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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

die gleiche Reinlichkeit ist bezüglich der gesammten Körperoberfläche zu fordern.

Göttingen hat zuerst hier fördernd durch Errichtung von Schulbädern eingegriffen und schon mehrere Städte, besonders Frankfurt, sind nachgefolgt. Eine Klasse badet innerhalb einer Stunde. Eine gewisse Schüleranzahl wird aus der Klasse entlassen, von diesen entkleiden sich mehrere und gehen unter die Brause, während sie sich abtrocknen, kommen die nächsten an die Reihe; die zurückgebliebenen werden fort unterrichtet. Das Baden geschieht alle vierzehn Tage einmal, auch im Winter. Während im Beginne sich viele Kinder ausschlossen, meldeten sich später immer mehr, so daß zuletzt fast sämmtliche Kinder badeten. Die Lehrer heben die geistige Frische nach dem Bade hervor; Erkältungen sind leicht zu verhüten, Zugluft und zu rasches Verlassen des Klassenzimmers im Winter ist zu vermeiden und das sorgsame Abtrocknen der Haare bei kalter Jahreszeit zu fordern. Die Kosten sind so gering (in Göttingen betrugen sie 780 Mark), daß eine derartige Einrichtung bei jedem neuen Schulbau dringend wünschenswert ist, denn nicht nur der einzelne wird hierdurch gekräftigt und zu größerer Reinlichkeit angehalten, sondern auch die Gesammtheit der Schüler erhält durch die Verbesserung der Klassenluft den größten Nutzen.




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Die Alpenfee.
Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)


Alice Nordheim befand sich in dem Arbeitszimmer ihres Vaters, das sie sonst nie zu betreten pflegte, und es mußte etwas Ungewöhnliches sein, was sie dorthin führte, denn sie sah bleich und erregt aus und schien, wie sie da am Fenster lehnte, mit einer geheimen Angst zu kämpfen, und doch handelte es sich nur um eine Unterredung zwischen Vater und Kind. Freilich, die Vertraulichkeit und Innigkeit dieses Verhältnisses fehlten hier vollständig. Nordheim, der seine Tochter mit allem Glanze seines Reichthums umgab, hatte doch im Grunde nur sehr wenig Interesse für sie, und Alice hatte das von jeher empfunden, aber bei ihrer gehorsamen geduldigen Fügsamkeit in alles, was der Vater zu beschließen für gut fand, war es nie zu irgend einem Gegensatze zwischen ihnen gekommen.

Jetzt zum ersten Male sollte das anders werden, sie wollte dem Vater mit einem Geständnisse nahen, das, wie sie wußte, seinen vollsten Zorn herausfordern würde. Aber das junge Mädchen war doch nicht so schwach und willenlos, wie es den Anschein hatte; sie fürchtete diesen Zorn, sie zitterte davor und schwankte doch nicht in ihrem Entschlusse.

Da ließ sich im Nebenzimmer der Schritt des Präsidenten hören und gleich darauf seine Stimme:

„Der Sekretär des Herrn Waltenberg? Gewiß, lassen Sie ihn eintreten!“

Alice stand einen Moment lang unentschlossen; der Vater, der von ihrem Hiersein keine Ahnung hatte, kam nicht allein, und sie konnte jetzt, in ihrer angstvollen Erregung, keinem Fremden gegenübertreten. Es handelte sich jedenfalls nur um eine Nachricht oder Bestellung von seiten Waltenbergs, die in wenigen Minuten abgemacht war. Das junge Mädchen schlüpfte also rasch in das anstoßende Schlafzimmer, dessen Thür angelehnt blieb; gleich darauf trat Nordheim ein und hatte sich kaum niedergelassen, als der Gemeldete erschien.

Der Präsident empfing ihn mit vornehmer Gleichgültigkeit. Er wußte, daß Ernst auf seinen Reisen eine Persönlichkeit aufgegriffen hatte, die unter dem Titel eines Sekretärs alle möglichen Vertrauensposten bei ihm bekleidete, interessirte sich aber nicht weiter dafür. Den Namen hatte er entweder nicht gehört oder nicht beachtet, jedenfalls erkannte er den einstigen Jugendfreund nicht wieder. Fünfundzwanzig Jahre sind eine lange Zeit, und ein Leben, wie Gronau es geführt hatte, pflegt den Menschen noch mehr als sonst zu verändern. Der Mann mit dem braunen, tiefdurchfurchten Gesicht und den grauen Haaren hatte keinen Zug mehr von dem frischen, übermüthigen Burschen, der damals in die weite Welt gegangen war, um sein Glück zu versuche.

„Sie sind der Sekretär des Herrn Waltenberg?“ eröffnete Nordheim das Gespräch.

„Ja, Herr Präsident.“

Nordheim stutzte beim Klange der Stimme, die eine unbestimmte Erinnerung in ihm erweckte. Er richtete einen scharfen Blick auf den Fremden, und während er ihm flüchtig winkte, Platz zu nehmen, fuhr er fort:

„Er kommt also heute vermuthlich nicht? Was bringen Sie mir, Herr – wie ist Ihr Name?“

„Veit Gronau!“ versetzte dieser, indem er ruhig den angebotenen Platz einnahm.

Der Präsident sah sehr überrascht aus; er schien in dem wettergebräunten Gesichte die Züge des einstigen Jugendfreundes zu suchen, aber die Erinnerung, die ihm hier so unvermuthet entgegentrat, schien keine angenehme zu sein, und er war offenbar nicht geneigt, jene Freundschaft jetzt noch gelten zu lassen. Die Haltung, welche er annahm, wies dem Sekretär seines künftigen Verwandten entschieden eine untergeordnete Stellung an.

„Dann sind wir uns wohl nicht ganz fremd,“ warf er hin. „Ich habe in meiner Jugendzeit öfter mit einem Veit Gronau verkehrt –“

„Der die Ehre hat, vor Ihnen zu sitzen,“ ergänzte Veit.

„Das freut mich in der That!“ Die Freude wurde in sehr gemessener Weise ausgedrückt. „Und wie ist es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen? Hoffentlich gut, Ihre Stellung bei Herrn Waltenberg ist voraussichtlich eine sehr angenehme.“

„Ich habe allen Grund, zufrieden damit zu sein. So weit wie Sie, Herr Präsident, habe ich es freilich nicht gebracht, aber man muß sich zu bescheiden wissen.“

„Ganz recht! Das Schicksal lenkt die Bahnen der Menschen in sehr verschiedene Richtungen.“

„Und bisweilen übernehmen das die Menschen auch selbst; da kommt es denn freilich darauf an, wer sein Lebensschiff am geschicktesten zu steuern versteht.“

Die Bemerkung mißfiel dem Präsidenten, sie klang ihm zu vertraulich, und er wünschte keine Vertraulichkeit mit dem ehemaligen Jugendgenossen, deshalb sagte er abbrechend:

„Doch wir kommen von dem eigentlichen Grund Ihres Besuches ab. Herr Waltenberg schickt Sie also –?“

„Nein!“ versetzte Gronau trocken.

Nordheim sah ihn verwundert an.

„Sie kommen doch von ihm, in seinem Auftrage?“

„Nein, Herr Präsident. Ich kehre soeben erst von einer Reise zurück. Ich habe Herrn Waltenberg noch nicht wiedergesehen und mich nur in meiner Eigenschaft als sein Sekretär melden lassen, um sofort von Ihnen empfangen zu werden. Ich komme in eigener Sache.“

Der Präsident wurde bei dieser Eröffnung noch um einige Grade kühler und vornehmer, denn er erwartete irgend ein Bittgesuch; aber der Mann, der da so ruhig vor ihm saß und ihn mit den hellen, scharfen Augen so forschend anblickte, sah nicht aus wie ein Bittender, es lag eher etwas Herausforderndes in seinem Wesen, das Nordheim sehr unangenehm berührte.

„Nun, so sprechen Sie!“ sagte er mit merklicher Herablassung. „Unsere Beziehungen liegen zwar sehr weit zurück, indessen –“

„Ja, sie liegen um fünfundzwanzig Jahre zurück,“ schnitt ihm Gronau ohne weiteres das Wort ab. „Und doch möchte ich mir gerade aus jener Zeit eine Auskunft erbitten und Sie um Nachricht ersuchen, was aus unserem gemeinschaftlichen – ich bitte um Entschuldigung – aus meinem einstigen Freunde Benno Reinsfeld geworden ist.“

Die Frage kam so plötzlich und unerwartet, daß Nordheim einen Moment lang verstummte; er war aber hinreichend an Selbstbeherrschung gewöhnt, um auch solchen Ueberraschungen Stand zu halten. Allerdings flog ein argwöhnischer Blick zu dem Fragenden hinüber, dann aber zuckte er die Achseln und erwiderte mit kalter Abweisung:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_736.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)