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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ach, gnädiges Fräulein, welch ein Glück!“ weinte sie. „O, wir wissen’s schon, wir wissen’s! Was meinen Sie, von wem? Des alten Heinemann Enkelin war da; sie hat’s brühwarm hergebracht – aber warum kommt der Herr Bräutigam nicht mit?“

Claudine mußte sich umarmen und küssen lassen, dem herbeigeeilten Heinemann die Hände schütteln und Idas Glückwünsche entgegennehmen. Ganz betäubt stieg sie endlich die Treppe empor. Wie schwer war doch dies Alles!

Joachim sah von seinem Hefte auf, als sie eintrat; er brauchte erst ein paar Sekunden, um in die Wirklichkeit zurückzukehren. Dann sprang er auf, trat rasch zu ihr und hob ihren Kopf in die Höhe. „Meine tapfere kleine Schwester – und als Braut? Sieh mich an, mein Liebling,“ bat er.

Aber sie hob die Wimpern nicht, von denen jetzt große Tropfen fielen. „Ach, Joachim, Joachim!“ schluchzte sie leise.

Er streichelte ihr über das weiche seidige Haar.

„Weine nicht,“ sagte er ernst, „sprich lieber, was haben sie Dir gethan da draußen?“

Und da brach er los, der Sturm der Verzweiflung, schrankenlos, unaufhaltsam. Sie schonte sich nicht, sie verhehlte, bemäntelte nichts von der Demüthigung, die erbarmungslos über sie gekommen war, gegen die ihr Stolz sich ohnmächtig auflehnte. „Und, Joachim,“ schluchzte sie wild auf, „das Schrecklichste ist, daß ich ihn liebe, liebe, wie nur ein Mädchen lieben kann, seit Jahren schon! An dem Tage, da er neben Prinzeß Katharina[WS 1] am Altar stand, habe ich gemeint, ich könne nicht weiter leben; und jetzt wirft mir das Schicksal hohnlachend das ersehnte Glück in den Schoß und sagt: ‚Da – aber behutsam! Es ist nur Goldschaum, der darauf klebt, es ist nicht echt. Da hast Du es, um was Du gebetet und geweint jahrelang!‘ – Glaube mir, er hat mich an sich genommen, so etwa wie er das Silbergeschirr auf der Auktion erstand, um jeden Preis, weil er lieber sterben würde, ehe er duldete, daß an dem Namen Gerold ein Makel haftet; er hat mich an sich gezogen – der Familienehre halber, um weiter nichts, nichts!“

Sie schwieg erschöpft, aber das bittere leidenschaftliche Schluchzen dauerte fort.

Joachim antwortete nicht; es lag noch immer seine Hand auf ihrem blonden Haar. Endlich sagte er mild: „Und wenn er Dich doch liebte?“

Sie stand plötzlich auf den Füßen.

„O mein Gott!“ sprach sie, und aus ihrem verweinten Gesicht drückte sich etwas wie Mitleid aus mit der Gläubigkeit des Bruders. „Nein, Du argloser guter Mensch, er liebt mich nicht!

„Aber wenn er es doch thäte! Er ist niemals einer von denen gewesen, die Gefühle zu heucheln verstanden. Du weißt, er hätte sich von je lieber die Zunge abgebissen, ehe er ein unwahres Wort geredet. Immer war er so, Claudine.“

„Ja, Gottlob,“ rief sie flammend und richtete sich hoch auf, „das hat er auch nicht gewagt! Du denkst, Lothar hätte um mich geworben mit Liebesheucheln? O nein, unwahr ist er nicht. Und als ich ihm die Komödie vorschlug, da fiel es ihm nicht ein, zu betheuern, daß er etwa sehr betrübt sein werde, wenn wir uns später trennen. Nein, ehrlich ist er – bis zum Verletzen ehrlich!“ Sie schien sich plötzlich zu fassen. „Du Armer,“ sagte sie weich, indem sie des Bruders Hand ergriff, „so störe ich Deine Arbeit mit meinen bösen, bösen Nachrichten. Ertrage mich, Joachim; ich werde ruhiger werden, ich will nun wieder Dein Hausmütterchen sein, Dein guter Kamerad. Daß ich doch nie hinausgegangen wäre! Und allmählich werde ich alles, alles überwinden, Joachim!“

Sie küßte ihn auf die Stirn und ging in ihr Stübchen, dessen Thür sie hinter sich verriegelte.

Wie frisches kühles Quellwasser wirkte die Ruhe dieses eigenen kleinen Heims auf ihre Seele. Sie ging von Möbel zu Möbel, als müsse sie jedes einzelne begrüßen, und stand endlich still vor dem Bilde der Großmutter.

„Du warst eine so kluge alte Frau“, flüsterte sie, „und welch törichte Enkelin hast Du erzogen! Sie bezahlt die zu spät erworbene Klugheit mit ihrem Lebensglück!“

Dann legte sie mühsam die Spitzenrobe ab, hüllte sich in ein einfaches graues Hauskleid, setzte sich still ans Fenster in den alten Lehnstuhl und schaute in den dämmerigen Abend hinaus.

* *
*

Unten in der Wohnstube schlich inzwischen die kleine Elisabeth betrübt um den freundlich gedeckten Tisch; er sah doch schön aus mit der rosengefüllten Porzellanschale in der Mitte, den kunstvoll gebrochenen Servietten, mit denen Fräulein Lindenmeyer sich so geplagt, und den rosenumkränzten Stühlen für das Brautpaar. Und gar der schöne Kuchen von Ida selbst gebacken! Der dicken Wachspuppe hatte die Kleine ein neues blaues Kleid angezogen. Wo blieben sie denn nur alle so lange?

Sie lief hinunter in Fräulein Lindenmeyers Stube. „Wann ist denn endlich Hochzeit?“ fragte sie ungeduldig. Sie hatte gemeint, die festliche Vorbereitung bedeute schon die Hochzeit.

„Ach, mein Liebling“, seufzte das alte Fräulein und sah kopfschüttelnd zu Ida hinüber. „Wer weiß“, fügte sie mit Schiller hinzu, „was in der Zeiten Hintergrunde schlummert!“ Es klang freilich anders, als das, was vorhin die gute Seele dem Brautpaare hatte sagen wollen. „Denn wo das Strenge mit dem Zarten –“

War das auch ein Brautpaar, das am ersten Verlobungstage nicht einmal zusammenblieb? Oder sollte die eine neue Mode sein? Zu ihrer Zeit war das anders gewesen, da mochte man sich gar nicht trennen und saß bei einander und sah sich in die Augen. Sie seufzte.

„Räume ab, Ida,“ flüsterte sie, „die Wespen kommen in die Stube nach dem Kuchen, er wird nur trocken. Ach, unsere duftigen Kränze! Das ist das Los des Schönen auf der Erde! Ida, Ida, mir ist ganz unheimlich zu Muthe!“

„Elisabeth möchte Kuchen haben,“ sagte die Kleine und trippelte hinter dem Mädchen hinaus.

Heinemann saß auf der Bank vor der Hausthür und pfiff ein melancholisches Lied, Ida sang beim Abräumen in der Stube die Worte dazu; wunderlich traurig klangen sie durch die offenen Fenster in den Garten hinaus:

„Saßen einst zwei Turteltauben,
Saßen beid’ auf einem Ast.
Wenn sich zwei Verliebte scheiden,
Dann verwelket Laub und Gras –“

Sie hatten beide keine Ahnung, wie tief das Fräulein Lindenmeyer verwundete. Die alte Dame bog sich aus dem Fenster.

„Seid doch ruhig,“ flehte sie halblaut; „es ist doch, weiß Gott, kein Lied, wenn sich grad eines verlobt hat; das klingt ja wie Unkenruf!“

Auch Claudine hatte den Gesang gehört. „Wenn sie sich scheiden,“ nickte sie; „wenigstens hatten sie sich doch dann schon einmal gefunden. Aber wir –?!“

(Fortsetzung folgt.)




Das Yosémitethal in Kalifornien.

Von Rudolf Cronau.
(Mit Illustrationen S. 361 und S. 364.

Jedem Theile des gewaltigen nordamerikanischen Staatenbundes hat die allgütige Natur seine besonderen Reize, seine besonderen Naturwunder und Eigenthümlichkeiten verliehen. Die Oststaaten rühmen sich ihrer Alleghany-, Adirondack- und Catskillgebirge, des königlichen Hudson, des Niagara; die Mittelstaaten sind stolz auf den „Vater der Gewässer“, auf das Naturwunder der Mammuthhöhle; Colorado hat seine bestrickenden Hochgebirgslandschaften; Arizona und Neu-Mexiko weisen furchtbare, sechstausend Fuß tiefe Cañons und Schluchten auf; Wyoming entzückt den Forscher mit seinen himmelanstürmenden Geisern, Schlammvulkanen und Feenwässern; Kalifornien aber, das goldene Kalifornien preist sein Wunderthal Yosémite und seine Riesenbäume.

Wie eine wunderbare Vision, so steht noch heute frisch und farbenprächtig das Bild vor meiner Seele, welches sich bot, als ich nach harter tagelanger Fahrt über die sonnendurchglühten kalifornischen Steppen, über die Vorberge der Sierra Nevada endlich aus dunklem Urwaldgrün auf ein freien Ausblick

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Prinzeß Margarethe, vgl. Kleiner Briefkasten (Die Gartenlaube 1888)#Heft 27
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_360.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2020)