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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

No. 4.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


 

Lore von Tollen.

Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
(Fortsetzung.) Roman von W. Heimburg.


Warum bist Du denn eigentlich aus der Gesellschaft fortgegangen?“ grollte Rudolf. „Man hat’s doch wahrhaftig nicht an Aufmerksamkeiten fehlen lassen für Dich! Aeußere Dich doch wenigstens zur Sache, damit ich dem armen Kerl, dem Adalbert, sagen kann: so und so; der ist ja rein außer sich.“

„Ich will nicht Unverschämtheiten von einem Halbberauschten anhören,“ erwiderte Lore und schlug den Zipfel ihres Radmantels, der aus einem alten türkischen Shawl der Mutter gemacht war, über die Schulter, denn der kalte Nachtwind fiel sie jetzt mit aller Gewalt an.

„Berauscht? Unverschämt?“ fragte der Lieutenant, dem ebenfalls der Champagner im Kopfe saß. „Er hat Dir jedenfalls etwas gesagt von seiner Neigung, aber das ist doch immer noch keine Beleidigung? Ihr seid himmlisch, Ihr Mädels, wahrhaftig!“

Lore ging schnell und schneller. „Laß doch das!“ bat sie.

„Nein, zum Kuckuck! Der arme Kerl dauert mich. Er liebt Dich, Lore! Ich dächte, Du solltest froh sein, aus dem Geächze und Gekrächze zu Hause endlich heraus zu kommen. Und – was willst Du denn überhaupt noch weiter? Er ist –“

Das laute Sprechen verstummte plötzlich; Lore, die vor ihm herging auf dem schmalen Trottoir, hatte sich umgewendet, das flackernde Licht der einzigen Laterne, die während der ganzen Nacht an der Rathhausecke brannte, der Feuerwache wegen, die sich dort befand, beleuchtete ihr zorniges, schönes Gesicht und zeigte ihre sprühenden Augen. „Was ich noch weiter will?“ sagte sie. „das fragst Du, der Du noch vor kurzem diesen Menschen als einen Emporkömmling der allergewöhnlichsten Sorte bezeichnet hast?“

„Ich habe ihn seitdem näher kennen gelernt, er ist wirklich so übel nicht,“ erklärte der Bruder trotzig. „Aber so geh’ doch, so geh’ – es ist ein teufelsmäßiger Zug hier.“

Aber sie ging nicht. „Du nennst Dich ja Du mit ihm,“ fuhr sie fort, „scheinst also sein Freund geworden zu sein? Nun, so nimm denn Du auch die Antwort für ihn: ich könne ihn nicht ausstehen – sag’ ihm das; er sei mir der unsympathischste Mensch, der mir je begegnet, und er solle sich hüten, noch ein einziges Mal derartiges zu mir zu sprechen, er soll sich hüten!“

Der Mantel flog im Winde von ihrer Schulter; sie sah unheimlich drohend aus in diesem Moment.

„Werde nur nicht tragisch,“ sagte der Lieutenant trocken, „er ist ein guter Kerl und gut situirt dazu, auch durchaus nicht eingebildet.

Vor dem Maskenball. Nach dem Oelgemälde von J. V. Carstens.
Photographie im Verlage von Fr. Hanfstängl in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_053.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)