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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

über die Stirn fielen; vergessend, daß sie nur in dem losen Hauskleide war. Wie eine Irre trat sie ein in das noch nicht erhellte Gemach, auf dessen buntem Teppich der Mondschein in zwei breiten schimmernden Streifen lag.

„Claudine!“ klang es mild vom Fenster her.

Sie kam herüber und verneigte sich.

„Setzen Sie sich, Claudine.“

Aber sie machte keine Bewegung, sie blieb wie gelähmt. „Die Herzogin stirbt?“ fragte sie heiser.

„Es steht in Gottes Hand, Claudine.“

„O, durch mich, durch mich!“ murmelte das Mädchen.

Die Herzogin antwortete nicht. „Ich habe eine Frage an Sie zu richten,“ begann die alte Dame endlich, „sie ist seltsam in dieser Stunde, Claudine, wo der Todesengel vor der Pforte des Hauses steht; aber der, für den ich fragen soll, hat mir zur Pflicht gemacht, es gleich zu thun. Baron Gerold bittet Sie, Claudine, seinem verwaisten Kinde die Mutter, ihm die Gattin ersetzen zu wollen.“

„Hoheit!“ schrie Claudine auf. Sie trat einen Schritt zurück und stützte sich schwer aus den Marmorsims des Spiegels. „Ich danke,“ sagte sie dann „ich verlange kein Opfer von ihm.“

„Gut!“ erwiderte die alte Hoheit streng, „Sie hatten es jetzt in der Hand, mit einem Schlage alle Lästerzungen verstummen zu lassen; Sie hatten es in der Hand, ein entfliehendes Leben für kurze Zeit zu erhalten, damit es in Frieden scheiden konnte.“

„Hoheit!“ stöhnte Claudine.

„Meine arme unglückliche Tochter!“ seufzte die Fürstin.

„Hoheit, mein Leben für die Herzogin,“ flehte das Mädchen, „nur diese Demüthigung nicht!“

„Ihr Leben? Nun, das sagt sich so leicht, Claudine –“

„O, daß ich es beweisen dürfte!“ rief sie dann und trat mit gefalteten Händen vor den Stuhl der Fürstin. Sie stand just in dem vollen Mondesstrahl, und der zeigte die halberloschenen Augen, das ganze verzweiflungsvolle Bild des Mädchens.

Die Herzogin erschrak. „Claudine! Aber Claudine!“ sagte sie begütigend.

„Glauben Hoheit denn wirklich, daß ich eine Ehrlose bin?“ fragte sie. Es klang so seltsam hastig, so gebrochen.

„Nein, mein Kind, denn eine solche würde Baron Gerold nicht zum Weibe begehren!“

Sie wich zurück „Darum, nur darum!“ stammelte sie.

„Es ist mir sehr schwer geworden, dem Geflüster Glauben zu schenken,“ fuhr die Herzogin fort. „Aber, Kind, ich kenne das Leben; ich kenne meinen heißblütigen Sohn, kenne seine Macht über die Herzen der Frauen – und Dich, die Du vor ihm geflohen, Dich weiß ich plötzlich täglich ist seiner Nähe! – Kind, Kind, ich glaube es Dir, daß Du nur die Freundin der Herzogin bist, aber Du hast Dich vermessen, freventlich mit Deinem Ruf zu spielen; Du hast nicht verstanden, den Schein zu meiden, und darum – erfasse die Hand, die sich Dir entgegenstreckt,“ setzte die Herzogin dringend hinzu. „Keiner wird es wagen, selbst die tollste Lästerzunge nicht, zu behaupten, daß Lothar von Gerold ein Weib an sein Herz zieht, das nicht rein ist wie die Sonne. Und er, mein Sohn – niemals würde sein Blick wieder diejenige suchen, die eines Andern Eigenthum ist.“

„Ich bin fassungslos, Hoheit,“ sagte Claudine.

„Du mußt Dich fassen, mein Kind; er wartet unten in Bangen und Hoffen.“

„Hoheit,“ bat Claudine, „er liebt mich nicht – es ist ein Opfer, das er der Ehre unseres Namens bringt. Ich kann es nicht annehmen; haben Hoheit Erbarmen mit mir!“

„So bringt ein Opfer!“ rief die Fürstin, gereizt durch den Widerspruch. „Ist es Ihre Ehre nicht werth, ein Opfer zu bringen? Ist es die nicht werth, die dort drüben mit dem Tode ringt?“

„Hoheit,“ flüsterte Claudine, und ein Gedanke flog durch ihr armes gemartertes Hirn, „ich will – ich will mit Baron Gerold sprechen.“

Die Herzogin hatte Erbarmen mit dem verzweifelnden Mädchen. Sie goß ein Glas Wasser ein und brachte es ihr. „Beruhige Dich erst, dann mag er kommen,“ sprach sie mild und führte die Zitternde zu einem Sessel.

„Der Herr Medizinalrath!“ sagte Fräulein von Böhlen eintretend. Ihr auf dem Fuße folgte die kleine Gestalt des Arztes.

„Hoheit verzeihen mein ungestümes Eindringen,“ begann er hastig; „ich erachte es jedoch für Pflicht, Ew. Hoheit mitzutheilen, daß die erlauchte Patientin sich in größter Lebensgefahr befindet. Hoheit sind durch den Blutverlust vollständig erschöpft, bis auf den Tod. – Professor Thalheim schlägt eine Transfusion vor; ich bin nicht abgeneigt, man soll nichts unversucht lassen. – Seine Hoheit ist entschlossen, das erforderliche Blut zu geben, jedoch – da es immerhin keine gleichgültige Operation ist – sie kann Folgen haben, die das Leben gefährden, wie Blutvergiftung und dergleichen – so müssen wir von der Person Seiner Hoheit absehen, da auch das Hausgesetz ausdrücklich –“

Er stockte. Claudine war von dem Sessel emporgesprungen und streckte die Hand gegen ihn aus. „Herr Medizinalrath, ich bitte, diejenige sein zu dürfen, die –“

„Sie?“ fragte der alte Herr und schaute verwundert in das blasse Mädchengesicht, aus dessen bewegten Zügen ein inniges Flehen sprach, „wahrhaftig, Fräulein von Gerold? Nun, dann kommen Sie, aber rasch! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Doch – halt – meine Gnädige, ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, daß wir Ihnen die Pulsader öffnen müssen.“

„Ach, lieber Herr Doktor!“ sagte Claudine mit einem weichen Tonfall und einem Achselzucken, das bedeutete: wenn es weiter nichts ist! Und sie eilte ihm voraus, die Etikette vergessend in der Angst, ein Anderer könne ihr zuvorkommen.

Die alte Hoheit hatte kaum recht verstanden. Transfusion? Was ist Transfusion? Als sie in das Vorzimmer der jungen Herzogin trat, waren die Aerzte bereits um die Kranke beschäftigt; vor Claudine stand eine Diakonissin, die den Aermel von des Mädchens weißem Kaschmirkleide zurückstreifte. Die alte Dame legte ihrem Sohne die Hand auf die Schulter; er war eben vom Bette der Herzogin zurückgekommen in das kleine Gemach, wo Frau von Katzenstein und die Kammerfrau mit angstvollen Gesichtern standen.

„Adalbert,“ fragte sie leise, „Adalbert, was ist das eigentlich? Der Medizinalrath sagte, sie schneiden ihr die Pulsader auf, um ihr Blut in Liesels Adern zu leiten?“

Er nickte zerstreut; er wandte kein Auge von dem traurig lächelnden Mädchenantlitz.

„Um Gotteswillen, Adalbert,“ fuhr die alte Hoheit fort, „sollen wir erlauben, daß Fräulein von Gerold – es scheint doch eine gefährliche Sache –“

Jetzt sah er sie groß an. „Nicht wahr,“ fragte er leise und bitter, „das erfordert etwas mehr Muth, als dazu gehört, aus sicherem Versteck den Pfeil zu schleudern, der ein armes Weib tödlich verwundet, oder den Ruf eines schuldlosen Mädchens in den Koth zieht? Ich kann es nicht verhindern, daß sie sich zu diesem Opfer versteht,“ sprach er achselzuckend weiter, „ich am allerwenigsten; man könnte ja sonst sagen, ich sei mehr für ihr Leben besorgt, als für das meiner Gemahlin.“

Eine Diakonissin schloß jetzt die Vorhänge, nur Claudinens weiße schöne Gestalt sah man noch einen Augenblick inmitten des Zimmers. Sie stand wie eine Opferpriesterin der Barmherzigkeit. „Von Arm zu Arm, Kollege,“ klang eben des Professors Stimme, „es ist sicherer.“

Aber der Herzog sah es nicht mehr und hörte die Worte nicht mehr, er hatte schon das Zimmer verlassen. Er durchmaß in furchtbarer Erregung den Salon der Herzogin, den nämlichen, ist welchem er Claudine von seiner Neigung gesprochen. Er hätte Jahre seines Lebens ist diesem Augenblick gegeben, um jene Stunde ungeschehen zu machen. „Armes Mädchen, armes Weib!“ Das hatte er nicht gewollt! Er hatte nach diesem Glück gestrebt mit dem Verlangen eines Menschen, der gewohnt ist zu siegen. Für die schöne Hofdame seiner Mutter hatte er eine aufrichtige starke Neigung gefühlt; sie wies ihn zurück, und er ließ sich zurückweisen; zum ersten Male beugte er sich vor einem charaktervollen Weibe, und sein Vergehen wurde zum Verhängniß – Wer um Gotteswillen mochte Claudine bei der Herzogin verleumdet haben?

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