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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

beleuchtet war die Gruppe auf dem kleinen Hügel, die schlanke, lichte Gestalt des jungen Mädchens, die größere, dunkle des Mannes an ihrer Seite und das zottige Fell des Hundes, der, den mächtigen Kopf zwischen den Pfoten, regungslos ihnen zu Füßen lag.

Benno, der mit Gronau in der Nähe des Feuers stand, blickte bisweilen hinüber, aber noch ein Paar andere Augen ruhten starr und düster auf demselben Punkte, und wenn sie sich auch zuweilen gewaltsam losrissen und zu den anderen Gruppen schweiften, die in dem Feuerschein bald auftauchten, bald verschwanden, sie kehrten, wie von einer geheimnißvollen, unwiderstehlichen Gewalt gelenkt, immer wieder zurück zu den beiden, die da aussahen, als gehörten sie bereits zusammen.

Erna hatte vorhin, erhitzt vom Steigen, den Hut abgenommen; er lag neben ihr auf dem moosigen Steine, der ihr zum Sitz diente, während sich Waltenberg im leisen, angelegentlichen Gespräche zu ihr herabbeugte. Er sprach vielleicht nur gleichgültige Worte, aber sein Blick hing an ihren Zügen mit einem leidenschaftlichen Ausdrucke, den er sich gar nicht mühte, zu verbergen. Seine Augen hatten es gelernt, die Sprache der Leidenschaft zu reden, die sein ganzes Wesen durchglühte. Der Mann, dessen Freiheitsdurst sich so lange gesträubt hatte gegen die Bande der Liebe, er lag jetzt gefesselt und willenlos in ihrem Bann.

Sie sprachen nur halblaut und doch verstand Wolfgang jede Silbe; mitten durch das Lachen, Schreien und Jauchzen, mitten durch das Prasseln und Knattern der Flammen drang Wort für Wort zu seinem Ohre, denn all seine Nerven spannten sich an zu fieberhaftem Lauschen, als hänge für ihn Leben oder Tod ab von dem, was dort oben gesprochen wurde.

„Unersteiglich nennen Sie den Wolkenstein?“ fragte Waltenberg. „Das heißt wohl nur, es hat ihn bisher noch niemand bestiegen. Er wird doch zu bezwingen sein dieser unnahbare Gipfel.“

„Bisher hat ihn aber noch keiner bezwungen,“ entgegnete Erna. „Durch das Felsenmeer wagte sich so mancher hinauf, bis an den Fuß der Hochwand, aber da hat noch ein jeder Halt machen müssen, selbst mein Vater, dem nicht leicht etwas zu hoch oder zu steil war. Er stieg den Gemsen nach bis auf den höchsten Grat, aber er erklärte mehr als einmal: ,Die Hochwand ist nicht zu nehmen!‘“

Ernst blickte zu dem Gipfel des Wolkenstein empor, der hier nur theilweise sichtbar war, und lächelte.

„Wissen Sie, mein gnädiges Fräulein, daß Sie mir gerade durch diese Schilderung Last machen zu dem Wagniß?“

Sie sah betroffen zu ihm auf.

„Herr Waltenberg, Sie werden doch nicht –?“

„Die Hochwand nehmen – gewiß! Wenigstens werde ich es versuchen.“

„Unmöglich! Das ist ein Scherz!“

„Glauben Sie? Ich denke, Ihnen nächstens zu beweisen, daß es mir Ernst damit ist.“

„Aber warum denn? Zu welchem Zwecke?“

„Warum besteht man Abenteuer? Weil die Gefahr reizt, weil es ein Sieg, ein Triumph ist, das scheinbar Unmögliche zu erzwingen.“

„Und wenn dieser Triumph Ihr Leben fordert? Sie würden nicht das erste Opfer der Hochwand sein, fragen Sie Sepp, er kann Ihnen Trauriges erzählen.“

„Pah, mir sind die Gefahren nicht fremd, ich habe schon höhere Gipfel erstiegen als diesen gefürchteten Wolkenstein.“

Sein Ton verrieth den trotzigen Uebermuth eines Mannes, der gewohnt ist, mit der Gefahr zu spielen, der sie um ihrer selbst willen aufsucht. Nordheim hatte Recht, ihn reizte nur das Versagte und das Leben versagte ihm so wenig genug. Einen Alpengipfel bezwingen, den vor ihm noch keines Menschen Fuß betreten hatte, oder ein schönes, stolzes Weib erringen, das ihm kalt und spröde gegenüberstand – gleichviel! Es mußte erreicht und errungen werden, für ihn gab es keine Unmöglichkeit.

Der Wind, der sich setzt stärker erhob, jagte die Flammen seitwärts, sie sprühten und flackerten und ein ganzer Regen von Funken ergoß sich über Wolfgang, der das kaum beachtete. Er starrte unbeweglich in die prasselnde Gluth, deren Schein es nicht erkennen ließ, wie bleich er war. Der ganze Holzstoß war jetzt an einziges Feuermeer, immer wilder züngelte es empor, immer höher schlug die Lohe auf, alles verzehrend und vernichtend, was ihr heißer Athem berührte. Die kühle, thaufeuchte Matte, die dunklen Wälder, die schroffen Abhänge des Wolkenstein, das alles schien unheimlich verwandelt in dem rothen zuckenden Lichte, in den Rauchwolken, die darüber hinjagten.

Und ein Widerschein dieses lodernden Brandes lag auf dem Gesichte des Mannes, der stumm, mit festzusammengebissenen Zähnen die Folterqual erduldete, der er doch nicht entfliehen wollte. Er fühlte ihn ja, den verzehrenden Athem der Flammengluth, und blieb doch wie festgebannt an seinem Platze, er konnte sich nicht losreißen von jenen halblauten, bisweilen nur geflüsterten Worten, die vielleicht schon eine entscheidende Frage und Antwort brachten.

„Hüten Sie sich! Es ist der alte Sagenhort unserer Berge, und der ist gefeit! Seine Herrscherin duldet kein menschliches Wesen auf ihrem Throne.“

„Bis auf den Einen, der sie bezwingt! So enden ja immer die deutschen Sagen. Der Muthige, der doch hinaufdringt, schließt die Zaubergestalt in seine Arme.“

„Und stirbt in dem eisigen Kusse der Alpenfee – ja, so lautet die Sage!“ sagte Erna leise.

Waltenberg lachte spöttisch auf.

„Nun ja, es ist ein Märchen, das Kinder und allenfalls auch Naturmenschen erschrecken kann. Daher stammt also die Unnahbarkeit des Wolkensteins – nicht die Gefahr, der Aberglaube macht ihn unzugänglich! Ich denke, ihn mir trotzdem zu holen, diesen verhängnißvollen Kuß.“

„Das werden Sie nicht thun,“ fiel Erna halb bittend, halb befehlend ein. „Geben Sie den tollkühnen Gedanken auf!“

„Nein, mein Fräulein, selbst auf Ihren Befehl nicht.“

„Nun denn – auf meine Bitte!“

Es trat eine sekundenlange Pause ein, langsam wandte sich Wolfgang um. Er sah in der grellen Beleuchtung jeden Zug in dem Antlitz des Mädchens, das wirklich angstvoll bittend emporgerichtet war, und in dem braunen Gesichte des Mannes, der sich jetzt zu ihr niederbeugte, so tief, daß er fast ihre Locken berührte. Der spöttische, übermüthige Trotz war verschwunden aus seinen Zügen wie aus seiner Stimme, sie klang leise, aber in heißer, leidenschaftlicher Innigkeit, als er erwiderte: „Sie bitten mich?“

„Ja – von ganzem Herzen! Stehen Sie ab von der Thorheit, ich ängstige mich.“

Ernst lächelte, und in einem weichen, verschleierten Tone, wie er vielleicht noch nie von den Lippen des hochmütigen Mannes gekommen war, erwiderte er:

„Sie sollen sehen, daß ich gehorsam sein kann. So süß es auch wäre, zu wissen, daß ein Wesen um mich bangt, wenn ich die Gefahr bestehe – ich gebe es auf!“

Wolfgangs Hand umfaßte krampfhaft die kleine Zwergtanne, die sich neben ihm aus dem Boden erhob; die harten, spitzen Nadeln gruben sich tief in seine Haut, er fühlte es nicht. Drüben lohte es noch einmal auf wie eine Feuersäule, dann sanken einzelne der glühenden Brände, die anderen mit sich reißend. Krachend und prasselnd stürzte der ganze Holzstoß in sich zusammen, aus der zuckenden, sprühenden Gluth leckten tausend Flammenzungen, aber der rothe Schein beleuchtete jetzt nur noch die nächste Umgebung, die Matte und der kleine Hügel verschwanden im dämmernden Schatten. –

„Es war ein prächtiger Anblick, nicht wahr?“ fragte Benno heiter, indem er zu dem so einsam dastehenden Freunde trat und die Hand auf die seinige legte; plötzlich aber hielt er inne und fragte besorgt: „Wolf, was hast Du? Ich glaube, Dich schüttelt ein Fieberschauer, Deine Hand ist todtenkalt.“

„Mir ist nichts,“ sagte Wolfgang dumpf. „Vielleicht habe ich mich erkältet auf der thaufeuchten Matte.“

„Erkältet an diesem warmen Sommerabende, und Du mit Deiner eisernen Gesundheit? Aber Du bist wirklich nicht wohl, ich sehe es, zeig’ einmal Deinen Puls.“

Elmhorst, statt der Aufforderung nachzukommen, zog ungeduldig die Hand zurück.

„Ich bitte Dich, mache doch nicht so viel Aufhebens von einem leichten Unwohlsein. Das vergeht ebenso schnell als es kommt. Ich habe es schon vorhin bei unserem Aufstieg gefühlt.“

Benno schüttelte den Kopf, er hatte nicht das Geringste von einem Unwohlsein bemerkt.

„Dann wäre es wohl das Beste, wir träten den Rückweg an,“ meinte er. „Das Feuer erlischt und wir haben noch eine starke Stunde bergabwärts.“

„Sie haben recht, wir brechen gleichfalls auf,“ sagte Waltenberg, der jetzt auch herantrat. „Sepp schlägt vor, uns über die

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