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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Kehrseite anstarrte und ihre Mißachtung hinnahm, ohne sie dafür zu strafen? Was die kleine Unschuld für rothe Oehrlein bekommen hatte, als er ihr die Schleife raubte! Und zu welch früher Stunde diese braven Dörfler in ihre dicken Federbetten stiegen!

Das vermochte ein alamoder Hofmeister nicht. Der liebte die Nachtschwärmerei. Aber es war keine Seele da, die mitschwärmen konnte: kein lustiger Gesell, kein kicherndes Mägdlein; nur das erste Viertel des guten Mondes sah ihn mit seinem spitzen Kinn an.

Doch halt! Dort aus dem Residenzhaus fiel noch heller Lichtschein in breitem Strom in das Burggärtlein. Da mußte noch jemand wachen.

Er glitt mit leisem Höflingsschritt hinüber, wo das schmiedeeiserne Gitterthor einen Einblick gestattete.

Von der altersgrauen Steinwand des Burggebäudes, welche der Mond mit bläulichem Schimmer übergoß, hob sich ein farbenprächtiges Bild ab. Der ehemalige Söller der Burg war umgebaut worden zu einem anmuthigen Luginsland. Dem Geschmack der Zeit gemäß wölbte sich eine leuchtend grüne Kuppel darüber. Purpurne Vorhänge wallten zwischen den Pfeilern leise im Abendwind, weiche Teppiche sanken bis auf die Stufen der Treppe nieder, die in das Burggärtchen hinabführte. Unter dem Kuppeldächlein vor der geöffneten Thür saß ein kleiner Kreis von Damen um einen Tisch, hell beleuchtet von Windlichtern.

Die Frau Witwe mochte der Abendkühle wegen in dem Gemach verblieben sein. So thronte denn auf dem mit Polstern belegten Hochsitz die junge Herzogin Dorothea.

In dem Doppellicht von Mond und Kerzen glänzte der blaue mit Silber verzierte Damast ihres Kleides, schimmerten die Perlenschnüre in den langen hellbraunen Locken, funkelte ein Geschmeide von Rubintafeln bei jedem Athemzug an ihrer Brust und wetteiferte doch vergeblich mit dem Strahlen der schönen, an allen Fürstenhöfen berühmten topasfarbigen Augen.

Auf niedrigen Schemeln reihte sich das Frauenzimmer der Herzoginnen um den Tisch; die rundliche Hofmeisterin, deren schwimmende Augen allezeit nach einem zweiten Gemahl ausspähten, die überschlanke Hofjungfrau mit der langen Nase und die kleine, welche gleich einem Strohblümchen verschrumpft und vergilbt war.

Eine Stimme klang eintönig herab. Aha! die langnäsige Dame las vor.

Achatius kannte das dicke Büchlein mit dem Goldledereinband, der seidenen gewirkten Schließborte und den bis an den Rand vollgedruckten Seiten. Es war der neue französische Roman von Monsieur Honoré d’Urfé[WS 1], welcher von der Liebe Astreae und Celadonis, einer Schäferin und eines Schäfers handelte.

Zarter Duft stieg von den Narzissenröslein im Gärtchen auf; leise einlullend rauschte die Saale im Thal. Wie schöne Traumbilder der linden Lenznacht schwebten die Helden und Heldinnen des Romanes an den andächtig Lauschenden vorüber. Auf blumigen Auen am Gestade der Loire wandelten die Schäferinnen, mit Bändern geschmückt, den Stab in der Hand, die Hirtentasche umgehangen. Und im Jasmingestäude harrten ihre Amants und lasen ihren Herrinnen an den Augen ab, ob sie sich hervor zu deren Füßen wagen dürften.

Verständnißvoll nickten die Damen zu den Reden des weisen Sylvander, der allen mit Liebe Beschwerten Aufschluß über ihre Gefühle gab und dieselben so fein wie Haare spaltete. Halblaute Ausrufe der Verwunderung kamen über ihre Lippen, da er endlich trotz aller Weisheit sich selbst von der Liebe Narrenseil verstricken ließ. Dann tönte ein leises Kichern wie Vogelgezwitscher in die warme Maienluft hinaus, als es kund ward, daß der leichtfertige Hylas immer seine Liebchen acht Tage früher verließ, ehvor er ihrer überdrüssig wurde.

Achatius strich sich vergnüglich sein Bärtchen. Er wußte recht gut, daß ein Flattergeist bei den holden Evastöchtern nicht Zorn, sondern nur den Wunsch erweckt, selbigen zu fesseln.

Aber wie reckten die Damen jetzt die Ohren dar!

Ah! der treue Celadon nahte, der durch einen großen Knopf der Liebe mit der holden Astrea verbunden war.

Der jungen Herzogin mochte die Erzählung bereits bekannt sein; denn ein triumphirendes Lächeln ihrer Lippen kündigte schon im voraus jede schnöde Rede an, mit der Astrea das Herz des Schäfers zerriß. Sie zeigte nicht einmal Mitleid mit ihm, da die Schäferin den großen Fehler schoß, daß sie ihrem unschuldigen Celadon zurief: „Geh hin! geh hin, Du Ungetreuer!“ Und als er, statt beleidigt sich abzuwenden, sie flehend an ihrem Schäferbändel fest zu halten strebte, da nickte die junge Fürstin leise für sich hin, als bekräftige sie eine nun auch ihr aufgegangene Wahrheit. Sie wiegte sich förmlich in seinem Liebeskummer.

Die Hofjungfrau mußte die Stelle zweimal lesen, wo der verlassene Celadon den Hut tief in die Augen drückte, die Arme über der Brust kreuzte und, schwermuthsvoll die großen Schleifen auf seinen Schuhen beschauend, davon schritt, um unter düstern Sykomoren die Hände zu ringen.

Als er endlich verzweifelnd sich in die strudelnde Fluth stürzte, da versagte der Vorleserin die Stimme. Aus den Augen der Damen rieselte ein feister Sprühregen von Zähren auf die Halskragen und Flortücher nieder.

„O,“ rief Dorothea, und ihre helle Stimme, die an ein Silberglöckchen gemahnte, bebte leise, „welch eine schöne Welt! Wie lieblich muß es sein, gleich der Schäferin verstohlen mit einem Adorateur im Garten sich zu ergehen! Welch einen Reiz mag es ausüben, im Liebesspiel, im Streiten und Meiden die Kraft zu prüfen, die uns verliehen ward! Kann es eine größere Wonne geben, als die süßen Schmerzen durchzukosten, welche die liebleidende Astrea empfindet, als sie glaubt, ihren Celadon für immer verloren zu haben? O glücklich, wer ein solches Evenement erleben darf!“

Achatius hatte mit angehaltenem Athem gelauscht. Jetzt mußte er lächeln. Eine unglückliche Liebe wünschte sich die schöne Herzogin? Schade, daß er nur der Hofmeister war! Er hätte ihr eine solche mit Vergnügen bescheren wollen.

„Es ist eine erstaunliche Historie!“ ließ sich jetzt die rundliche Hofmeisterin vernehmen. „Die von Liebe Beschwerten brauchten im Anfang nur ein aufklärendes Wort zu sprechen und das Mißverständniß wäre beseitigt. Wie klüglich hat der Dichter dies ein dickes Buch hindurch zu verhüten gewußt! Und welche seine Reden legt er den Schäfern in den Mund! Unaufhörlich wie eine Rolle Band fließen ihnen die Worte über ihre Liebe von den Lippen. Hier entgegen wirkliche Männer genommen! Sie jagen und reiten, und wenn sie heimkommen, begehren sie zu schmausen, zu trinken und zu schnarchen.“

„Ja“ nickte die langnasige Hofjungfrau, „Monsieur d’Urfée versteht Erlebnisse zu schildern, die sich nirgends begeben können. Bei uns wird sich ein Schäfer vielleicht für Hunger in die Saale stürzen, nicht wegen seiner braunen Gänsehirtin. Und wo trüge ein solcher Schleifenschuhe? Welche hohe Stiefel zieht selbst der Junker von Hagenest an, wenn er seine Herden bei der Schafwäsche mit der langen Peitsche zusammenhält!“

Das Strohblümchen stieß heimlich die Hofmeisterin an; laut aber sprach es gefügig gegen die Herzogin hin: „Die Poeten und Reimschmiede sollen uns ja auch zeigen, wie es auf der Erde sein könnte, wenn sie noch ein Garten Eden wäre. Wie sie beschaffen ist als Jammerthal, wissen wir selbst, leider Gottes!“

Dorothea legte die von Juwelen funkelnde Hand auf den Roman.

„Dieses Buch,“ sprach sie seufzend, „lehrt uns erkennen, wie arm das Dasein ist, welches die Tochter eines edlen Geschlechtes hier zu Lande führt. Wie der Sittich wird sie im Käfig gehalten. Ein Herz klopft ihr in der Brust; aber die wunderbarlichen Zustände desselben, den Schmerz und die Seligkeit der Liebe, lernt sie nie kennen. Den Gemahl kürt die Familie, aus – Gott weiß welchen Gründen, vielleicht, um einen alten Zank abzuschließen. Man stiftet eine Zusammenkunft an, ohne viel zu fragen, ob es ihr genehm ist, sich beschauen zu lassen wie käufliches Gut. Findet sie Gnade vor seinen Augen – o, so nimmt er sich dennoch Zeit. Er sendet keine verpetschierten Brieflein durch heimliche Liebesboten; er vermummt sich nicht wie ein Bauer mit einer Juppe, um einmal verluppt die Geliebte zu sehen. Er sendet von Zeit zu Zeit eine Botschaft, welche Nachricht bringt von den vielen Geschäften, die ihn fern halten. Und wir erfahren, was alles er über Liebes- und Ehewerk stellt. Es hilft uns nicht, wenn wir darob schmollend uns in Stillschweigen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Honoré d’Urfée
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_690.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)