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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Deutsche Art, treu gewahrt.
Eine Hofgeschichte aus dem 17. Jahrhundert von Stefanie Keyser.

(Schluß.)

Achatius pfiff die Diener in sein Zimmer. Sie fanden ihn, wie er das herrliche Bild Meister Kranachs, die Venus, die mit einem rothen Sammethut bekleidet war, von der Wand hob.

„Schafft mir auf der Stelle das Weibsbild von hinnen in die fernste Rumpelkammer! Ja so! Dahin kommt sie ja auch, wenn sie in dem saubern weißen Schürzchen ihren Umgang hält. Zum Haus hinaus also!“

„Aber,“ entgegnete der Diener, „sie hat so viel Geld gekostet.“

„Fort!“ rief Achatius, mit beiden Händen wehrend.

„Aber –“

„Fort!“ schrie sein Herr, mit dem Fuße stampfend, „oder ich werfe Dich selbst mit hinaus.“

Der Diener enteilte.

„Mein Staatswams!“ befahl der Hausherr aufathmend. „Den Hut mit der langen Feder.“

Athemlos brachte der Leibknecht das Verlangte.

„Welcher Firlefanz hängt da noch? Zum Teufel mit den Favors! Frau Beschließerin, kommt mit der Schere!“

Die dicke Beschließerin wackelte eilig herbei und trennte Schleiflein und Quästchen, den „Galanten“ und den „Schäker“ ab.

Zehnmal schaute er in den Spiegel, aber nicht, um den Bart zu zwirbeln, sondern nur, um zu sehen, ob auch kein Alamodezotten auf die Nase fiel. Die Locken konnte er freilich nicht aus seinem braunen krausen Haar kämmen.

Auf dem Schloßthurm schlug die bestimmte Stunde. Er flog davon, am Rothen Schloß vorbei. Jetzt hörte er schon neben sich die Ilm rauschen, jetzt Mühlengeklapper. Da schimmerten die beiden Fenster durch die Nacht, hinter denen er erwartet wurde. Mit lachenden Lippen, mit blitzenden Augen stürmte er die Treppe hinauf, an der Michel mit einem Oellämpchen leuchtete. Die Thür wurde ihm aufgethan, und er trat gebückt durch die niedrige Pforte.

Da stand sie vor ihm in der großen weißen Schürze; denn sie hatte häuslich gewaltet. Das zeigten die Weinkanne und die Gläser auf dem gedeckten Tisch.

Frau von Hellingens Sorgenstuhl war zu oberst daran geschoben und die Dame hatte fürnehmem Brauch gemäß zu der feierlichen Stunde ihr Kleid mit dem Brokatvorderblatt angelegt; und es paßte wieder, denn auf dem unscheinbaren Zindel saß sie. Würdevoll hielt sie das Fähnlein in der Hand.

Und nun sollte der redegewandte Hofmeister sprechen, wie es schicklich war. Und nun blieb der allezeit Zungenfertige stecken.

„Hochehrenreiche Frau!“ er stockte schon. „Tugendselige Jungfrau“ erschien ihm in diesem Augenblick zu geziert und „geliebtes Mädchen“ zu sagen getraute er sich nicht.

Er schwieg; nur die großen sprechenden Augen flehten.

Aber wunderbar! Sein Verstummen rührte Gertrud mehr, als die schönste Rede es gethan haben würde. Ein leises weiches Lächeln, das ein liebliches Grübchen auf der jugendlich gerundeten Wange bildete, trat in das feine Gesicht.

Auch die würdige Frau von Hellingen konnte seinem Blicke nicht widerstehen; sie half ihm aus der Noth. Mild beruhigend sagte sie: „Unsre gnädige Herrschaft hat uns schon kund gethan, weshalb Ihr kommt. Ihr wollt um Gertruds Hand werben und, wenn Ihr die Zusage empfahen, um meinen Segen bitten.“

Achatius knieete nieder. Diese Aeußerung tiefster Demuth entsprach allein der Zerknirschung seines Herzens.

Frau von Hellingen aber ließ sich durch solch absonderliches Gebühren nicht irremachen. Sie sah ein, sie mußte dem schüchternen Mann unter die Arme greifen, wenn er vom Fleck kommen sollte. Nachdem sie also für ihn bei sich selbst angehalten hatte, fuhr sie in ihrer Eigenschaft als Brautmutter fort: „Wir freuen uns, daß Ihr das gute Zutrauen zu uns heget, und haben beschlossen, Euren Antrag anzunehmen. So reicht Euch denn die Hände!“

Es war das erste Mal, daß Achatius diese feine Hand berührte; er that es so zart, als fürchte er, ein Fingerchen zu zerbrechen.

Bittend schaute er sie dabei an. Einen Augenblick sah sie in das schöne ihr zugeneigte Antlitz. Aber die Zeit, da Achatius, mit spitzen Lippen Küsse hauchend, als Herr waltete und Schmätzlein wie Gnaden vertheilte, war vorüber.

Gertrud schlug die Wimpern nieder, und Achatius küßte ihre Hand. Dann saßen sie beisammen und besprachen die nächste Zeit.

Die Mutter nahm getrost im Geiste bereits Besitz von der großen Stube im Erdgeschoß des Hauses mit dem Rosenstock und billigte ihres Schwiegersohnes Bestimmung, daß der treue Michel bei den Hausknechten mit untergebracht werde, aber auch hinfüro die blau und weißen Farben zu tragen habe.

„Für jetzt gehe ich nach Reinhardsbrunn und halte Wolfstreiben,“ sprach Achatius. „Wenn aber die Weihnachtszeit kommt, dann will ich anfragen, ob das Christkind in seiner Gnade mir Unwürdigem eine liebe Hausehre bescheren will.“

Gertrud sah ihn mit einem warmen Blick an: das war aus keinem Schäferroman zusammengestoppelt.

„Und mich,“ sagte sie, „werdet Ihr bereit finden, als Euer getreues Weib Euch in Euer Haus zu folgen.“

Vom Schloßthurm tönte die neunte Stunde, Herrn Achatius viel zu früh. Aber er folgte der Mahnung. Tief neigte er sich vor der Schwiegermutter.

Gertrud leuchtete ihm zu der steilen Wendeltreppe.

Er ging. Als er schon ein paar Stufen hinab war, sah er noch einmal zurück, halb lächelnd, halb betrübt.

Da setzte sie das Lämpchen auf die Erde, schlang beide Arme um seinen Hals und flüsterte: „Gott geleite Euch, mein liebes Herze!“

Und nun bekam Herr Achatius doch seinen Verlobungskuß.

Unter dem funkelnden Sternenhimmel ging er heim. Aus den Häusern tönten fromme Weisen. Jeglicher Hausherr sang mit Familie und Ingesinde den Abendsegen. Das alte Kampflied Luthers stieg auf wie immer in bedrängter Zeit.

So würde auch er hinfüro mit seinem lieben Weibe allabendlich singen: „Eine feste Burg ist unser Gott.“ Der heilige Weihnachtsabend würde ihn nicht mehr als Nachtschwärmer sehen. Am häuslichen Herd würde er sitzen, während seine Frau die Lichter an der Tanne anzündete, die er nun so manches Jahr nicht gesehen hatte. Und da er jetzt an seiner Thür stand und dem guten Mond gerade ins Gesicht sah, da trug er dem alten Freund aller Liebenden noch einen Gruß an sein Herzgespiel auf. Denn, bei Gott! er war ein deutscher Mann!


Es gab in der nächsten Zeit viel Thränen unter dem Frauenzimmer, das in Weimar so fröhlich mit Achatius geschäkert hatte.

Der Text der Predigten, die ihm gehalten wurden, war derselbe, ob sie nun aus dem Mund der sanften Eleonore, der brünetten Herzogin von Koburg oder der Sternenkundigen von Eisenach kamen. Ja, der Hofprediger der Dornburg, der gerufen werden mußte, um der Hofmeisterin den Kopf zurecht zu setzen, ließ sich gleichermaßen vernehmen: „Nicht umsonst ist die Frau zur Hüterin der Sitte bestellt. Darum rächt sich an ihr eine Verletzung derselben strenger denn am Manne.“

Nachdem sie sich ausgeweint hatten, putzten sich die Eisenacherinnen wieder für das Jagdfest auf der Wartburg, die Koburgerinnen beredeten Kirmeßfahrten nach benachbarten Edelsitzen, Benigna lugte hinter dem jüngsten fürstlichen Rath, dem Sauerhaften, her, und die Hofmeisterin zählte alle unvermählten Junker und alle Witwers an den Fingern zusammen, die im Umkreis von zwei Meilen zu erreichen waren.

Auch die langnasige Hofjungfrau hatte Trost gefunden in einem Klatsch, den sie verbreitete; in selbigem war der Frau von Tautenburg die Rolle der Burgkatze, dem Junker Utz die eines unschuldigen weißen Mäusleins zugetheilt.

Denn nicht umsonst sagt der weise Salomo: „Ein jegliches Ding hat seine Zeit: Weinen und Lachen, Klagen und Tanzen, Lieben und Hassen.“


Ob die jungen Herzen jauchzten, ob sie klagten, die Jahreszeiten gingen ihren ruhigen Gang. Der Hain bei der Dornburg färbte sich roth und gelb. In den Weinbergen schallte fröhlicher Gesang; die Knechte und Mägde trugen große Körbe voll grüner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_826.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)