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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Bedingung zur Aufbesserung seiner geringen Apanage zu erfüllen, von Dora Jordans endlich getrennt, und es wirft ein häßliches Licht auf den Charakter des so schwärmerischen Prinzen, daß das verstoßene Weib gebrochenen Herzens nochmals auf die Bühne hatte zurückkehren müssen, um sich und ihre Kinder zu ernähren. Das war das jammerwürdige Los derjenigen geworden, mit der er fast zwanzig Jahre lang ein Liebesleben geführt, das ihm Karoline versagt hatte. Schmählich und in Armuth gestoßen, mußte Dora es büßen, eines Prinzen Geliebte geworden zu sein. Wie war es nur möglich, daß nun der Prinz noch wieder diejenige zu sich zurückrufen wollte, die ihm feierlich entsagt und gleichsam ihr zweites Leben weit weg aus seinen Kreisen und in Aermlichkeit gesucht hatte? Zudem war seine Thronfolge ihm auch wieder nähergerückt. Man verlangte nämlich in England, da inzwischen sein ältester Bruder die Regentschaft für den unheilbar irrsinnig gewordenen und in Windsor eingesperrten Vater erhalten, daß Prinz William eine standesgemäße Ehe eingehe. Aber wie konnte er sich dann an seine geschiedene Gattin wenden, die wegen ihrer Unebenbürtigkeit ihm hatte entsagen müssen? Es drängen sich Fragen auf, deren Beantwortung heute niemand mehr möglich ist. In Karoline aber hatte er mit seinem Versuch, wieder mit ihr in Verbindung zu treten, die zurückgedrängte Leidenschaft für ihn in frevelhafter Weise wieder lebendig gemacht. Den Scheintod dieser Leidenschaft brach er damit, und die mächtig wieder hervorquellenden Erinnerungen der Kranken an den Traum ihres Jugendlebens umgaukelten sie, indeß sie körperlich mehr und mehr der Auflösung entgegenging. Das Feuer, in dem einst ihr Herz geglüht, loderte von neuem auf und verzehrte es. In wunderbarer Weise fand ihr Mädchentraum, aus dem sie so jäh in eine nüchterne Wirklichkeit gerissen worden, seine Fortsetzung nach vielen Jahren und sein sie beseligendes Ende mit ihren letzten Athemzügen. Das Ideal, von dem sie geblendet gewesen, erschien in lichtem Glanz wieder an ihrem Sterbebett. Im Traum sah sie William, wie er, ermüdet von der Schlacht, einsam am Wachtfeuer des Lagers sitzt und ihrer gedenkt. … Sie sah ihn …

„Unnennbar süß, in Wehmut halb verloren,
Umspielt ein Lächeln seinen schönen Mund;
‚Verschmähst Du noch,‘ so klang zu meinen Ohren
Sein Zauberlaut, ‚der treusten Liebe Bund?
O nahe Dich, Geliebte! Hat mein Leiden
Bewegt denn endlich Deinen strengen Sinn?
Du findest hier mich, wo zu stillen Freuden,
Zu sanften Schmerzen nun geweiht ich bin.‘
     Sein Laut erstarb. – Willst Du mir ahnend winken,
Mein dunkles Los? Er bot mir sanft die Hand;
Ich wollte liebend an die Brust ihm sinken –
Da kam der morgen und mein Traum verschwand.“

In diesem Traum, den sie in einem Gedicht beschrieben, gab sie ihm die Antwort auf seine letzte ungestüme Frage: „Weib meiner Jugend, sind wir denn ganz getrennt?“

Mit Sehnsucht nach dem Tode fragte sie zurück:

„Willst Du mir ahnend winken, mein dunkles Los?“

Und im Traum von ihm entschlummerte sie im Sommer 1815, um nicht wieder zu erwachen. Todt ein zweites Mal und wirklich todt mit 45 Jahren. Genau zur selben Zeit starb in einem kleinen Hause von St. Cloud, wohin sie sich aus England wegen Schulden geflüchtet, die arme Dora Jordans. Prinz William aber heirathete 1818 die Prinzessin Adelheid von Sachsen-Meiningen, bestieg als Wilhelm IV. den englischen Thron, und als König sorgte er auch für die Kinder Doras.




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Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Erna zuckte zusammen, als Waltenberg auf sie zutrat, und wich zurück; es war eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens und Widerwillens, die ihm nicht entgehen konnte; er lächelte, aber es war ein Lächeln der tiefsten Bitterkeit.

„Fürchtest Du meine Nähe so sehr? Ich bedaure, sie Dir trotzdem aufdrängen zu müssen, denn ich habe mit Dir zu reden.“

„Jetzt? In dieser Stunde, wo der Tod über unsere Schwelle geschritten ist?“ fragte das junge Mädchen in müdem vorwurfsvollen Tone.

„Gerade jetzt, später möchte ich – den Muth verlieren.“

Die Worte klangen so seltsam dumpf und gepreßt, daß Erna betroffen aufblickte. Ihre Augen begegneten den seinigen, aber sie fanden dort nicht mehr jene lodernde Gluth, die sie in der letzten Zeit so namenlos geängstigt hatte. In diesem dunklen Blick glühte jetzt etwas anderes, war es Haß oder Liebe, oder vielleicht beides zugleich – sie wußte es sich nicht zu deuten.

„So sprich!“ sagte sie matt. „Ich höre.“

Er schwieg noch immer und sah sie unverwandt an, endlich sagte er mit schwerem Nachdruck:

„Ich komme, Dir Lebewohl zu sagen.“

„Du willst abreisen? Jetzt, noch ehe der Onkel zur letzten Ruhe gebettet ist?“

„Ja – um nicht zurückzukehren! Da mißverstehst mich, Erna; es handelt sich hier nicht um Tage oder Wochen, das Lebewohl gilt unserer Trennung.“

„Trennung?“ Das junge Mädchen sah ihn ungläubig, halb verständnißlos an, die Botschaft kam zu jäh und unvermittelt, um sofort begriffen zu werden.

„Du scheinst nicht an meine Großmuth zu glauben,“ sagte Ernst im herbsten Tone. „Freilich, noch gestern hätte ich Euch beide, Dich und Deinen Wolfgang, eher vernichtet, als Dir die Freiheit zurückgegeben. Das ist vorbei – er hat es mich gelehrt, wie man seine Gegner zwingt. Denkst Du, ich kenne die Hand nicht, die mich emporriß, als ich am Ausgange der Brücke stürzte? Ohne diese Hand hätte mich der brechende Pfeiler niederschmettert, zermalmt. Du hast es auch gesehen, ich weiß es, und wirst ihn nun noch mehr bewundern, Deinen Helden, den Du gestern schon mit so verklärten Blicken anschautest. Mit dieser That wächst er Dir vollends zu einem Ideale empor – wie stehe ich dagegen da in Deinen Augen!“

„Ja, ich sah es!“ flüsterte Erna mit gesenktem Blick, „aber ich glaubte nicht, daß Du ihn erkannt hättest in der Betäubung des Sturzes, in der Verwirrung der allgemeinen Flucht.“

„Seinen Todfeind erkennt man immer, selbst wenn er einem das Leben rettet! Ich wollte es ihm schon gestern sagen, unmittelbar nach der Katastrophe, aber ich brachte es nicht über die Lippen; ein Dankeswort diesem Manne gegenüber hätte mich erstickt. So mag er es denn von Dir hören! Sage ihm, daß ich meine Forderung zurücknehme und ihn seines Wortes entlasse, daß ich Dich freigegeben habe. Dann sind wir quitt, mehr als quitt. Ich gebe ihm zehnfach so viel, als das Leben werth ist, das er mir erhielt.“

Erna war erbleichend aufgefahren bei der Enthüllung, die sie freilich längst geahnt hatte.

„Du hast ihn gefordert? Also kam es doch dahin in jener Unterredung zwischen Euch!“

„Glaubst Du, daß es meine Absicht war, ihm ein Glück in Deinen Armen zu gönnen?“ fragte Waltenberg mit bitterem Auflachen. „Darauf ist meine Natur nicht angelegt. Ich hätte ihn niedergeschossen ohne die gestrige Stunde, und er gab mir sein Wort, sich mir zu stellen, sobald die Wolkensteiner Brücke vollendet sei – das Schicksal selbst hat uns die Antwort darauf gegeben!“

Der hohnvoll bittere Ton beirrte Erna jetzt nicht mehr, sie hörte nur die verzehrende Qual darin, fühlte nur, was diese Entsagung dem leidenschaftlichen Manne kostete. Leise und bittend legte sie die Hand auf seinen Arm.

„Ernst, glaube mir, ich fühle das Opfer, das Du mir bringst, in seiner ganzen Schwere. Du hast mich grenzenlos geliebt –“

„Ja,“ sagte er schneidend, „und ich war Thor genug, mir einzubilden, daß eine Leidenschaft wie die meine sich Gegenliebe erzwingen müsse. Ich glaubte, wenn ich Dich nach einem andern Weltteil führte, wenn ich den Ocean zwischen Euch legte, dann würdest Du vergessen lernen und Dich Deinem Gatten zuwenden. Jetzt ist es mir klar geworden, daß ich verspielt habe! Ich werde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 836. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_836.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2019)