Seite:Die Gartenlaube (1888) 589.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Hofkirche. Unsere Abbildung (auf dem Tableau rechts oben) zeigt die letztere von der Augustusbrücke aus; sie wirkt besonders durch die Schönheit des luftigen und elastischen Aufbaus und die vollendete Harmonie aller Verhältnisse. Achtundsiebzig Figuren von Heiligen, welche die Balustraden schmücken, vollenden die reizende malerische Wirkung des Ganzen; es sind perspektivische Kunstwerke, man kann sagen optische Kunststücke in ihrer Art.

An Thürmen ist bekanntlich Dresden nicht reich; dagegen leidet es keinen Mangel an schönen wasserreichen Brunnen. Der berühmte Marcolinische ist sozusagen die Fontana Trevi der Stadt; der wie eine gelungene Illustration zu Scheffel anmuthende Gänsedieb-Brunnen von Rob. Dietz könnte in Nürnberg stehen. Der sogenannte „Cholerabrunnen“ von Semper strahlt nach soeben vollendeter Reparatur in erneutem Glanz und – anderer nicht zu gedenken – der jüngste von allen, last not least ist der Brunnen mit der Bronzefigur des heiligen Georg von Altmeister Hähnel, seitwärts der Sophienkirche. Aus unserer Abbildung (S. 590) kann der Leser die Stilreinheit und Formenschönheit erkennen, die Hähnel eigen ist, sowie namentlich auch die klassische Ruhe, deren großartiges Gepräge er selbst einem so romantisch bewegten Stoff wie dem des Drachentödters in so gedrängter Darstellung aufzudrücken versteht. Oben links auf unserem großen Bilde sehen wir die Gemäldegalerie oder das Museum, mit welchem Semper in einem genialen Wurf den Renaissancestil der Neuzeit, der für Dresden und anderwärts maßgebend wurde, begründet. Zugleich schuf Sempers Meisterhand damit einen echt künstlerischen Abschluß für das wundersame und sphinxartige Fragment, das phantastischste Bauwerk Augusts des Starken, den Zwinger.

Die Abbildung zeigt dasselbe vom Hofe aus – mit Recht; denn der ganze Zwinger (vom Zwingergarten so genannt) war nur als Vorhof des nie zur Ausführung gekommenen Prachtschlosses gedacht, welches seine kolossale Front mit Terrassen gegen die Elbe kehren sollte. Der Zwinger ist ein Unicum, mit keinem Bauwerk der Welt vergleichbar. Eine berauschende Sinnlichkeit weht uns aus seiner Formenfülle entgegen, die, ein Schrecken aller hochweisen Kunstpedanten, leicht, kühn, frivol, aber immer elegant, den Barockstil in grandioser Ueppigkeit auf die Spitze treibt, im Gegensatz zu aller Steifheit flüssig und wie Champagnerschaum zu moussiren scheint. Der Erbauer, Pöppelmann, hat seinem Fürsten ein prägnant charakteristisches, unsterbliches Denkmal gesetzt, „un monument éternel de sa parfaite connaissance dans les beaux Arts“, wie es in einem hohen Dankschreiben ausgedrückt ist. Aber abgesehen von allem Fremdartigen und unbeschadet der Eigenthümlichkeiten des Barockstils hatte sich am Zwinger eine ganz originale sächsische Kunst auszubilden begonnen – wie schade, daß es dabei sein Bewenden haben sollte! Was hätte aus Dresden nach solchen genialen Anläufen werden können! August der Starke war sicherlich kein konstitutioneller Fürst und Volksbeglücker im modernen Sinne des Wortes, aber heute noch sollte kein Dresdener an seiner Statue vorübergehen, ohne den Hut abzunehmen.

Dieselbe steht (vergl. das große Bild) vor dem Rathhaus in Neustadt am Eingange der Hauptallee. Das etwas plumpe Reiterstandbild, von dem Augsburger Kupferschmied und Hauptmann Ludwig Wiedemann im Auftrag Friedrich Augusts II. gefertigt, ist in Kupfer getrieben, schwer vergoldet und stellt den Herrscher in römischer Tracht dar, mit frappanter Aehnlichkeit der Gesichtszüge, wie man sagt.

Das stimmungsvolle Bild des Zwingerteichs (S. 585 rechts unten) zeigt uns das neue Hoftheater Sempers leider nur von seiner unvortheilhaftesten Seite aus, dem sogenannten „Kasten“ über der Bühne; unsere Leser aber wissen schon aus dem Artikel „Dresdener Oper“ (in Nr. 52 des Jahrganges 1887), daß es eines der schönsten Opernhäuser der Welt und gegenwärtig unter der musikalischen Leitung des genialen Ernst Schuch die hervorragendste Pflanzstätte des neuen deutschen Opernstiles ist. Zu dem konzentrirten inneren Dresden um den Theaterplatz herum gehört auch die ionisch-anmuthige Hauptwache, das Schloß mit seinen romantischen alterthümlichen Thurmhöfen und dem angrenzenden Stallgebäude (die Abbildung links unten im Tableau zeigt den zu Ringelrennen und Palliumstechen dienenden „Stallhof“), dessen Errichtung den Haus- und Landzeugmeister Paul Püchner in ganz Europa berühmt gemacht hat. Der Arkadenhof, theils von Epheu überwuchert, ist von stimmungsvollster Wirkung. Die Freitreppe, welche zur Terrasse führt (in der Abbildung dicht darüber), wird von vier vergoldeten Figurengruppen geschmückt. Es sind die vier Tageszeiten; Johannes Schilling, der sich damals erst durch die Demiani-Statue in Görlitz bekannt gemacht hatte, führte sie auf höheren Befehl aus. Die Gefahr, an Michel Angelo zu erinnern, hat er glücklich umgangen, die Aufgabe mit Geschick gelöst und poetisch liebliche, fein empfundene Figuren geschaffen. Das dem deutschen Klima gegenüber unzulängliche Material des Sandsteines hat zu der geschmacklosen Vergoldung geführt.

Aus Dresdens bester Zeit stammen die großartigen Anlagen des Großen Gartens mit dem Palais im italienischen Villen-Renaissancestil (siehe die Abbildungen S. 584 u. 585). In dem letzteren sind heute, wie im Thorwaldsen-Museum zu Kopenhagen des dänischen, so hier des sächsischen Bildners Rietschel sämmtliche Werke pietätvoll zur Betrachtung aufgestellt. Das Palais ist besser erhalten als irgend ein anderes Bauwerk früherer Zeit;

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1888, Seite 589. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_589.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)