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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

nimmt das ganz gelassen hin. Es ist überhaupt eine merkwürdige Wirtschaft da drüben in der Nordheimschen Villa. Zwei Brautpaare im Hause! Da sollte man meinen, es müsse alles Lust und Freude sein, aber wie mir scheint, geht es ziemlich ungemüthlich zu unter den Herrschaften, Herrn Waltenberg mit eingeschlossen. Said und Djelma beklagen sich fortwährend bei mir über seine Laune. Ich habe ihnen zu Gemüthe geführt, daß das einzig und allein von den Heiratsgedanken kommt, und daß das Heirathen überhaupt nur Unheil anrichtet, aber die beiden Schlingel wollen das durchaus nicht einsehen, sondern finden die Geschichte ,serr schön!‘“

„Sie sind ein ausgemachter Ehefeind, das wissen wir längst,“ sagte Reinsfeld mit einem flüchtigen Lächeln. „Wenn Wolfgang jetzt vielfach verstimmt ist – und er mag wohl Ursache dazu haben in seiner schweren und verantwortlichen Stellung – bei seiner Braut läßt Stimmung und Aussehen gar nichts zu wünschen übrig.“

„Ja, sie ist noch die munterste von allen,“ stimmte Gronau bei. „An der haben Sie überhaupt ein Meisterstück vollbracht, Doktor, mit Ihrer Kur. Was war das für an jammervolles Pflänzchen, und jetzt blüht sie auf wie eine Rosenknospe. Baroneß Thurgau ist um so stiller, und nun erst die Herren Verlobten! Der eine steht immer auf dem Siedepunkte und ist eifersüchtig wie ein Türke, der andere benimmt sich wie ein regelrechter Eiszapfen seiner Braut gegenüber, und dabei sehen sie sich gegenseitig mit Blicken an, als möchten sie sich am liebsten beim Kragen nehmen – das wird eine schöne Verwandtschaft werden!“

Benno unterdrückte einen Seufzer; ihm war die stumme, erbitterte Feindschaft zwischen Wolfgang und Waltenberg, die sich nur mühsam unter den Formen der notwendigsten Höflichkeit verbarg, gleichfalls nicht entgangen, aber er schwieg.

„Herr Waltenberg kann mir recht leid thun,“ hab Veit wieder an. „Der kann nicht leben, wenn er nicht Tag für Tag seine Braut sieht, und Tag für Tag kommt er von Heilborn herübergefahren. Sie dagegen scheint sich die berühmte Berggottheit der Wolkensteiner zum Vorbilde genommen zu haben, sie sitzt wie die Alpenfee hoch auf dem Throne und läßt sich anbeten, bleibt aber ganz ungerührt dabei. Doktor, Sie sind der einzig Vernünftige unter der ganzen Gesellschaft. Sie denken nicht an das Heiraten - bleiben Sie um Gotteswillen dabei!“

„Daran denke ich allerdings nicht,“ sagte Reinsfeld ruhig, „aber an etwas anderes, das Sie kaum weniger überraschen wird, an das Fortgehen. Mir ist ganz unerwartet eine ärztliche Stellung unter sehr günstigen Bedingungen angeboten worden.“

„Bravo! Dann greifen Sie zu!“

„Das werde ich allerdings wohl müssen.“

Gronau lachte laut auf.

„Mit welchem Gesichte Sie das sagen! Ich glaube wahrhaftig, es geht Ihnen zu Herzen, daß Sie diese biederen Obersteiner verlassen müssen, die Sie fünf Jahre lang ausgenützt und sich dann mit einem ‚Vergelt’s Gott‘ bedankt haben. Mein alter Benno, wie er leibt und lebt! Der wäre auch nicht als ein armer Mann gestorben, wenn er es verstanden hätte, mit der Welt und den Menschen anders umzugehen. Da hat er jahrelang gesessen und sich mit einer Idee gequält, die sein Glück hätte machen müssen, aber er verstand es nun einmal nicht, sich durchzubeißen und mit schüchternen Bitten und Anfragen kommt man nicht durch bei den großmächtigen Herren Kapitalisten und Unternehmern. Schließlich sind ihm andere zuvorgekommen mit der Erfindung, die gewissermaßen in der Luft lag, als man anfing, die Gebirgsbahnen zu bauen, aber er war doch der Erste, der das System der Berglokomotiven aufstellte – all die späteren Erfindungen bauten sich auf dieser Grundlage auf.“

„Mein Vater?“ sagte Benno befremdet. „Da sind Sie im Irrthum, es ist das Nordheimsche System, das noch den heutigen Maschinen zu Grunde liegt.“

„Bitte, es ist das Reinsfeldsche,“ behauptete Gronau mit der größten Bestimmtheit.

„Sie irren sich, ich wiederhole es Ihnen! Wolf hat mir selbst erzählt, daß sein Schwiegervater mit dem Entwurf jener Berglokomotive den Grund zu seinem späteren Reichthume legte. Der Plan wurde damals angekauft und bei den ersten Gebirgsbahnen auch verwendet. Später wurde er natürlich durch allerlei Verbesserungen überholt, aber der Erfinder ging keineswegs leer aus, man zahlte ihm einen verhältnißmäßig sehr hohen Preis für das Patent.“

„Wem? Dem Nordheim?“ fuhr Veit heftig auf.

„Dem jetzigen Präsidenten – allerdings.“

„Und das hat Ihnen der Chefingenieur gesagt?“

„Gewiß, wir sprachen erst kürzlich davon. Uebrigens ist die Sache ja weltbekannt, jeder Ingenieur kann sie Ihnen bestätigen.“

(Fortsetzung folgt.)




Der Lehrer als Wächter der Gesundheit.
Von Dr. med. Taube.
I.

In keinem ihrer Einzelfächer hat die öffentliche Gesundheitspflege einen so heilsamen und klar zu Tage tretenden Einfluß in den letzten Jahrzehnten entwickeln können, wie auf dem Gebiete des allgemeinen Schulwesens. Es ist unseren älteren Zeitgenossen nicht zu verargen, wenn sie, an die engen, schlecht gelüfteten und durchleuchteten Räume der ehemaligen Schulen zurückdenkend, mit einem gewissen Gefühl des Neides die modernen Schulpaläste betrachten, und mancher von ihnen wird sicher zu der Frage geführt: war denn die Nothwendigkeit für so hochgradige Veränderungen auch wirklich vorhanden? Denn in den früheren Verhältnissen entwickelten sich gleichfalls im Durchschnitt körperlich und geistig gesunde Menschen. Die Antwort auf diese Frage kann von Aerzten und Lehrern nur bejahend ausfallen. Die Schäden eines Uebelstandes werden oft erst dann richtig erkannt, nachdem derselbe beseitigt worden ist. Wir können schon jetzt mit Sicherheit behaupten, daß einige der sogenannten Schulkrankheiten, z. B. die Rückgratsverkrümmungen, seltener geworden sind, andererseits legt aber die Schule oft den Keim zu Krankheiten, welche erst in späteren Lebensaltern zur Entwicklung kommen, z. B. Bleichsucht, Schwindsucht, Augenkrankheiten. Diese Anlagen können aber nur durch den Aufenthalt der Kinder in gesundheitlich so günstig wie nur möglich eingerichteten Räumen eine Verminderung erfahren. Man vergleiche in Städten, welche Schulhäuser nach altem und neuem Muster besitzen, das Befinden der Kinder und die Verminderung des Kohlensäuregehaltes in neuen und alten Anstalten, um sich hiervon zu überzeugen. In der Neuzeit tritt noch die Nothwendigkeit hinzu, daß die Schule die Schäden des Hauses bezüglich Luft und Licht in einer großen Anzahl von Fällen ausgleichen muß; nicht die Schulkrankheiten, sondern die Hauskrankheiten sind es vielfach, welche die Schule verbessern soll, und dies kann nur in Gebäuden, die in jeder Beziehung gesund angelegt sind, ermöglicht werden.

Diese Wahrnehmung kann uns nur ermuthigen, aus dem eingeschlagenen Wege weiter fortzuschreiten, um so mehr, als noch viele Fragen ihrer Erledigung harren. Die allgemeine Gesundheitspflege hat den Endzweck, den Organismus der Menschen gesund zu erhalten. Wenn daher auch die Schlußfäden in der Hand des Arztes zusammenlaufen, so sind doch zur Lösung der Aufgabe die verschiedenen Mitarbeiter in Anspruch genommen. Die Schulgesundheitspflege als Theil des Ganzen sucht die Gesundheit der Schulkinder gegen Gefahren zu schützen, welche durch den längeren Aufenthalt und die größere Anzahl der Kinder in geschlossenen Räumen und die gebeugte Haltung derselben entstehen.

Es fragt sich nun, wer dieses gesundheitliche Wächteramt der Schule übernehmen soll. Es ist hier zweierlei zu berücksichtigen: erstens der Bau und die Einrichtung der Schule. In dieser Hinsicht wird wohl jetzt überall in Deutschland die ganze Kraft von den Verwaltungen eingesetzt, das Beste zu schaffen und die neuesten Erfahrungen zu verwerthen. Das Zweite dagegen, die Ueberwachung der Kinder in den gegebenen Verhältnissen, hat noch nicht die nothwendige Erledigung gefunden.

In mehreren außerdeutschen Ländern sind Schulärzte zu diesem Zwecke vorhanden, welche, fest angestellt, die Schule monatlich ein- bis zweimal besuchen und über das Ergebniß der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_654.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)