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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ja, und ich denke, wir machen die Sache so rasch als möglich ab. Ich werde Ihnen morgen Herrn Gronau schicken, um das Nöthige festzustellen, und ich hoffe, Sie sind einverstanden, wenn wir noch an demselben Tage −“

„Nein, das bin ich nicht,“ unterbrach ihn Wolfgang. „Ich habe morgen keine Zeit, auch übermorgen nicht.“

„Keine Zeit für eine Ehrensache?“ brauste Ernst auf.

„Nein, Herr Waltenberg. Ich habe überhaupt keine große Achtung vor dieser ‚Ehrensache‘, die darin besteht, daß man einen Mann, den man haßt, möglichst bald aus der Welt zu schaffen sucht. Aber es giebt Fälle, wo man gegen seine Ueberzeugung handeln muß, um nicht in den Verdacht der Feigheit zu gerathen. Ich bin also bereit. Aber wir Männer der Arbeit haben noch eine andere Ehre als die kavaliermäßige, und die meinige erfordert, daß ich mich nicht der Möglichkeit aussetze, niedergeschossen zu werden, bevor die Aufgabe, die ich übernommen habe, erfüllt ist. In acht bis zehn Tagen wird die Wolkensteiner Brücke fertig sein. Ich will selbst den Schlußstein legen, will mein Werk vollendet sehen, dann stehe ich zu Ihrer Verfügung, nicht eine Stunde früher, und Sie werden sich diesen Aufschub gefallen lassen müssen.“

Es lag eine beinahe verächtliche Ueberlegenheit in der Art, wie das Verlangen gestellt wurde, und hier wurde es einem Manne gestellt, der überhaupt kein Verständniß dafür hätte. Er hatte ja nie gearbeitet, nie ein Werk geschaffen, das er liebte und vollendet sehen wollte, sondern immer nur gethan, wozu Wunsch und Laune ihn trieb. Jetzt trieb es ihn zur Vernichtung des Feindes oder zum eigenen Untergange − gleichviel, danach fragte er nicht; aber warten zu müssen, tagelang, seine Rachsucht zu zügeln, das schien ihm ein Ding der Unmöglichkeit.

„Und wenn ich diese Bedingung nicht annehme?“ fragte er scharf.

„So nehme ich Ihre Forderung nicht an − Sie haben die Wahl.“

Ernst ballte in verhaltener Wuth die Hand, aber er sah, daß er sich fügen mußte; wenn der Gegner sich ihm stellte, so hatte er auch das Recht, den Aufschub zu verlangen.

„Es sei!“ sagte er, sich gewaltsam bezwingend. „Also in acht bis zehn Tagen! Ich verlasse mich auf Ihr Wort.“

„Das hoffe ich! Sie werden mich bereit finden.“

Noch ein stummer, feindseliger Gruß von beiden Seiten, dann trennten sie sich. Ernst verließ das Gemach und Wolfgang trat langsam an das Fenster.

Draußen warf der Mond, der nur hin und wieder zwischen den jagenden Wolken sichtbar wurde, sein ungewisses Licht auf die Umgebung. Jetzt trat er auf einen Moment klar hervor, und in seinem Schein blinkte die Brücke auf, das große, kühne Werk, das seinem Schöpfer eine so stolze Zukunft verhieß. Und in demselben Mondesstrahle schritt der Mann dahin, der ihm den Tod geschworen hatte, dessen Hand sicher nicht fehlte, wenn es galt, den Todfeind zu treffen. Wolfgang täuschte sich darüber nicht; er schloß jetzt ab mit den Zukunftsträumen, wie er schon mit dem Glücke abgeschlossen hatte.

(Fortsetzung folgt.)




Unsere sagenumrankten Steine.
Ein Mahnwort an unsere Behörden.

Wieder wanderte ich nach tagelanger Eisenbahnfahrt mutterseelenallein meinem Heimathdörfchen zu, und wieder schwelgte ich in glücklichen Träumen aus goldenen Tagen der Kindheit. Sage und Volkslied, Sitte und Brauch, kurz: die ganze liebe Heimath, der Hansjochenwinkel der Altmark, wurde vor meinem geistigen Auge um so lebendiger, je weiter ich in Wirklichkeit wieder einmal in sie hinein kam.

Aber war sie denn auch wirklich noch die alte, diese Heimath um mich her? Jene kleinen altehrwürdigen, strohbedachten Bauernhäuser, wohin waren sie doch gekommen? Moderne Zwitterbauten von Stadt- und Landwohnungen standen an ihrer Stelle und schauten unbeholfen neugierig um sich wie hoch aufgeschossene Kinder, die noch nichts erlebt haben. Und der Wald und große Strecken Gestrüppbodens, wo waren sie nur geblieben? Sie waren dem Pfluge des emsigen Landmannes gewinnen. Ja, sie war eine andere geworden, die traute Heimath, als sie ehedem war, da ich als Bauernjunge hier durch Flur und Feld, durch Wald und Wiese streifte; da ich hinter dem mächtig großen Kachelofen hervor Großmütterleins Spukgeschichten und ihren Sagen lauschte; da ich schüchtern mein dünnes Kinderstimmlein hineinmischte in jene Weisen, welche in der Spinnstube erklangen, und die ich seitdem nimmer und nirgend wieder vernommen.

„Dir werden sie geblieben sein, deine Lieder sowohl wie deine Sagen, du Land des zähen, knorrigen Volksstammes wendisch-deutscher Herkunft!“ tröstete ich mein trauerndes Gemüth, und in übermüthigem Scherzen setzte ich hinzu: „Denn wo diese schweigen, da werden die Steine reden.“ Kannte ich sie dereinst doch alle gar gut, jene Steine, welche, von Volkssagen umrankt, hierorts seit uralten Zeiten in Feld und Wald zerstreut lagen.

Gleich rechts am Wege mußte ja schon einer derselben zu finden sein, der Dahrendorfer Lenekenstein, jene aus dem Hannöverischen ins Preußische herübergeholte Braut, die an dieser Stelle für alle Ewigkeit in Stein verwandelt liegt. Doch was ist eine Ewigkeit für uns sterbliches Geschlecht! Die ewige Dauer des Lenekensteins war wenigen Scherben gewichen, die vom Zerstückeln desselben das einzige, aber auch das beredtste Zeugniß ablegten. −

Später stand ich dann wieder an der Stelle, an welcher der Teufelstein von Holzhausen lag; aber auch dieser war vom gewinnsüchtigen Besitzer zerschlagen und zum Stahlbau abgefahren. Wie lange, und jene Sage vom goldenen Sarge oder von der goldenen Wiege unter ihm, aus dem heraus allnächtlich des Teufels Gold vom Berge weithin sichtbar brannte, wird verklungen sein. Niemand wird dann mehr zu berichten wissen vom Schäfer Krone, der den Schatz hob und nach Hamburg verkaufte und dem dafür der Gottseibeiuns den Hals umdrehte; oder vom Pferdehirten, der nachts um die zwölfte Stunde am Steine im Aschenhausen feurige Kohlen glimmen fand und darüber hinwegstrich, um nach der Weise von Leuten mit hartschwieligen Händen eine glühende Kohle zu haschen, damit die Pfeife anzuzünden. Als unser Hirt jedoch nach einer zweiten Kohle langen wollte, ertönte plötzlich der warnende Zuruf, es bei dem einen Griffe bewenden zu lassen. Andern Morgens aber, als der Pferdehirt wiederum zur Stelle kam, waren alle Kohlen, die er beim Aufrühren des Aschenberges gestreift hatte, in blitzblanke Goldklümplein verwandelt. So der geheimnißreiche Mund der Volkssage.

Und wieder stand ich am Markauer Lenekenstein, der − nebenbei bemerkt − in Nr. 19 der „Gartenlaube“ von 1882 abgebildet ist. Die mit dem Steine verbundene Sage erzählt von Schön-Lenchen aus Bonese, das den Sohn des reichen Schulzen von Markau heirathen sollte und ihn durchaus nicht wollte, weil es heimlich sich mit dem Knechte des Nachbarn versprochen hatte. Auf der Hochzeitsfahrt erklärte sie dann an der Markauer Feldmarkgrenze, diese nicht überschreiten, sondern lieber „auf der Stelle zu einem Stein“ werden zu wollen. Und indem sie vom Wagen sprang, ging sofort ihr Wunsch in Erfüllung; sie wurde zu einem mächtigen Steine, an dem man noch lange zwischen elf und zwölf Uhr in mondhellen Nächten die Brautperlen am Halse glänzen sehen konnte.

Der Stein stand allerdings noch an Ort und Stelle, aber seine Brüder, die um ihn herum im Kreise gelegen hatten und die für den späteren Forscher von so großer Bedeutung sind, waren zerkleinert und abgefahren. „Warte nur, balde“ wird auch der Lenekenstein selber verschwunden sein. − Und das alles geschieht ist einem Landstriche, der, wörtlich genommen, steinreich ist, in dem ein erratischer Block nur ganz verschwindenden Werth hat, da es deren in Hülle und Fülle giebt; geschieht dort unter den Augen der Behörde, unter den Augen von Alterthumsfreunden. Ja, die Behörde hat sogar später selber im eigenen Interesse zum Bau einer Kreischaussee von jenem Lenekensteinen verwendet. „Wenn das geschieht am grünen Holz, was soll man vom dürren sagen!“ −

Vor zwei Jahren habe ich meine Stimme an einer Stelle, deren Einfluß und guten Willen ich wohl überschätzte, um behördlichen Schutz für die kärglichen Reste sagenumrankter Steine im Hansjochenwinkel der preußischen Altmark erhoben: mir ward das Loos eines Predigers in der Wüste. Ich lasse meine Stimme heute an dieser Stelle laut werden; möchte man mich doch hören, ehe es gänzlich zu spät ist. Nur die Behörde kann in dieser Sache mit Erfolg nachhaltig wirken, und es ist Ehrenpflicht für sie, es zu thun, es endlich zu thun. Sind ja doch nicht einmal alle unsere Hünengräber vor dem Untergange gesichert worden! So ist man z. B. im Begriff, das im Jahrgang 1882 der „Gartenlaube“ (Nr. 41) abgebildete „Hünengrab“ bei Borne in der Magdeburger Börde um 50 Pfennig die Fuhre abzufahren. Freilich nützen Verfügungen, von oben her in bester Absicht erlassen, so lange nicht nachhaltig, bevor nicht Jahr für Jahr ihre Ausführung an untersten Stellen strengstens überwacht wird. Auch auf dem Wege der Belehrung, namentlich durch Presse und Schule ließe sich bei der Landbevölkerung sicherlich vieles erreichen. − Wie viele Volkssagen in deutschen Landen noch immer an Steine anknüpfen, davon zeugt unter anderem eine Sammlung von Steinsagen, die in der Zeitschrift für volksthümlich-wissenschaftliche Kunde „Am Urdsbrunnen“ auf meine Veranlassung vorgenommen worden ist, davon zeugen für die Altmark im besondern des hochverdienten Temmes „Volkssagen aus der Altmark“. −

Möchte mein Mahnruf diesmal gehört werden, nicht nur in der Altmark, sondern im weiten deutschen Vaterlande: das ist mein Herzenswunsch! −

Wilhelm Meyer-Markau.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_770.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)