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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

auch auffallende Geschicklichkeit. Seine Ton- und Wortbildung ist so korrekt, daß er selbst in großen Räumen trotz seiner schwachen Stimme nicht unverständlich wird, und er versteht mit solcher Feinheit, mit solcher Treffsicherheit vorzutragen, daß niemals eine Pointe verloren geht.

Rosegger zählt unzweifelhaft zu den Schriftstellern, deren Persönlichkeit sich am deutlichsten in ihren Schriften ausprägt; von ihm selbst gilt, was er in den „Schriften des Waldschulmeisters“ diesen sagen läßt:

„All das Seltsame und Bewegende, das ich erlebe, müßt’ mir das Herz zersprengen, dürft ich es nicht ausplaudern. Ich erzähl’ es dem Blatt Papier.“ Und weiter:

„Ein Blättchen Papier kann älter werden,
Wie das frischeste Maiblatt aus Gottes Erden
Wie das flinkeste Gemslein am Felsenwall,
Wie das lockige Kind im lieblichen Thal.
Ein Blättchen Papier weiß und mild
Ist oft das treueste einzige Bild,
Das der Mensch zurückläßt künftigen Zeiten,
Da über seinen Staub die Urenkel schreiten.
Das Gebein ist zerstreut, der Grabstein verwittert,
Das Haus zerfallen, die Werke zersplittert;
Wer weiß in der ewigen großen Natur,
In der wir gewaltet, unsere Spur?
Neue Menschen ringen mit neuem Geschick,
Keiner denkt an die alten zurück.
Da ist ein Blatt mit seinen bleichen
Tintenstrichen oft das einzige Zeichen
Von dem Wesen, das einst gelebt und gelitten,
Gelacht, geweint, genossen, gestritten,
Und der Gedanke, dem Herzen entsprossen
In Schmerz oder Lust und tollen Possen,
Sinkt hier nieder, und der Ewigkeit Kuß
Verhärtet ihn zu einem ewigen Guß.
O mög’ er geläutert in fernen Zeiten
Wieder in die Herzen der Menschen gleiten!“


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Wir haben nur noch einige Worte über die Illustrationen zu sagen, welche aus Anlaß dieses Lebensbildes die heutige Nummer der „Gartenlaube“ schmücken. Das Initial zu dem Artikel rührt von dem Wiener Maler Ferry Bératon her; die kleine Skizze „Mein Geburtshaus“ hat Rosegger selbst gezeichnet und dem Verfasser verehrt. Roseggers Werke wirken auch auf andere Zweige der Kunst. Unter „Blätter und Blüthen“ (S. 371) kann der Leser erfahren, wie ein anderer Künstler Roseggers „Waldlilie“ zu verherrlichen wußte.







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Im Taifun.
Seenovelle von Helene Pichler.

Es kam nicht gerade häufig vor, daß das Staatspostboot, welches den Verkehr zwischen der Stadt Bangkok und den vor der Flußmündung ankernden Schiffen vermittelte, Passagiere zu befördern hatte, es sei denn, daß irgend ein Kapitän persönlich sich in die Stadt begab oder von dort an Bord zurückkehrte; oder auch, daß ein Steuermann leichtsinnigerweise den Versuch wagte, in der fieberschwülen siamesischen Großstadt unter der „leichten“ Hafenbevölkerung einen genußreichen Tag zu suchen.

Daß aber jene Fahrt mit dem kleinen Postboot gar von einer Dame gemacht wurde, noch dazu von einer europäischen mit vornehmen Aeußeren, die nicht unter männlichem Schutz reiste, sonderst von zwei Dienerinnen begleitet war, das gehörte zu den außergewöhnlichen Ereignissen, und darum erlaubte sich das Dienstpersonal des offiziellen Fahrzeugs Sr. Majestät des Königs von Siam unverhohlenes Staunen.

Die Dame lag in einem niedrigen Bambussessel, wie sie, so recht zur Faulheit geschaffen, nur in Indien zu haben sind. Ihre großen Augen glitten mit unsäglich müdem Ausdruck über das seltsame, durch üppige Vegetation ausgezeichnete, doch drückend eintönige Panorama, das während der Flußfahrt vorüberzog. Bangkok, mit seinen aus kostbarem Teakholz erbauten Häusern, seinen bunten Dächern und vergoldeten Tempeln, lag bereits im Rücken und dem kräftigen Zug der abströmenden Ebbe folgend, schwamm das Boot auf dem ist den wunderlichsten Schnörkeln sich durch die indische Landschaft schlängelnden Menamfluß dahin. Wälder, Dickichte, Bambusröhricht und Dschungeln zogen vorüber, unterbrochen von Dörfern und Ortschaften, deren Häuser, weit in den Fluß hineingebaut, auf Pfählen ruhten. Unter oder neben jeder Hütte schaukelte ein Boot auf der trüben Fluth und unzählige dieser leichten Fahrzeuge mit oder ohne Segel trieben umher. Leben genug – und doch wieder ist es nur ein Scheinleben, nichts von dem kräftigen Treiben, der frischen Bewegung, die in anderen großen Häfen Indiens auf und nieder wogt. Träge schwingt sich ein langbeiniger Sumpfvogel aus dem Röhricht auf; ein Kahn voll nackter Malayenbuben hat ihn emporgescheucht. Ernsthaft schauen die gelben Gesichter der Kinder, und die eingeborenen Fischer mit ihren Weibern, die dem Fischfang obliegen, gebärden sich müde und verdrossen. Der Wind streicht mit feuchtheißem Hauche über das Land; es ist Februar, also Sommer ist Siam; da droht selbst dem Eingeborenen das Fieber.

Nun kommt Packnam am linken Ufer ist Sicht, die Küste zur Rechten dehnt sich in ansehnlicher Erhebung. Vorüber geht’s an den Hütten von Packnam, diesem wichtigen Hafenthor zu dem Innern Hinterindiens. Jetzt dehnt und weitet der mächtige Strom sich immer mehr, sein Leben wächst. Die zahlreichen Fischerboote tummeln sich frischer, kleine und größere Schiffe bewegen sich auf- oder abwärts. Von dem tönt ein amerikanischer Ruf herüber, von jenem schallt ein deutsches Kommando. Die Ufer weichen immer mehr zurück, die Luft wird reiner, den Lungen wohlthätiger, die See ist nahe. Da ist die sogenannte Barre, jener Querriegel, der vor solchen Flüssen sich bildet, welche viele seine Schlammtheilchen mit sich führen, die dort abgesetzt werden. Der Seemann bemerkt die Barre auch bei ruhigem Wetter an der auf ihr stehenden „See“: der Wellengang wird durch den Riegel unterbrochen und verursacht unruhige Bewegung. Größere Schiffe haben die Barre zu fürchten; denn der Wasserstand auf ihr wechselt mit der Jahreszeit, ja mit den Fluthen, von neun bis vierzehn Fuß. Innerhalb der Barre liegen einige Schiffe vor Anker, da eins, dort eins; sie warten auf Hochwasser, um alsdann die gefährliche Stelle zu passiren. Und wie gut sie thun mit solcher Vorsicht, das wird durch jene beiden schräg aus der athmenden Fluth hervorragenden Bäume bewiesen: die Masten eines auf der Barre leck gewordenen und gesunkenen Schiffes.

Dem siamesischen Postboot konnte die Barre nichts anhaben; das Fahrzeug hatte nur geringen Tiefgang und konnte über das gefürchtete Terrain hinwegtanzen. Nun thut sich die Außenrhede von Bangkok auf, der weite Ocean; in fernem blauen Dunst verschwimmen die Küsten. Kräftig athmet der Wind, ruhig und mächtig liegt das Meer. Da schießt ein kleines Fahrzeug mit einem einzigen, grotesk gestalteten Segel durch die Meerfluth; es trägt auf seiner Mastspitze einen blauen Wimpel: das ist der Lootsenkutter von Bangkok. Einige Punkte am schwankenden Horizonte werden kleiner und verschwinden oder wachsen mit dem Näherkommen: das sind ein- oder ausgehende Schiffe. Und da – richtig, da liegt der „Wotan“ vor Anker, ein elegantes, stolzes Segelschiff; dem gilt der Besuch des siamesischen offiziellen Fahrzeuges. Langseits des „Wotan“ liegt ein kleineres Schiff, ein „Lichter“, schwer beladen mit Reissäcken, welche durch die Mannschaft des großen Seglers mittelst der Schiffwinde aufgeholt und in den Raum des „Wotan“ befördert werden.

Weder die Landschaft, noch das große Seebild vermochten bei der Dame auf dem Postboot eine Regung der Theilname hervorzurufen. Freilich, wer fünf Jahre in Bangkok vegetiren mußte, verliert die Fähigkeit zum Naturgenuß, vielleicht auch für jeden andern Genuß – Mistreß Ellen Howard machte keine Ausnahme. Sie hatte fünf ihrer werthvollsten Lebensjahre, vom zwanzigsten bis zum fünfundzwanzigsten, unter Indiens erschlaffender Sonne zugebracht. Und das kam so:

Mr. Howard, der englische Konsul ist Bangkok, schrieb vor fünf Jahren an seinen alten Jugendfreund in London: „Ich bin einsam in diesem warmen Lande; Deine Ellen muß jetzt herangewachsen sein; gieb mir Ellen zur Frau!“ Der Jugendfreund entsetzte sich bei dem Gedanken, seine einzige Tochter so weit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_367.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)