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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

die Kollegin ursprünglich, wie ich es schon oft gethan, in dieser Nacht nach Hause begleiten wollen; sie war aber so plötzlich aufgebrochen und hatte mir eine so kühl ablehnende ‚Gute Nacht‘ geboten, daß ich unwillkürlich davon zurückgeschreckt und dageblieben war. Zufällig brach einer meiner Kollegen, der meine holländische Freundin schon seit einiger Zeit mit besonderer Auszeichnung behandelt hatte, kurz nach ihr auf, und als ich dann allein meinen Weg heimwärts suchte und dies sehr langweilig fand, blitzte in mir ganz plötzlich die Vorstellung auf, daß jener wohl gar sich ernstlich um ihre Neigung bemühe und statt meiner ihr Begleiter geworden sein werde. Dies machte mein Blut ganz rebellisch. Mir wurde mit einem Male klar, daß sich meine kameradschaftliche Freundschaft für sie in aller Heimlichkeit längst in Liebe verwandelt hatte. Wenn sie doch gar keine Künstlerin wäre, sondern ein Mädchen wie die andern auch, deren Wille nicht durch die Rücksicht auf einen ernsten Beruf gehemmt und geleitet werde: dieser Wunsch war mein nächster Gedanke. Und wenn schon Künstlerin, warum nicht eine Blumenmalerin wie so viele ihrer Genossinnen, statt Specialistin in der Darstellung des fernen Nordseestrandes und seiner Fluth? So aber: sie mit ihrer künstlerischen Sehnsucht nach Norden, ich mit meinem Verhältniß als Künstler zum bergigen Süden – wie sollte da ein gedeihlicher Bund zu stande kommen? Damit fielen mir die Vorwürfe auf die Seele, die ich ihr am verwichenen Abend mit etwas gar zu rücksichtsloser Entschiedenheit gemacht. Sie hatte ganz recht; was wußte ich eigentlich von Holland und seiner Küste? Meine Wissenschaft, soweit sie ungünstig lautete, hatte ich vom Hörensagen, soweit sie günstig war, aus ihren Bildern. Monoton in Bezug auf die äußerlichen Motive waren ja diese Ansichten in der That, aber welche unerschöpfliche Fülle koloristischen Reizes hatte sie dieser einfach elementaren Natur abgelauscht. Und nach den Staffagen zu schließen, war das Leben des kernigen Fischervolks dieser holländischen Küstendörfer, seine Tracht und sein Thun nicht minder malerisch als das Leben der Bauern im Hochgebirg. Es dürfte sich wirklich verlohnen, aus eigener Anschauung sich ein Urtheil zu bilden.

In der folgenden Woche bestärkten mich zwei Umstände in dieser Ansicht. Ich verkaufte ein Bild, an dem ich lange gemalt hatte, für eine ganz bedeutende Summe, und ich mußte erleben, daß meine Nachbarin mich mit auffälliger Kälte behandelte. Sie hatte immer zu thun und war in größter Eile, so oft ich sie anredete; dies war wirklich der Fall, ich aber glaubte, daß sie sich von mir beleidigt fühle oder auch gleichgültiger gegen mich werde aus Interesse für einen Andern. Eines Morgens war mein Entschluß gefaßt; noch bevor sie aufbrach, wollte ich eine Reise nach Holland antreten, und wenn sie dann in ihrem geliebten Zandvoort eintraf, so sollte sie mich dort vorfinden, eifrig bemüht, mich zu besseren Ansichten über ihr Heimathland zu bekehren. Und so reiste ich ab, ohne irgend jemand etwas von dem Ziel meiner Fahrt zu sagen – der Triumph der Ueberraschung sollte mir durch keine Indiskretion geschmälert werden. Ich hielt mich erst einige Tage in Amsterdam und im Haag auf als fleißiger und andächtiger Besucher der schönen Bildergalerien; in Scheveningen, dem luxuriösen Modebad der holländischen Küste, fand ich die Mynheeren und Mefrouwen in ihrer Art das Dasein hinzubringen, ziemlich ebenso langweilig wie das Gesellschaftsleben in allen Badeorten, wo die Plutokratie den Ton angiebt; auf einer Fußwanderung aber in westlicher Richtung durch das graugrüne Hügelland der Dünen, die ich öfter unterbrach, um mich im Segelboot weiterbringen zu lassen, da ging mir die eigenthümliche Schönheit auf, welche allerdings nur für ein geübtes Malerauge sich in diesen Küstengegenden entfaltet, während der Blick des Ungeübten nur den gelblichen Dünensand, das dunkle Grün des mächtigen Oceans und das hellere des langhalmigen Dünengrases von der Farbe des Himmels zu unterscheiden glaubt. Welche Fülle seiner Farbenschattirungen erzeugt nicht allein das wechselnde Spiel von Licht und Schatten, das der Gang der Wolken erregt!

In Zandvoort brauchte ich nur ihren Namen zu nennen und ich hatte mich der gastlichsten Aufnahme zu erfreuen. Bald war ich dahinter, eine kleine Genrescene zu malen, welche Pfeifen rauchende Fischer beim Netzestricken darstellte, während kleine muthwillige Kinder im Maschenwerk der Netze spielten. Das Meer bildete den Hintergrund. Der Gegenstand fesselte mich sehr – aber doch nicht genug, um die Ungeduld zu unterdrücken, mit der ich der Ankunft von – nun, ihrer Ankunft entgegensah. Ich hatte ja keine Ahnung, daß sie inzwischen ein Seestück malte, welches den Wellenschlag des Bayerischen Meeres, wie man den Chiemsee auch nennt, darstellte mit den bayerischen Alpenbergen im Vordergrund und einem altbajuvarischen Einbaum mit zwei jungbajuvarischen Fischerinnen zur Staffage; ebenso wenig wie sie von meiner Anwesenheit in ihrem geliebten Zandvoort. So saßen wir fern von einander und malten uns in die Anschauungswelt des andern hinein, während die Hoffnung einer baldigen Begegnung den Pinselstrich beschleunigte.

Doch die Hoffnung trog uns. Als ich mein Bild fertig hatte, suchte ich ihre Eltern in Utrecht auf und erfuhr von den freundlichen Leuten, daß ihre Tochter diesmal in die bayerischen Berge gegangen sei. Sie kannten mich durch die Erzählungen ihrer Tochter gar wohl und waren erstaunt, daß ich gerade jetzt nach Holland gekommen, wo sie nicht anwesend. Siedend heiß strömte mir das Blut in die Wangen, als ich das hörte. Welche Blamage! Welcher Hohn, welcher Verrath! Kaum, daß ich mich beherrschen konnte. Sobald ich wieder im Freien und mir selbst überlassen war, fiel ich den widerstrebendsten Empfindungen zur Beute. Ich wollte sofort sie aufsuchen und Rechenschaft fordern. Aber mit welchem Rechte? War sie nicht Herrin ihrer Entschlüsse? Ich wollte die ganze beschämende Geschichte ignoriren; aber wie hätte ich das auf die Dauer vermocht? Ich war recht unglücklich – fast wie Heimweh überkam es mich. Schließlich löste ich ein Billet nach meiner Vaterstadt und besuchte die Meinen. Dort im Schoße meiner Familie fand mein Gemüth das nöthige Gleichgewicht wieder, um mit scheinbarer Ruhe, ja sogar mit einigem Humor der schnöden Verrätherin brieflich meine Irrfahrt in ihre Heimath zu schildern, eine Irrfahrt in doppelter Beziehung, die mich auch von einem doppelten Irrthum geheilt habe, von meinem Vorurtheil gegen Holland und meiner Einbildung, daß sie mir gut sei.

Als ich dann in meine vier Wände nach München zurückgekehrt war und ich eben dabei war, eine neue Leinwand aufzuspannen, da klopfte es an die Thür …“

„Nein, nicht weiter,“ rief jetzt erregt die Nachbarin des Erzählers, die schon lange seine rechte Hand mit ihrer Linken zärtlich umfaßt hielt; „mehr brauchst Du nicht zu erzählen, Fritz. Die Geschichte ist fertig. … Ich war eben von meiner Reise ins Gebirg zurückgekehrt, hatte in meiner Wohnung seinen Brief gefunden und mit Entzücken gelesen und nun trieb’s mich zu ihm …“

„Halt, Frauchen,“ rief nun der Maler, „es ist wahr, die Geschichte ist fertig. Dieser Weg zu mir war Dein – war mein schönstes Reiseerlebniß.“

(Fortsetzung folgt.)

Todtenwacht.

Die andern jubelnd zum Ball gehen,
Ich allein bin verlassen und traurig,
Im glänzenden Saal wie sie glühend sich drehn –
Und hier stöhnt der Nachtwind so schaurig.

Großmütterlein liegt auf der Todtenbahr;
Von einsamen Kerzen zittert
Ein matter Schein um das bleiche Haar,
Um die Stirne blaß und verwittert.

Ich halte treulich die Todtenwacht,
Von fern klingt der Sang der Geigen,
Es bläst der Wind so schrill durch die Nacht,
Ums Haus tanzt ein Geisterreigen.

Gottfried Doehler.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_575.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)