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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


Die alte Excellenz mit dem ehrwürdigen weißen Haupt zog mißbilligend die struppigen Augenbrauen in die Höhe. „Ihre Hoheit ist eine feinfühlende Dame,“ sagte er mit seiner vor permanenter Heiserkeit kaum vernehmbaren Stimme. „Meine Herren, ich muß bitten!“

Er wurde nicht gehört.

„Alles schon dagewesen!“ rief einer, der eben „Acht um den König“ geworfen.

Noch einmal trat Seine Excellenz für die so hart Verurteilte ein und suchte zu beweisen, daß es eine ganz nichtswürdige Klatscherei sei, aber mitten darin schnappte ihm die krähende Stimme über, er pustete noch ein paarmal, trocknete sein dunkelrothes feuchtes Antlitz ab, trank zornig sein Bier aus und verließ die Lästermäuler.

„Unglaublich! Unglaublich!“ murmelte er vor sich hin. Und als er einem Paar junger Damen begegnete, die leise plaudernd an ihm vorbeischritten, schaute er den hübschen Gestalten ingrimmig nach. „Wette, die flüstern auch von dem Skandal; grüne Dinger, die noch gar kein Urtheil haben. Ei, so wollte ich doch, daß –“ Aber die gute Excellenz vermochte dem Raunen und Wispern auch mit den kräftigsten Verwünschungen keinen Einhalt zu thun. Leise, leise flüsterte es weiter. So wie der Sommerwind rauschte in den Waldbäumen von Wipfel zu Wipfel, ging es von Ohr zu Ohr; sogar die Dienerschaft steckte die Köpfe zusammen, und immer weiter abwärts war es bereits gedrungen; die Schwalben zwitscherten es in den Nestern der Dorfhütten, und eine Nachbarin erzählte es der andern. Und in einer der ärmlichsten kleinen Hütten saß eine alte Bäuerin und schrieb mit kindlicher Begeisterung an das gnädige Fräulein von Gerold und bat dieselbe, sie möge dem Herrn Herzog sagen, er solle ihren Sohn vom Militär freimachen, wenn sie das thäte, würde es gewiß helfen.

Im Schlosse war es heute schon früh lautlos lebendig. Das zierliche Stubenmädchen, das auf einen Druck der elektrischen Klingel in Claudinens Zimmer trat, brachte einige Briefe mit.

„Weiß man schon, wie Ihre Hoheit sich befinden?“ fragte Claudine.

„O, außerordentlich gut! Hoheit sollen so schön geschlafen haben und wollen um elf Uhr dem Erbprinzen im rothen Salon einbescheren.“

„Gott sei Dank!“

Claudine sandte das Mädchen an die Kammerfrau und ließ durch sie um weitere Befehle bitten. Als sie Toilette gemacht hatte, erbrach sie die Briefe; einer war von Beate, die ihr versprach, sich um die kleine Elisabeth zu bekümmern und das Kind heute zu dem Feste abzuholen.

„Ich komme mit zwei Nichten zum Hofball,“ schrieb sie, „wie klingt das ehrwürdig – und wie drollig ist es in Wirklichkeit. Die Würmer! Gott gebe, daß Hoheit wohler, wenn Du diese Zeilen erhältst. Lothar ist bereits mit den Durchlauchtigsten zur Tafel befohlen. Ich wollte, Claudine, wenn er denn einmal durchaus eine Prinzessin freien will, er machte die Sache klar. Dies lange Schmachten ist mir fremd an ihm, er ist doch sonst ein so resoluter Mensch. Vielleicht jetzt, wo die alte Durchlaucht abreisen will? Ach, Claudine, ich hatte mir meine Schwägerin einmal anders vorgestellt. Auf Wiedersehen!“

Trüben Auges legte Claudine den Brief bei Seite und öffnete mechanisch den zweiten. Welch eine grobe ungelenke Hand, und welche Idee! Claudine lächelte; sie sollte vom Herzoge erbitten, daß er einer armen Mutter den Sohn vom Militär freigebe? – Und auf einmal wurde sie leichenblaß. Mein Gott, was für ein Zeichen! Wie kam die alte Bäuerin auf sie?

Das war einer der Briefe, wie sie sonst an die Herzogin gelangten.

Sie warf stolz den schönen Kopf zurück. Lächerlich! Im Gehirn solcher Leute steigen mitunter wunderliche Blasen auf. Sie beschloß, den Brief der Herzogin zu zeigen; sie würde sich amüsiren.

Es lag doch wie ein schwerer Druck auf ihrer Brust; der dumme Brief war ihr wie ein feiner haarscharfer Nadelstich ins Herz gefahren.

Weshalb rief man sie denn nicht zu Ihrer Hoheit?

(Fortsetzung folgt.)




Allerlei Nahrung.
Gastronomisch-naturwissenschaftliche Plaudereien. Von Carl Vogt.
VI. Vögel, Nester und Eier.

Wie gewöhnlich, werden die Nützlichsten am meisten verhöhnt und verspottet. „Sie armes deutsches Huhn!“ sagte einer meiner Bekannten einem norddeutschen Fräulein, das uns sein ungemessenes Leiden als Gouvernante mit bewegten Worten schilderte. – Wenn mein Onkel Forstrath die höchste Stufe einer verdatterten, verirrten und niemals sich zurechtfindenden Person bezeichnen wollte, sagte er. „Sie ist ein blindes Schneehuhn!“

Und erst die Gans! Der Typus der unbeholfenen, täppischen, gackernden Dummheit, zu dem wir, beiläufig sei es gesagt, die Gans durch ihre Zähmung erzogen haben; denn die wilde Gans ist ein intelligenter, schlauer und vorsichtiger Vogel, wie alle Jäger wissen.

Man hat gesagt, die Hühnervögel gehörten den Oelländern, die Gänse den Butterländern an. Es ist etwas Wahres daran, obgleich die Grenzen zwischen beiden Gebieten weit in einander übergreifen und sich gegenseitig durchdringen. Das Hühnergeschlecht hat das größte Gebiet und herrscht in den Tropenländern ausschließlich; die Gänse wiegen nur in der kälteren gemäßigten Zone bis zu dem Polarkreise hin vor. Bis dorthin folgt ihnen freilich das Haushuhn und darüber hinaus das nordische Schneehuhn, die Rype, aber das Haushuhn verkümmert in der Kälte, und schon in Norddeutschland lassen dort geborene und aufgefütterte Hühner oder gar Truthähne alles zu wünschen übrig, was der verwöhnte Gaumen an einem in der Bresse[1] gezüchteten Hühnervogel Vorzügliches zu finden gewohnt ist.

Als Haus- und Jagdthiere stehen die beiden Familien der Hühnervögel einerseits, die zahnschnäbligen Schwimmvögel, Gänse und Enten andererseits, um so mehr allen übrigen Vögeln zusammen voran für die menschliche Oekonomie, als Eier, Leber, Brüste und so manche andere Theile die Grundlage einer Menge von Speisen und Leckerbissen bilden. Der internationale Handel mit Hühnereiern allein setzt jährlich mehr Millionen Mark um, als der Handel mit Gänseleberpasteten und geräucherten Gänsebrüsten Hunderttausende. In der Hühnerfamilie wurzelt die koloniale Zukunft Deutschlands. Wo Kolonisten sich ansiedeln, hört die Jagd bald auf, und dann bleibt kein anderes Fleisch, als dasjenige der Hausthiere, in Afrika speziell der Hühner. Ich kannte einen Kaufmann, der fünfzehn Jahre am Senegal zugebracht hatte, wo Huhn mit Reis und Reis mit Huhn ohne Unterbrechung in angenehmer Weise abwechselte. Er konnte kein Hühnerfleisch mehr genießen. Die Perlhühner sind die nationalen Hühnervögel des dunkeln Weltteils. Deutschlands Kolonisten in Ostafrika, Kamerun und Angra Pequena werden die französischen und steyrischen Hühner- und Kapaunenzüchter auf dem Weltmarkt schlagen, wenn sie Perlhühner züchten und mästen. Namentlich im Lüderitzlande dürfte das Geschäft vorteilhaft sein, weil es dort an Sand nicht fehlt, in dem die Perlhühner sich puddeln und ihre nackten Köpfe vor den glühenden Sonnenstrahlen bergen können. Die Errichtung eines kolonialen Reichshühnerzuchtamtes scheint mir ein dringendes Bedürfniß!

Ich will jedoch weder von Hühnern und Gänsen überhaupt, noch von den verschiedenen gastronomischen Fragen sprechen, welche sich an das zahme und wilde Federvieh knüpfen, und auch von den Kibitzeiern will ich schweigen, obgleich dieselben zu meinem Gegenstande hinüberleiten und sie außerdem noch dadurch interessant sind, daß ihre Erstlinge bekanntlich alljährlich dem Fürsten Bismarck eingesendet werden und Brehm, trotz dieser patriotischen Beziehung, in seinem „Thierleben“ sie gänzlich als Nährgegenstand zu erwähnen vergessen hat. Es wird Brehm wohl so gegangen sein wie mir: er wird den öligen Dingern keinen rechten Geschmack haben abgewinnen können.

Recht wohlschmeckend sind aber die Eier der zahllosen nordischen Schwimm- und Tauchvögel, der Enten, Möven, Seeschwalben,

  1. Landschaft in dem französischen Departement Ain, durch Hühnerzucht berühmt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 299. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_299.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)