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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ernst, Du hast es mir versprochen, den tollkühnen Gedanken ein- für allemal aufzugeben!“ fiel Erna ein.

„Sei ruhig, ich halte Wort. Ich versprach es Dir ja damals beim Sonnwendfeuer.“

„Beim Sonnwendfeuer!“ wiederholte das junge Mädchen leise, wie traumverloren.

„Erinnerst Du Dich noch jenes Abends, wo ich Deinem Verbote, Deiner Bitte wich? Der Aufstieg zum Wolkenstein war beschlossene Sache bei mir und ich hätte ihn um jeden Preis erzwungen, aber vor Deinen bittenden Augen, vor Deinem: ‚Ich ängstige mich!‘ sank all mein Trotz zusammen. Hättest Du wirklich um mich gezittert, wenn ich damals ungehorsam gewesen wäre?“

„Aber Ernst, welche Frage!“

„Nun, verpflichtet warst Du nicht dazu, ich war ja damals noch nicht Dein erklärter Bräutigam.“ In Waltenbergs Stimme klang wieder der alte, quälende Argwohn. „Du hättest Dich wahrscheinlich auch um Sepp oder um Gronau geängstigt, wenn einer von ihnen das Wagniß unternommen hätte. Ich meine jene bebende Angst, mit der man nur um das Geliebte zittert, vor der alles andere versinkt und verschwindet, die mich blind und besinnungslos in die Gefahr treiben würde, wenn ich Dich darin wüßte – Du freilich hast diese Empfindung wohl nie gekannt.“

„Wozu denn solche Schreckbilder heraufbeschwören!“ sagte Erna halb unwillig. „Ich habe Dein Wort, also keinen Grund, mich zu ängstigen, und das bloße ‚Wenn‘ zu erörtern –“

Ein lautes, donnerähnliches Krachen unterbrach sie. Dort unten flogen Erde und Steine empor und der mächtige Felsblock sank, in drei Theile gespalten, mit dumpfem Falle zu Boden, aber zugleich gab sich eine schreckensvolle Bewegung kund. Die sämmtlichen Arbeiter stürzten von der Brücke fort und nach jener Stelle, wo eben noch der Chefingenieur mit seinen Untergebenen gestanden hatte. Man konnte nicht unterscheiden, was eigentlich geschehen war, man sah nur einen dichten Menschenknäuel, aus dem wirres, angstvolles Rufen ertönte.

Aber mitten durch das alles drang ein Schrei, wie ihn nur die Verzweiflung, die Todesangst auspressen kann; und als Ernst sich umwandte, sah er seine Braut hoch aufgerichtet im Sattel, aber bleich wie eine Todte, die starren Augen nach der Unglücksstätte gerichtet.

„Erna!“ rief er, aber sie hörte nicht, sondern gab dem Pferde die Zügel. Das Thier, erschreckt von dem Lärm, scheute und wollte nicht vorwärts, aber ein rücksichtsloser Hieb mit der Gerte zwang es zum Gehorsam, und in der nächsten Minute jagten Roß und Reiterin wie auf Tod und Leben den steilen Abhang hinunter, gerade auf den Menschenknäuel zu.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Anna Sachse-Hofmeister. (Mit Porträt S. 741.) Eine Sängerin in des Wortes echter Bedeutung ist es, deren Bild diese Zeilen begleiten, eine Sängerin von seltener künstlerischer Universalität, gleich geeignet für klassische und moderne Musik.

Anna Sachse-Hofmeister wurde am 26. Juli 1852 in dem weinberühmten Gumpoldskirchen, einem beliebten Ausflugsorte der Wiener zur Zeit des „Heurigen“, als die Tochter des dortigen Schullehrers geboren, der zugleich das Amt des Regens chori in der Kirche innehatte und mit Vorliebe der Pflege klassischer Musik oblag. Beim Gottesdienste, oft schon zur Frühmette, erklang das silberhelle Stimmchen des Kindes mit seinem reinen Wohllaut vom Orgelchor herab. Nachdem das Mädchen der musikalischen Lehre des Vaters entwachsen, sorgte derselbe für fernere Ausbildung, und so trat Anna Hofmeister in die – Violinklasse des Wiener Konservatoriums ein. Gesangliche Studien wurden nur nebenher bei der Lehrerin Passy-Cornet betrieben, bis die sich immer mehr entwickelnde stimmliche Begabung den Sieg über die Kunstfertigkeit im Geigenspiel davontrug und Hofkapellmeister Proch mit der Ausbildung der vielversprechenden Novize für die Bühne betraut wurde. Dieser Studiengang erklärt viele gerühmte Vorzüge der Künstlerin, insbesondere eine glockenreine Intonation und den wohlgebildeten und durchaus schlackenfreien Ton des Organes.

Im Jahre 1871 finden wir die blutjunge Sängerin, nachdem sie als Leonore im „Troubadour“ in Olmütz eine Probe ihres Talentes abgelegt, als engagirtes Mitglied am Stadttheater zu Würzburg. Die Begabung unserer Künstlerin wie ihre stattliche Bühnenerscheinung wiesen sie so gebieterisch auf die Rollen des hochdramatischen Faches hin, daß sie als Anfängerin schon dieselben Rollen wie heute als Primadonna der Berliner Oper sang.

Ihre Laufbahn war rasch und glänzend; nachdem sie schon 1871 in den Verband des Stadttheaters zu Frankfurt am Main getreten, hatte sie am Schlusse des bis 1876 verlängerten Kontraktes bereits die Wahl zwischen Dresden und Berlin.

Sie zog die Berliner Hofbühne vor, um dann nach zweijähriger Thätigkeit am Opernhause nach Dresden überzusiedeln, wo ihr die Generaldirektion nach ihrer Verheirathung abermals einen glänzenden Kontrakt bot. Hier bezeichnete das Engagement der Frau Sachse-Hofmeister im Verein mit den Künstlern Marcella Sembrich und Emil Götze, welche damals in Dresden ihre ersten theatralischen Versuche machten, einen Glanzpunkt der Oper. Dasselbe war in Leipzig der Fall, wohin die Sängerin nach Lösung ihres Dresdener Kontraktes übersiedelte, wo sie 1880 bis 1882 im Verein mit der unvergeßlichen Frau Reicher-Kindermann das Publikum zur Begeisterung hinriß. Die in diese Zeit fallende Vorführung des Nibelungenringes von Richard Wagner im Berliner Viktoriatheater brachte der Künstlerin, welche bei diesen Aufführungen mitwirkte, neben ihrem äußeren Erfolge als Sieglinde einen doppelten Triumph ein: einmal das Wiederengagement an der Berliner Hofoper, anstelle der scheidenden Frau Mallinger, andererseits aber die persönliche Bekanntschaft mit Richard Wagner, der sie als die „Sieglinde seiner Träume“ bezeichnete und es lebhaft bedauerte, daß sie das Anerbieten, die Sieglinde 1876 in Bayreuth zu singen, krankheitshalber hatte ablehnen müssen.

Anna Sachse-Hofmeister umfaßt in ihrem Repertoire alle Rollen des hochdramatischen Faches, von besonderer Bedeutung aber ist es, daß neben vollendeter Wiedergabe Wagnerscher Gestalten wie Elsa, Elisabeth und Sieglinde etc. ihr insbesondere auch die Rollen des klassischen Repertoires und großen Stiles in vollendeter Weise gelingen, ohne daß sie sich schauspielerischer oder stimmlicher Uebertreibungen schuldig macht; ihre Hauptrollen neben den oben erwähnten: Fidelio, Eyryanthe, Rezia, Donna Anna, Aïda etc. werden von dauerndem Eindruck bei jedem bleiben, der für das künstlerisch schöne Maßhalten Sinn hat.

Was sollen wir lesen? Eine wohl aufzuwerfende Frage bei der Ueberfülle der alljährlich veröffentlichten Erscheinungen des Buchhandels, bei der großen Menge der Zeitungen, Tages- und Wochenblätter, der Monatszeitschriften. Diese Frage zu beantworten, wenigstens im Hinblick auf die im Buchhandel erschienenen Werke, ist schon oft versucht worden, indem man kleine Kataloge der Weltliteratur oder der neuesten vaterländischen Litteratur zusammengestellt hat, um alles Lesenswerthe dem Publikum, das in Bezug auf Lektüre einen Rathgeber vermißt, zu empfehlen.

Dies hat auch neuerdings Anton E. Schönbach in seiner kleinen Schrift „Ueber Lesen und Bildung“ gethan. Natürlich sind alle derartige Verzeichnisse lückenhaft und auch in denjenigen Schönbachs fehlen namhafte Schriftsteller und Dichter, die in allen Litteraturgeschichten der Gegenwart eine eingehende Würdigung gefunden. Auch wird mit einer solchen trocknen Aufzählung, welche trotzdem die Geschmacksrichtung des Autors schwerlich verleugnen kann, dem Bedürfniß des Lesepublikums weit weniger gedient, als grade durch jene Litteraturgeschichten, aus denen ja die Leser zugleich das Charakterbild der Autoren und den Inhalt ihrer Werke kennen lernen. Ein Spaziergang auf blumenreicher Wiese ist jedenfalls dem Durchblättern eines trockenen Herbariums vorzuziehen. Was ein solches Verzeichniß wie auch dasjenige von Schönbach empfiehlt, mag großentheils empfehlenswerth sein, aber in den Auslassungen liegt eine stillschweigende Kritik, die man oft verwerfen muß, oder eine Unkenntniß, die bei dem zu tadeln ist, welcher sich zum Führer der andern aufwirft.

Im übrigen enthält das Schriftchen über den Bücherkauf in Deutschland und über das Bibliothekwesen viele treffende Bemerkungen. An sich kaufen die Deutschen nicht gern Bücher, und Leute, welche ohne Bedenken ein gutes Stück Geld ihres Jahresetats dem Amüsement einräumen, feilschen mit sich selbst um einige Pfennige, wenn sie dieselben auf ein Buch wenden wollen, und entschließen sich im letzten Augenblicke am liebsten dazu, es jemand abzuborgen. Bei der Lektüre selbst überwiegt der stoffartige Reiz.

Wir zweifeln nicht, daß es damit von Tag zu Tag besser werden wird, und namentlich was den Ankauf von Büchern, was den Werth betrifft, den man auf eine kleinere oder größere Privatbibliothek zu legen hat, wird sich gewiß auch bei uns in Deutschland allmählich eine Wendung zum Besseren zeigen, so daß wir jener Schwarzseherei nicht länger Recht zu geben brauchen.

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„Gut Ding will Weile haben.“ Der Transport der Fische in Eispackung ist uns jetzt sehr geläufig und erscheint ganz selbstverständlich, und doch ist diese Methode, welche uns erlaubt, selbst in heißer Jahreszeit frische Fische aus entfernten Gegenden zu genießen, in Europa ziemlich neu. Die ersten Versuche dieser Art wurden ist den vierziger Jahren in Amerika angestellt und von dort aus brach sich diese Neuerung Bahn durch die ganze civilisirte Welt. Wir verstehen darunter die Welt, welche unserer europäischen Kultur unterthan ist; denn in einer anderen Kulturwelt, in der chinesischen, war jene Art des Fischversandes längst bekannt. Die „Deutsche Fischerei-Zeitung“ hat jüngst ein interessantes Zeugniß dafür ausgegraben. Sie erinnert an das Buch „Der Wunderreiche Ueberzug unserer Nider-Welt, Nürnberg, 1680“, in welchem Erasmus Franciscus berichtet, daß die Chinesen ihre Fische in Säcken mit Eis transportiren. Erasmus Franciscus schlug damals vor, diese Versendungsmethode ist Europa einzuführen; aber „Gut Ding will Weile haben“, erst nach 200 Jahren ist sein Gedanke zur Wirklichkeit geworden. Möge dies vielen verkannten Erfindern und Projektemachern zum Trost gereichen!

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