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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

die traurigen Augen des alten Herrn v. Malaszow gefürchtet mit der stummen Frage: ,Wenn diesen, warum nicht meinen Sohn, meinen letzten, einzigen Sohn?’“ –

Der alte Herr schwieg ergriffen. Auch mir war längst die Cigarre ausgegangen. Ueber uns im Weinlaub sang eine Drossel.

„Sehen Sie, mein junger Freund,“ sagte nach einer Pause der Doktor mit einem etwas anzüglichen Lächeln, „so wurde ich der alte Grimmbart, der keinen zehnzölligen Naturforscher mit einem Brustkasten wie ein Preiskämpfer als untauglich gelten läßt, mag er auch etwas entzündete Augen und eine bleiche Gelehrtenfarbe haben.

Donnerwetter, Sie werden sich wundern, wie Sie nach sechs Wochen aussehen werden. Wollen Sie bei der Artillerie eintreten?“

Ehe ich antworten konnte, verdunkelte ein leichter Schatten den Eingang der Laube und eine weiche Stimme sagte: „Verzeih’, Onkelchen, daß ich Dich störe, aber oben ist der Medizinalrath Scholten, der Dich gleich sprechen will.“

„Scholten! ja dann ist es vorbei mit dem Plauderstündchen, wir haben eine Konsultation zusammen. Seien Sie nicht böse, daß ich Ihnen davonlaufe, wir sehen uns ja wohl noch öfters. Liebe Erna, geleite Herrn Werner bis zur Gartenthüre, hier ist der Schlüssel. Auf Wiedersehen, lieber Werner!“

Damit eilte der kleine, kurzbeinige Herr so schnell er konnte ins Haus.

Fräulein Erna hielt den großen Schlüssel verlegen in der zierlichen Hand. Aus der wenig ceremoniösen Art der Einführung und dem kurzen Sommerkleidchen, welches allerliebste Füße frei ließ, glaubte ich den Schluß ziehen zu dürfen, daß die junge Dame noch zu der Species der Backfische gehöre, obgleich über der ganzen Erscheinung schon der Zauber holdester Jungfräulichkeit lag.

Ich machte ein paar nicht sehr geistreiche Bemerkungen über den hübschen Garten und die Rosen, aber wie ich ein schelmisches Lächeln über das reizende Gesicht huschen sah, nahm ich mich zusammen und suchte, anknüpfend an eine seltene Pflanze in unserer Nähe, ihr ein kleines botanisches Privatissimum zu halten.

Sie hörte zwar aufmerksam zu, sah aber mit einem Ausdruck zu mir empor, daß ich sofort innerlich überzeugt war, ihr Litteraturlehrer in der ersten Klasse der höheren Töchterschule sei in sie verliebt. Ich wurde auf den Mann ordentlich eifersüchtig, denn die Litteratur ist entschieden ein ergiebigeres Feld als die Botanik. Indessen hatten wir uns auch in dieses trockene Studium so vertieft, daß ich zusammenschrak, als die Equipage des Medizinalraths am Gitter vorbeirasselte und Doktor Römer verwundert zu uns herüberblickte.

Schleunigst nahm ich nun Abschied, aber noch oft konnte man an schönen Sommerabenden die lange Gestalt eines Freiwilligen in der Weinlaube sitzen sehen und auch die privatissima wurden eifrig fortgesetzt.

Jahre sind vergangen. Der Herr Oberstabsarzt ist ganz sicher vor meiner Rache, vorausgesetzt natürlich, daß er nichts dagegen hat, mein Schwiegeronkel zu werden. –




Blätter und Blüthen.

Ein Denkstein auf dem Schlachtfeld von Auerstädt. Die großen Denkmäler gelten den Siegen der Nationen, aber auch, wo ein Heer tapfer, doch unglücklich gekämpft, verdient die Stelle des Kampfes für die Nachwelt bezeichnet zu werden. Auf der Hochebene zwischen Kösen und Eckartsberga liegt das Dorf Hassenhausen, um dessen Besitz am 14. Oktober 1808 heftig gekämpft wurde, an jenem Tage, der als Schlachttag von Auerstädt in der Geschichte bezeichnet wird. Drei Divisionen schlugen sich hier gegen die Truppen des Marschalls Davoust mit solcher Hartnäckigkeit, daß der beiderseitige Verlust übereinstimmend auf ein Drittheil der Kämpfenden angegeben wird. Hier fiel der Oberstkommandirende der preußischen Armee, der Herzog von Braunschweig, tödtlich getroffen; ein kleiner Denkstein in einem Tannengebüsch bezeichnete die Stelle. So lange die Napoleonische Herrschaft dauerte, war es bei einer in den Boden eingelassenen Steinplatte mit einem Kreuz und der Inschrift „14. Oktober 1806“ geblieben – im Jahre 1816 wurde der auf dem Kirchhofe von Taugwitz seit 1807 befindliche Denkstein nach dem durch jene Platte bezeichneten Platze überführt. Jetzt ist es den Bemühungen des Landraths von Naumburg, Barth, und des Brigade-Adjutanten Hauptmann Jäger gelungen, durch die Liberalität der braunschweigischen Regierung an dieser Stelle ein neues nach den Rissen vom Rathsbaumeister Fr. Töpfer in Kösen entworfenes und von demselben ausgeführtes Denkmal zu schaffen, einen etwa 4 Meter hohen Obelisken mit der Inschrift: „Hier ward am 14. Oktober 1806 Karl, regierender Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, tödtlich verwundet. P.(osuit) C.(arolus) A.(ugustus) D.(ux) S.(axonaie) V.(imariae). (Auf Deutsch: Gesetzt von Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar.) Erneuert von der Herzoglich Braunschw. Staatsregierung 1888.“ Das Denkmal wurde am 9. September in Gegenwart mehrerer Vertreter der braunschweigischen Regierung und der Kriegervereine der Umgegend festlich eingeweiht.

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Eine kirgisische Sultanin. Der Sultan der Kirgisen der Orenburger Steppe, Suleiman, den Heinrich Moser auf seiner großen asiatischen Reise besuchte, gemüthlich angeregt durch die Branntweinflasche seines Gastes, ließ ihm die größte Ehre widerfahren, welche einem Christen zu Theil werden kann: er drückte ihm den Wunsch aus, ihn seiner Lieblingsgemahlin vorzustellen. Moser schildert uns, wie ihn schon bei ihrem Eintritt in das Zelt Fatme durch ihre Schönheit und den Reichthum ihres Kostüms blendete. Sie war eine etwa zwanzigjährige, frisch aussehende, wunderhübsch gebaute Frau; sie trug einen cylindrischen sammetnen Kopfputz, der buchstäblich mit Edelsteinen bedeckt und am unteren Rande mit Zobel besetzt war. Eine Art Sack, ähnlich wie an den alten ungarischen Kalpaks, an dessen Ende ein Türkis von seltener Größe befestigt war, fiel auf das linke Ohr herab. Als Unterscheidungszeichen ihrer Würde trug die Favoritin einen Busch von Reiher- und Straußfedern auf dem Kopfputze. Als sie bemerkte, daß der Reisende ihre Person und ihr Kostüm bewunderte, ließ ihn ein Lächeln der Befriedigung ihre hübschen spitzen Zähne sehen. Mit offenbarem Vergnügen und echt weiblicher Koketterie machte sie ihn auf die einzelnen Theile ihrer Kleidung aufmerksam. Vom obern Rande der Mütze fielen von Goldfransen eingesäumte Musselinschleier bis auf die Schultern herab. Eine Art Priestermeßgewand aus weißem Atlas, das mit breiten Goldborten und einer hinter dem Kopfputze beseitigten Franse aus reinem Golde besetzt war, reichte bis auf die Kniee herab. Unter dem Meßgewand sah man einen Sarafan aus Goldbrokat. Dieses zierliche Kostüm wurde durch ein goldgesticktes Beinkleid aus sehr dünner weißer Seide, das an den Knöcheln fest anschloß, vervollständigt. Die sehr kleinen Stiefelchen aus rothem Maroquin bedeckten ebenfalls Goldstickereien und Edelsteine. Fatme nahm arglos die übertriebenen Schmeicheleien des Reisenden hin und obschon eine verheirathete Frau niemals wagen darf, ihr Haar sehen zu lassen, ließ sie ihn doch ein Endchen ihrer kohlschwarzglänzenden Zöpfe erblicken. Er faßte es zart an und war boshaft genug, daran stark zu ziehen, um sich zu überzeugen, ob der Stoff wahr oder falsch sei. Selbst in Europa hätte eine Frau sehr stolz auf diesen Haarschmuck sein können.

Nun mußte ihr Moser von seiner Heimath und der dortigen Frauenwelt erzählen; er zeigte ihr das Medaillon einer jungen Dame in Balltoilette. Da ergab es sich, wie verschieden die Begriffe von dem, was sich ziemt, in der Orenburger Steppe und in den Salons von Paris, Wien und Berlin sind; denn Fatme konnte sich anfangs nur denken, daß eine Dame in solcher Weise ihre Schönheit nur dem Geliebten zeigen könne, und glaubte daher, der Reisende habe das Bild selbst gemacht. Als sie erfuhr, daß ein anderer es gemalt, sagte sie: „Diese Frau liebt Dich nicht, sonst hätte sie sich nicht so wenig bekleidet einem Dritten gezeigt.“ Und als sie gar erfuhr, daß sämmtliche Frauen auf den Bällen in Europa so erschienen und von dem Arm eines Tänzers in den eines andern übergingen, da wuchs ihre Verwunderung.

Später vergrößerte sich der gesellschaftliche Kreis: es kamen Verwandte und Freundinnen der Sultanin und andere Gäste. Es wurden Gesellschaftsspiele gespielt, die mit den europäischen große Aehnlichkeit haben, Taschentücher versteckt, der Wirbelknochen eines Schafs in die Höhe geworfen, was an das Spiel „Kopf oder Wappen“ erinnern mag: fällt er auf die Seite, so hat der Spielende verloren und es werden ihm Strafen zudiktirt, die allerdings einen stark asiatischen Beigeschmack hatten. So mußte ein anwesender dicker Militärarzt aus Orenburg einen Hund nachmachen, und wenn er im Bellen nachließ, wurde er durch die Peitsche des Sultans und der Sultanin zur Fortsetzung seiner Rolle ermuthigen. Andere mußten mit den Zähnen ein Geldstück aus einem mit saurer Milch gefüllten Gefäße herausholen. Der Reisende selbst aber hatte eine liebenswürdige Nachbarin, eine Verwandte der Sultanin, die in großem Nationalkostüm neben ihm Platz genommen. Ihre Augen waren zwar nicht groß, aber ausdrucksvoll und tiefschwarz, ihre wenig plastische Nase hatte bewegliche Flügel und die Zähne waren von merkwürdiger Weiße; der kleine Kopf auf dem prächtig gebauten Körper erhöhte das Anziehende ihrer Erscheinung. Chalisa war der melodische Name des hübschen Mädchens. Sie streckte ihrem Nachbar, sobald sie Platz genommen, zwei weiße Händchen entgegen, welche dieser recht herzlich drückte. Diese Gastfreundlichkeit erschien ihm reizend. Beim Abschied bemerkte er einen Ring am Finger der reizenden Nachbarin; auf seine Frage, woher sie ihn habe, zog sie ihn ab und bot ihm denselben mit folgenden Worten an: „Nimm ihn hin! Ein armes Kind der Steppen giebt ihn Dir! Möge er an Deinem Finger stets nur eine befreundete Hand berühren, das wünscht Dir Chalisa.“

Er erwiderte das Geschenk mit einer alten Reliquie, die er an der Uhr trug und ihr mit den Worten überreichte: „Du wirst diese Reliquie Deinem künftigen Geliebten schenken. Möge er Deiner würdig sein, das wünsche ich Dir.“

Mit der stolzen Amazone machte er noch viele schöne Ritte durch die Wüste, und lange noch sah er sie vor sich, wie sie am Tage seiner Abreise aus der Kirgisensteppe zu Pferde, in den Steigbügeln stehend, eine Hand an der Stirn, die andere aufs Herz gelegt, sich von ihm verabschiedete.

Man sieht, das Bild der schönen Kirgisensultanin Fatme wird durch das der reizenden Chalisa etwas in Schatten gestellt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_666.jpg&oldid=- (Version vom 18.7.2023)