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und Tischer) und schlug die Tafel IV auf, die im verkleinerten Maßstabe in unserer Fig. 1 wiedergegeben ist.

Fig. 1. Ein „böser“ Gußstein.

„Verehrte Freundin,“ sagte ich, „Ihr Gußstein ist ungefähr ebenso beschaffen wie dieser hier, den der Zeichner abgebildet hat. Das Abflußrohr mündet unmittelbar in die Schleuse, welche allen Unrath der Straße fortführen soll, und wie es in einer solchen Schleuse aussieht, das können Sie sich gewiß denken. Dort verwest und zersetzt sich alles, dort herrscht der übelste Geruch, dort brüten alle möglichen Bakterien und natürlich auch die bösen, welche allerlei Krankheiten erzeugen. Durch diesen Gußstein steht Ihr schönes Haus mit den unterirdischen Kloaken in Verbindung. Nur allzu oft entsteht in dem Abflußrohr ein Luftzug, wie ihn die Pfeile auf der Abbildung andeuten, die schreckliche, greuliche Kanalluft steigt in dem Rohre empor und verbreitet sich in der Küche, in dem Vorsaal, in Ihrer gesammten Wohnung. Diese Kanalluft ist nicht nur unangenehm, sondern auch schädlich, schon oft wurden durch dieselbe Krankheiten hervorgerufen, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß Sie sowohl Ihren „nervösen“ Kopfschmerz wie die Krankheiten Ihrer Kinder lediglich diesem Gußstein zu verdanken haben!“

„Aber das ist geradezu abscheulich!“ rief die Hausfrau. „Was soll ich thun? Ich muß ja einen Gußstein haben und andere Leute haben ihn auch und klagen nicht über üblen Geruch.“

Fig. 2. Der „Wasserverschluß.“

„Ja, sehen Sie,“ erwiderte ich, „die anderen Leute haben das Glück, bei gebildeteren und gewissenhaften Hausbesitzern zu wohnen, die derartige Gußsteine nicht dulden und sie längst durch bessere ersetzt haben. Bitte, sehen Sie nur dieses Bild an (Fig. 2)! Bei diesem Gußstein ist das Abflußrohr bei A knieförmig gebogen und durch diesen äußerst einfachen Kunstgriff die überaus wichtige Thatsache erreicht, daß die Wohnräume nicht mehr in Verbindung mit den Schleusen und Kloaken stehen. In der knieförmigen Beugung des Rohres bleibt, wie das auf der Abbildung angedeutet ist, immer Wasser zurück, und dieser Wasserverschluß genügt vollständig, um den Kanalgasen den Zutritt in die Wohnräume zu versperren. Solche Gußsteine riechen nicht, und Sie und Ihre Hausgenossen werden das Beste thun, wenn Sie der braven armen Hausfrau im dritten Stockwerk Abbitte leisten und den Hauswirth veranlassen, einen Wasserverschluß an den Gußsteinen anzubringen.“

Ob die Abbitte geleistet wurde, weiß ich nicht. Der Hauswirth aber mußte dem vereinten und gerechten Ansturm erliegen. Es wurden richtige Abflußrohre angebracht und mit der guten Luft zog auch Frieden in das Haus ein. Thatsächlich verschwand auch der Kopfschmerz der Hausfrau und die Kinder kränkelten nicht mehr.

Bis dahin hatte ich mich wenig mit Gußsteinen befaßt. Bald darauf ging ich aufs Land, fuhr mit „Bimmelbahnen“ oder wie sie anders heißen: Sekundärbahnen in kleine Städtchen, die noch abseits vom Weltverkehr liegen, und machte hier, durch den oben erwähnten Fall angeregt, „Gußsteinstudien“. Ich war indiskret genug, in fremde Küchen einzudringen, und fand, daß der einfache Wasserverschluß beim Abflußrohr, der sonst baupolizeilich vorgeschrieben wird, keineswegs allgemein verbreitet ist. Da dachte ich mir, daß es doch zweckmäßig sein müsse, diese hygienische Angelegenheit an die große Glocke zu hängen, und faßte den Entschluß, einen Bericht über die „Lebensgefahr im eigenen Hause“ für die weitverbreitete „Gartenlaube“ zu schreiben.

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Zu dem fehlerhaften Gußsteine haben wir nur eine Quelle entdeckt, durch die gesundheitsschädliche Stoffe in unser Wohnhaus dringen können. Dieselbe Gefahr bergen aber alle Abflußrohre des Hauses, die Abflußrohre der Badeeinrichtung und der Wasserklosetts. Pridgin Teale hat in seinem Werke eine ganze Reihe ähnlicher fehlerhafter Anlagen abgebildet, die Krankheiten verursacht haben und deren Studium den weitesten Kreisen zu empfehlen ist.

Fig. 3. Ein gefährliches Dachrohr.

Auf welchen seltsamen Umwegen die Ansteckungsstoffe in unsere Wohnung Eingang finden können, beweist die Fig. 3. Das Dachrohr, welches gerade unter dem Fenster eines Schlafzimmers mündet, steht mit einem Abzugskanal in Verbindung. Die schlechten Gase, welche in dem Dachrohr emporsteigen, dringen unmittelbar in das Schlafzimmer ein, wie die Pfeile es andeuten. Die wenigsten haben wohl bis jetzt daran gedacht, daß die Nachbarschaft eines Dachrohres ihre Gesundheit schädigen könne, und dennoch sind nicht selten Erkrankungen infolge dieser fehlerhaften Anlage festgestellt worden. Vor einigen Jahren wurde z. B. die Entstehung typhöser Fieber auf der Universität Cambridge auf eine solche Ursache zurückgeführt. – Aber nicht allein durch die Luft werden Krankheitskeime verbreitet; auch das Trinkwasser ist der Träger derselben und die Verunreinigung der Hausbrunnen verdient um so mehr unsere Aufmerksamkeit, als sie tief unter der Erde zu geschehen pflegt und sich unsern Blicken entzieht. – Die Abbildung „Wie Leute Kanalwasser trinken“ (Fig. 4) veranschaulicht uns die Verunreinigung von Brunnenwasser durch schlecht gedichtete oder zerbrochene Rohre, deren Inhalt in einen Brunnen durchsickert. Solche Fälle kommen namentlich in kleineren Städten und Dörfern, die keine öffentliche Wasserleitung besitzen, oft vor. Pridgin Teale bemerkt in seiner Erläuterung zu dieser Abbildung:

Fig. 4. Wie Leute Kanalwasser trinken.

„Ein Brunnen kann lange Zeit durch Kanalflüssigkeit verunreinigt sein, ehe Krankheiten dadurch entstehen. Man könnte die Entstehung einer Epidemie von Unterleibstyphus, welche vor etwa zehn Jahren in einer großen Schule vorkam, beinahe „klassisch“ nennen. Durch Fürsorge und mit großen Kosten hatte man die Knaben in dieser Schule lange in guter Gesundheit erhalten; doch als einst nach den Ferien alle wieder versammelt waren, erkrankte ein Knabe an Unterleibstyphus, welchen er sich zu Hause zugezogen hatte. Man brachte ihn in die Krankenstation der Schule, deren Wasserklosett in einen Kanal führte, der dicht an dem Schulbrunnen vorbeilief. In Zeit von vierzehn Tagen lagen 30 Knaben krank an demselben Fieber. Eine genaue Untersuchung ergab, daß das Abflußrohr schadhaft war und die aussickernde Flüssigkeit den Brunnen verunreinigt hatte. Sowohl der Brunnen wie das Kanalisationsrohr waren sehr gut und richtig angelegt, das Rohr befand sich jedoch zu nahe bei dem Brunnen, so daß da, wo infolge eines Rattenganges eine Senkung stattgefunden hatte und die Fugen undicht geworden waren, das entweichende Kanalwasser durch kleine Risse im Cementmörtel in den Brunnen eindringen mußte. Im vorliegenden Falle brachte das verunreinigte Wasser erst dann Fieber hervor, als durch einen Typhuskranken typhöse Darmentleerungen ins Trinkwasser gelangten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_034.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)