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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ich sollte es eigentlich thun,“ sagte Albert, wider Willen lächelnd; „aber wer kann mit Dir rechten, Du übermüthiger Puck!“

In dem allgemeinen Geplauder war das Geflüster der beiden unbemerkt geblieben; sie schlossen sich jetzt den anderen Paaren an und traten in den Speisesaal, wo der Oberregierungsrath bereits an der Seite seiner Dame Platz genommen hatte. Er liebte die Tafelfreuden außerordentlich und die Erwartung eines guten Diners stimmte ihn ganz menschenfreundlich. Auf einmal aber versteinerte sich sein Antlitz, als habe er das Medusenhaupt erblickt, und es war doch nur das höchst vergnügte Gesicht seines Töchterleins, das soeben am Arme des Doktor Gersdorf auftauchte.

„Gnädige Frau, um Gotteswillen!“ flüsterte der Baron ganz fassungslos. „Sie sagten mir doch, daß Lieutenant von Alven –“

„Er führt Wally zu Tische, gewiß, und ich habe auf Ihren ausdrücklichen Wunsch den Doktor Gersdorf –“

Frau von Lasberg verstummte mitten in der Rede und schien nun ihrerseits zu versteinern, denn jetzt erblickte auch sie das Paar, das sich soeben am anderen Ende der Tafel niederließ.

„An seiner Seite!“ knirschte der Oberregierungsrath und schleuderte über dreißig Couverts hinweg einen vernichtenden Blick auf den Doktor.

„Ich begreife nicht, wie das möglich ist, ich habe selbst die Tafelordnung festgestellt.“

„Vielleicht ein Irrthum der Diener –“

„Nein, es ist eine Intrigue der Baroneß,“ fiel Frau von Lasberg empört ein. „Aber ich bitte Sie, nur jetzt kein Aufsehen, keine Scene! Wenn die Tafel aufgehoben wird –“

„Dann fahre ich sofort mit Wally nach Hause!“ ergänzte Ernsthausen und packte seine Serviette mit einer Wuth, die der ungehorsamen Tochter das Schlimmste verhieß.

Die Tafel nahm ihren Anfang und Verlauf, mit all dem Glanze, den man von einem Festdiner im Nordheimschen Hause erwarten durfte. Die Tische waren fast überladen mit schwerem Silber und leuchtendem Krystall und dazwischen dufteten die seltensten Blumen; es folgte eine endlose Menge von Gerichten, mit den edelsten Weinsorten, die üblichen Toaste auf das Brautpaar wurden ausgebracht, die üblichen Reden gehalten und über dem Ganzen lag die übliche Langeweile, die von solchen Schaustellungen eines fürstlichen Reichthums unzertrennlich ist.

Das schloß jedoch nicht aus, daß einige von den jüngeren Herrschaften sich trefflich unterhielten, in erster Linie Baroneß Wally, die ganz unbekümmert um das ihrer harrende Strafgericht unaufhörlich mit ihrem Tischnachbar plauderte und lachte, und Gersdorf, der kein Liebender hätte sein müssen, wenn er nicht auch seinerseits alles Uebrige vergessen und mit vollen Zügen das unerwartete Glück dieses Beisammenseins genossen hätte.

Nicht minder lebhaft, wenn auch ernster und inhaltreicher war das Gespräch, das am oberen Ende der Tafel geführt wurde. Fräulein von Thurgau hatte als nächste Verwandte des Hauses ihren Platz dem Brautpaare gegenüber und Ernst Waltenberg war die gleiche Auszeichnung zu theil geworden. Er hatte sich vorhin der Gesellschaft gegenüber sehr kühl und schweigsam benommen, jetzt zeigte er, daß er mit seiner Unterhaltung fesseln konnte, wenn es ihm wirklich darauf ankam zu fesseln.

Er sprach freilich von Ländern und Menschen, die in weiter Ferne lagen, aber sie schienen lebendig zu erstehen vor den Augen seiner Zuhörerin. Er schilderte den Zauber der südlichen Meere, die Pracht der Tropenlandschaft; die ganze weite Welt that sich auf in diesen glühenden poesiedurchwobenen Schilderungen, und Erna, die mit leuchtenden Augen zuhörte, schien ganz hingerissen davon zu sein. Der Blick des Bräutigams streifte bisweilen mit einem eigentümlich forschenden Ausdrucke die beiden; sein Gespräch mit Alice zeichnete sich allerdings nicht durch besondere Lebhaftigkeit aus, und er war doch sonst ein Meister in der Unterhaltung.

(Fortsetzung folgt.)




Münchener Ausstellungsbilder.

Ein tiefblauer Julinachmittag! Schwül lastet die Hitze über der alten Isarstadt; die Frauenthürme ragen sonnendurchglüht zum wolkenlosen Himmel empor; die weiten Straßen und Plätze aber erscheinen wie staubweiße Flächen, und mancher Fremde, den die beiden großen Ausstellungen hergelockt, wischt sich jetzt im Heranschreiten zum Glaspalast seufzend die Stirn, nach Kühlung und Schatten lechzend. Aber auch dort ist beides nur bedingt zu finden. Wohl steigt in dem prachtvoll dekorirten Vestibül zwischen Statuen und Marmorsäulen ein Springbrunnen aus grünem Palmendickicht in die Höhe und fällt plätschernd in seine Schale zurück; wohl sind die einfallenden Sonnenstrahlen durch riesige Tücher gedämpft, aber trotzdem bleiben mehr Wärmegrade, als wünschenswerth ist, in den weiten Hallen.

Dies vergißt indessen rasch genug, wer in die bilder- und statuengeschmückten Säle eintritt, denn es ist viel, was sich hier von allen Seiten dem Auge darbietet – zu viel, um in den flüchtigen Zeilen, die nur vom Eindruck des Ganzen reden können, einzeln erwähnt zu werden. Hier heißt es, selbst kommen und sehen, allmählich das Auge bilden und vorschnelles Urtheil vermeiden. Wird es doch selbst den berufenen Kritikern nicht leicht sein, zu entscheiden, auf welcher Seite das Schwergewicht dieser großen und imposanten Ausstellung liegt, ob in der deutschen Abtheilung, wo der Kampf einer jungen, neuaufstrebenden Schule mit hergebrachten Anschauungen entbrannt ist, oder auf Seite der Fremden drüben, deren bunte Originalität den verschiedenen Sälen eine so große Anziehungskraft verleiht.

Wieder und immer wieder muß kommen, wer auch nur eine mäßige Anzahl Bilder fest in Erinnerung behalten will; aber auch der flüchtigste Besucher wird eine gehobene Stimmung aus diesen kunstgeweihten Räumen mitnehmen, wo täglich viele Hunderte zu ernsthaftem Studium und freudigem Genuß zusammenkommen und ihre Alltagsexistenz gerne bei Seite legen, um eine Zeit lang in der reinen Atmosphäre der Kunst zu atmen.

Die Wirkung einer solchen Ausstellung ist, trotz allem was ihre Gegner sagen mögen, eine große, weithin zu spürende. Sie ist es doppelt in München, wo die Kunstfreude und das Kunstverständniß sozusagen in der Luft liegen und, verbunden mit einer seltenen Gabe des Arrangements, durch die selbstverständliche Art, wie sie in die Erscheinung treten, auf die Fremden entzückend wirken. München hat immer noch die künstlerische Führung in Deutschland; sein Glaspalast besitzt die rühmlichste Tradition und Tausende eilen herbei, sobald er wieder seine Pforten öffnet. Sie gehen leise unter den farbenstrahlenden Wänden her, die Kenner sitzen voll hoher Andacht in Lenbachs stimmungsvollem Saal vor der berühmten Galerie hervorragender Zeitgenossen, die große Menge drängt sich um die Sensationsbilder, und drüben in der historischen Ausstellung sehen die Alten mit stiller Rührung, die Jungen mit stillem Lächeln die Bilder aus der Biedermeierzeit, die bescheidenen Anfänge der Münchner Kunst, welche heute das hundertjährige Jubiläum ihrer ersten Ausstellung feiert.

Am schlimmsten ergeht es den überall in den Sälen vertheilten Skulpturen. Der Sinn für Plastik ist nicht stark entwickelt im deutschen Publikum; es sind nur sehr wenige, die vor den Marmor- und Bronzewerken in Betrachtung stehen; der große Strom rauscht vorüber, ohne mehr als einen flüchtigen Blick darauf zu werfen! Die Farbe sagt dem heutigen Geschlechte offenbar mehr als die Form!

Aber die Hitze steigt inzwischen, trotzdem die Sonne sinkt, denn ihre Strahlen durchglühen, von Westen einfallend, das riesige Glashaus und der Seufzer: hinaus! entringt sich allmählich auch dem begeistertsten Kunstenthusiasten; hinaus nach dem kühlen Isarstrand, wo über den rauschenden Wassern ein Prachtbau sich erhebt, dessen gleichen noch keine deutsche Ausstellung umschlossen hat. Unsere Abbildung rechts oben giebt die Gesammtansicht der Front wieder. Hier thront das Kunstgewerbe, welches früher, mit der hohen Kunst vereint, den Glaspalast füllte. Damals, 1876 und 1882, hoben sich Bilder und Statuen aus köstlich erdachten und zusammengestellten Phantasiezimmern heraus; Sammet, Holzwerk,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_490.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)