gesellschaft abzutreten.




Die Gralsburg.

(Mit Illustration S. 56 und 57.)

Gralszinnen, unerfindbar Klugen,
Gemeinem ewig unnahbar,
Die fromm zu Euch ihr Wehsal trugen,
Sehn Aether, Sein und Schicksal klar! –

5
Baumkronen, Laubgewölbe tragend

Umschließen Himmelseinsamkeit,
Am Chor die Wächter schauen fragend
Und tief bekümmert in die Zeit.

Es leuchtet die smaragdne Schale,

10
In die das Blut vom Kreuze floß,

Sie scheint mit hellem Wunderstrahle
Durch Mauern in der Welle Schoß.
Wer ihr Erglühen sieht, gesundet
Und trüg er Leiden noch so schwer,

15
Amfortas aber liegt verwundet,

Wo käm’, der ihn ersetzte, her?

O Wunden, die unheilbar bluten,
O Sehnsucht, niegestillte Qual!
Des Zaubers Fluch umstrickt die Guten,

20
Wer hilft uns, wer beschützt den Gral?

Wo wird solch treuer Muth gefunden,
Weß Schwert und Seele blieb so rein?
Die Morgen flieh’n, die Abendstunden,
Und ach, noch trat kein Retter ein!

25
Wenn aus den Felsgeklüften flöge

Der Basilisken Brut hervor,
Und an den heil’gen Strahlen söge,
Wer hielte seinen Schild davor?
Wenn aus dem See die Nixe tauchte

30
Mit Schlangengier, wenn an den Gral

Der Molch mit gift’gem Odem hauchte,
Wer höb’ dagegen seinen Stahl? –

Was müht Ihr Wächter Euch, zu schauen
Ins Thal und wo die Woge rollt?

35
Ein Kind noch ist, in Hut der Frauen,

Der Held, den Ihr erwarten wollt;
Der Euch wird Herr sein und Euch retten,
Ist noch in Haft von Wald und Nacht;
Der brechen soll der Sünde Ketten,

40
Wird noch zuvor von ihr verlacht. –
Hermann Lingg.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1889, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_060.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2020)