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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hallt ihr Gesang noch zu uns herüber: „Alles neu macht der Mai, macht die Herzen froh und frei“, und die so lange nicht gehörte Melodie zaubert auch uns schöne Jugenderinnerungen hervor. Der Jugend speciell gehört ja in den Vormittagsstunden der Thiergarten, von allen Seiten kommen sie angetrippelt, die Kleinen und Kleinsten, Buben und Mädchen, Arme und Reiche, behütet von der Wärterin, der Schwester oder gar von einem Diener, der sich in seiner Rolle sichtlich höchst ungemüthlich fühlt. Ueberall sind Spielplätze errichtet, und nun solltet ihr einmal sehen, wie eifrig alsbald die Arbeit begonnen wird; mit Schaufel und Harke und Hacke wird gebuddelt und gegraben und gebaut; hier entsteht eine Festung, dort ein Kanal, da eine Gärtnerei, die Wangen glühen und die Augen blitzen, ein helles Jubeln vor Lust und Freude, vor Wonne und Genuß – und wer da zuschaut, dem geht das Herz weit auf und er wünscht nur ein Mal, nur ein einziges Mal noch so sorglos und glücklich zu sein!

Wenn wir wieder allein sein wollen, müssen wir die entfernteren Partien des Thiergartens aufsuchen; vorbei an der bronzenen Löwengruppe von Wolff, dem blumenumwobenen Denkmal der Königin Luise gelangen wir zur lauschigen Rousseauinsel und von dort über die Löwenbrücke zum Neuen See. Das ist hier doch das schönste und idyllischeste Fleckchen in der näheren Umgebung Berlins! Still und ruhig liegt der Wasserspiegel vor uns, Schwäne durchfurchen ihn langsam und majestätisch, ein Zug Enten rudert schnatternd daher und verschwindet in dem hohen Schilf und Binsenrohr am Ufer, das hellere Grün der Linde hebt sich von dem dunkleren des Ahorn ab, Eiche und Kastanie machen die Schattirungen noch mannigfaltiger; in schweren Dolden steht der Flieder in Blüthe und sein süßer Duft scheint sich mit dem nah und immer näher ertönenden Locken und Schluchzen der Nachtigall zu einem unnennbaren Ganzen zu verschmelzen, welches unsere Sinne umfängt und uns die Weihe der Natur aufs innigste empfinden läßt. Verhältnißmäßig selten suchen Spaziergänger diesen Punkt auf, erst wenn sich gen Charlottenburg hin der Himmel mit goldigem Schimmer überzieht und noch einmal in purpurne Gluth die Wipfel der Bäume und einzelne Theile des Sees getaucht erscheinen, dann wird es auch hier etwas lebhafter. Von dem mit Fahnen umflatterten schmalen Hafen, in dem einzelne phantastisch kostümirte Matrosen eifrig herumhantiren, lösen sich die kleinen, schwankenden Nachen los und werden mit kräftigen Ruderschlägen auf den See hinausgetrieben. Fast jede dieser Nußschalen beherbergt zwei Menschenkinder, deren Herzen sich gefunden; häufig genug wird das Ruder eingezogen und dann vereinen sich die Hände zu sanftem Druck, während der Mund heimlich leise Liebesworte flüstert. Abgebrochen trägt der Wind die Klänge des Konzerts im Zoologischen Garten herüber, das Wasser plätschert eintönig an den Bug des Schiffleins und schmelzender als je erzittert das Lied der Nachtigall – dann packt der kleine geflügelte Gott, der gern hier in dem dichten Buschwerk, durch welches säuselnd der Abendwind flüstert, lauscht und späht, die Pfeile in den Köcher und hängt den Bogen über die Schulter, um mit leichtem Flug nach einem anderen Ort zu schwirren – hier ist seine Anwesenheit nicht mehr von nöthen!




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Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Eine Reise nach Sibirien.
(Fortsetzung.)


In Bakti, dem letzten russischen Grenzposten, ward uns die Kunde, daß Seine Unaussprechlichkeit, der Dschandsun Djun, Oberstatthalter der Provinz Tarabagatai, uns auch von seiten Chinas begrüßen wolle und zu einem Gastmahle eingeladen habe. Diesem Wunsche des hohen Mandarin nachzukommen, ritten wir am 21. Mai nach der Hauptstadt besagter Provinz, Tschukutschak oder Tschauutschak, hinüber.

Der Reiterzug, welcher sich durch die sommerlich glühende Steppe bewegte, war zahlreicher und glänzender als je zuvor. Theils um in dem von Aufruhr heimgesuchten Lande die nöthige Sicherheit zu genießen, theils um vor Seiner Herrlichkeit würdig, um nicht zu sagen pomphaft, auftreten zu können, hatten die uns begleitenden Herren außer den uns unter Führung unseres neuen Geleitgebers, Major Tichanoff, aus Saisan entgegengekommenen dreißig Kosaken und unseren alten kirgisischen Freunden noch eine halbe Sotnie Kosaken aus Bakti aufgeboten, und somit erdröhnte die bisher so öde Steppe unter den Hufschlägen eines kleinen Heeres. Alle unsere Kirgisen ritten heute in Feierkleidern, und ihre schwarzen, blauen, gelben und rothen, mit Silber und Goldtressen besetzten Kaftane wetteiferten an Glanz und Schimmer mit den Uniformen der uns begleitenden russischen Offiziere. An der neuerdings vereinbarten Grenze erwartete uns ein chinesischer Krieger höheren Ranges, um uns zu begrüßen, kehrte sich hierauf um und jagte, so schnell sein Roß ihn tragen wollte, wiederum zurück, um seinem Gebieter unsere Ankunft zu melden. Ueber Trümmerhaufen stolperten, zwischen halb eingefallenen und halbfertigen Gebäuden, aber auch zwischen blühenden Gärten dahin schritten die Hufe unserer Pferde, als wir die Stadt erreicht hatten; fratzenhafte Mongolengesichter grinsten uns entgegen; Frauen von geradezu abschreckender Häßlichkeit beleidigten mein Schönheitsgefühl in empfindlichster Weise.

Vor dem Wohngebäude des Statthalters sammelte sich der Zug; Erlaubniß zum Eintreten begehrend, hielten wir vor der breiten Pforte. Ihr gegenüber erhob sich eine künstlich zusammengesetzte Mauer, in der Mitte ein wundersames Thierbild zeigend, rechts und links davon lagen chinesische Marterwerkzeuge am Boden. Ein Hausbeamter bat einzutreten, bedeutete aber gleichzeitig Kosaken und Kirgisen, draußen zu bleiben. Der Statthalter empfing uns in seinen Wohn-, Geschäfts- und Gerichtsräumen mit größter Feierlichkeit. Alle Würde eines hohen Mandarin bewahrend, mit der Rede kargend und nur einzelne abgebrochene Laute ausstoßend, welche jedoch stets von einem heiter grinsenden Lächeln begleitet wurden, reichte er uns die Hand und lud zum Niedersitzen an der mit Thee und unzähligen kleinen Schüsseln beschickten, wunderliche Genüsse aufweisenden Frühstücktafel ein, „und wir erhoben die Hände zum lecker bereiteten Mahle“. Reis, verschiedene in Oel eingemachte und getrocknete Früchte, pergamentdünne Scheibchen Schweinefleisch, gedörrte Garnelenschwänze nebst einer Menge unkenntlicher oder doch unbestimmbarer Leckereien und Süßigkeiten bildeten die Speisen, trefflicher Thee und abscheulich fuseliger Reisbranntwein von weingeistartiger Stärke die Getränke. Nach der Mahlzeit, welche infolge eines vorsichtigerweise schon vorher eingenommenen reichlichen und zweifellosen Imbisses, für mich wenigstens, unschädlich ablief, wurden Wasserpfeifen gereicht und sodann verschiedene denkbare und undenkbare Gegenstände dieses und des Nebenraumes besichtigt. Landschafts- und Thierbilder, von der Regierung gesandte Belobigungsschreiben, das große, mit erheiternder Sorglichkeit in bunte Seidenstoffe gekünstelt eingehüllte Staatssiegel, absonderliche Pfeile von einer Bedeutsamkeit, wie solche nur ein chinesisches Gehirn ihnen beilegen konnte, Erzeugnisse europäischer Betriebsamkeit und dergleichen mehr. Ueberaus gemessen und unaussprechlich würdevoll bewegte sich die Unterhaltung. Unsere Anreden wurden aus dem Französischen ins Russische, aus dem Russischen ins Kirgisische, aus dem Kirgisischen ins Chinesische übersetzt und die Antworten auf dem rückwärtigen Wege uns übermittelt – kein Wunder daher, daß die Gespräche den Ton der größten Feierlichkeit annahmen.

Nach dem Frühstücke traten chinesische Pfeilschützen an, um uns ihre kriegerische Tugend und Geschicklichkeit zu zeigen; hierauf führte uns der Dschandsun allerhöchst selbst in seinen Gemüsegarten, um uns dessen Erzeugnisse kosten zu lassen; endlich verabschiedete er uns, und wir ritten nunmehr durch die Straßen und Märkte der Stadt, fanden im Hause eines Tataren Gastfreundschaft und ein vortreffliches, durch die Gegenwart der bildschönen, jungen, zu unserer Ehre in das Männergemach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 418. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_418.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2016)