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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

der Herzogin und sah mit stiller Befriedigung, wie auch sie ihre Blicke unablässig dorthin sandte; eine bange Frage schienen sie zu enthalten, obgleich ihr Mund lächelte, obgleich sie so heiter schien, wie seit langer Zeit nicht. Die Stimmung ward auch hier animirt. Frau von Katzenstein, die mit dem Jagdjunker zu Tische gegangen, war köstlich in ihrem trockenen Humor.

Zum Dessert, als die Knallbonbons mit den Raketen draußen wetteiferten, saß Prinzeß Helene plötzlich neben der Herzogin; sie hatte Herrn von Palmer gebeten, den Stuhl mit ihr zu tauschen, worauf er eifrigst einging. Ihre Hoheit hatte so wie so kein Wort für ihn gehabt, nur für ihren jungen Kavalier. Die kleine Prinzessin blieb anfänglich stumm. Trotz ihrer besinnungslosen Eifersucht klopfte ihr das Herz bei dem Gedanken an das, was sie thun wollte. Sie trank gegen alle Etikette ihren Champagnerkelch einige Male rasch aus; Herr von Palmer wußte ihn immer unbemerkt wieder füllen zu lassen.

In ihrem tollen leidenschaftlichen Köpfchen sah es erbarmungswürdig aus an diesem Abend. Wieder blickte sie hinunter; ein großes bengalisches Licht flammte eben auf und zeigte ihr deutlich jene Verhaßte neben ihm; sie sprachen nicht mit einander, nein, aber er hatte das Gesicht ihr zugewandt, als wollte er den Anblick des schönen Mädchens in der weißen Lichtfluth voll auskosten. Das rebellische, durch den Wein erhitzte Blut stieg ihr verwirrend zum Kopf.

„Hoheit,“ flüsterte sie besinnungslos und beugte sich zu ihr, die eben nach Fächer und Strauß griff. „Hoheit! Elisabeth, um Gotteswillen, Sie vertrauen zu viel!“

Hatte es die Herzogin nicht gehört? Sie erhob sich langsam und würdevoll. Das Signal zur Aufhebung der Tafel war gegeben, Stühle wurden geschoben, und draußen unter den dunklen Bäumen flammte ein verschlungenes A. E. auf mit der Herzogskrone. Alles fluthete zurück in den Garten, zum Tanz.

„Prinzeß Helene!“ befahl die Herzogin ihrem Kavalier, als sie nach einem Augenblick in das Zelt neben dem Ballplatz getreten war. Sie hatte den leichten Mantel umgenommen und sah aus, als fröstele es sie. Sie setzte sich nicht mehr, der Befehl für die Wagen war bereits gegeben. Nur der Herzog stand noch dort unter den Linden, mit Claudine plaudernd.

Prinzeß Helene flatterte eilfertig daher; auf ihrem heißen Gesichtchen lag eine Art verzweifelten Trotzes.

„Erklären Sie sich deutlicher, Kousine,“ sprach die Herzogin laut zu ihr, indem sie Frau von Katzenstein winkte, sich zu entfernen. Es war jetzt niemand weiter in diesem kleinen, von rosiger Dämmerung erfüllten Zelte, vor dessen zurückgeschlagener Gardine das Fest im Mondlicht wogte.

„Hoheit!“ rief das leidenschaftliche Mädchen heftig, „ich ertrage es nicht, zu sehen, wie Sie hintergangen werden!“

Wer hintergeht mich?“

Noch einmal gewann alles Vornehme, alles Gute in diesem Mädchenherzen die Oberhand. Sie sah diese so schwer nach Athem ringende Frau; sie wußte, was das nächste Wort bedeute für dieses Leben.

„Nichts! Nichts!“ stieß sie hervor. „Lassen Sie mich gehen, Elisabeth – schicken Sie mich fort!“

„Wer hintergeht mich?“ fragte die Herzogin noch einmal bestimmt mit Aufbietung aller Kräfte.

Die kleinen Hände der Prinzessin falteten sich und ihr Blick wandte sich zu Claudine, die dort noch immer von dem Herzog festgehalten wurde. Die Augen der Herzogin folgten ihr, eine erschreckende Blässe breitete sich über ihr Gesicht.

„Ich verstehe nicht,“ sagte sie kühl.

Das Herz der Prinzessin pochte wie wahnsinnig gegen die Kapsel, in der sie den Brief des Herzogs verwahrte. „Hoheit wollen nicht verstehen,“ flüsterte sie, „Hoheit wollen die Augen verschließen!“ Sie hob die noch immer gefalteten Hände empor und preßte sie auf das blauseidene Jäckchen; sie sah in diesem Augenblick wieder die Scene dort oben in der dämmerigen Stille am Bettchen des Kindes – „Claudine von Gerold!“ stieß sie hervor.

Sie vollendete nicht, die Gestalt der Herzogin wankte; mit einem leisen Schreckensruf hielt die Prinzessin sie umfangen, aber nur einen Moment, die Herzogin war schon wieder Herrin ihrer selbst.

„Es schaut, als ob diese schwüle betäubende Nacht Fieber erzeugt,“ sagte sie mit einem Lächeln um den blassen Mund. „Gehen Sie zu Bette, Kousine, und trinken Sie kühle Limonade – Sie reden irre! – Rufen Sie Fräulein von Gerold, liebe Katzenstein“ wandte sie sich dann an die alte Hofdame, die herbeigeeilt war und unter ihrem Spitzenhäubchen hervor besorgt in das blasse Gesicht der Herzogin schaute.

Und als das schöne Mädchen kam, sagte sie freundlich und so laut, daß auch die Außenstehenden es hören mußten, indem sie das trauliche „Du“ gebrauchte:

„Führe mich zum Wagen, Dina, und vergiß nicht, daß Du morgen an einem Krankenbett sitzen wirst. Ich fürchte, meinen Kräften ist dieses schöne Fest zu viel geworden.“

Sie stützte sich fest auf Claudinens Arm und schritt, begleitet von dem Herzog, von Baron Lothar und dem Gefolge und nach allen Seiten freundlich grüßend, der Freitreppe zu, wo die Wagen hielten. Sie übersah dabei die tiefe Verneigung der Prinzessin Helene. – Als Claudine zurückkehrte an der Seite Lothars, trug sie den Granatstrauß der Herzogin in der Hand.

Sie weilte noch einige Augenblicke unter all den Menschen, die plötzlich kein Auge mehr für sie zu haben schienen; aber sie bemerkte es nicht; sie sehnte sich nach Ruhe. „Gute Nacht, Beate, ich möchte heim.“

„Wie sonderbar die Herzogin war beim Abschied!“ sprach Beate, als sie durch einen Seitengang neben Claudine dem Wagen zuschritt. „Sie sah Dich an, als wollte sie bis auf den Grund Deiner Seele schauen, und doch, als hätte sie Dir etwas abzubitten. Es ist etwas Kindliches in dieser Frau! Wie lieblich die Art und Weise war, als sie Dir den Strauß noch zuletzt aus dem Wagen reichte und: ‚Meine liebe Claudine‘ sagte, als könnte sie Dir nicht Liebes genug thun.“

„Wir haben uns sehr lieb,“ antwortete Claudine einfach.

Prinzeß Helene tanzte weiter in dieser Nacht. – „In völligem Rasen,“ dachte Frau von Berg, die zurückgekehrt war, nachdem sie die Schale ihres Zornes ergiebig über das Haupt der Kinderfrau ausgeleert hatte. Die schwarzen Augen der kleinen Prinzessin funkelten in Thränen, während sie lachte und die Hand zur Faust ballte um den Elfenbeinfächer. Dann meinte sie plötzlich, die innere Unruhe, die Herzensangst nicht mehr aushalten zu können, warf sich im Dunkel eines Bosquetts auf eine Bank und preßte ihre glühende Wange an das kalte Eisen der die Lehne bildenden imitirten Birkenstämmchen. Frau von Berg stand mit finsterer Miene vor ihr.

„Mein Gott“, sagte sie, „wenn jemand Eure Durchlaucht so sähe!“

„Kommt der Baron?“ fragte die Weinende, rasch die Augen trocknend.

Die Berg lächelte.

„O, doch nicht; er spricht mit dem Landrath von Besser über Feuerversicherungen.“

„Haben Sie gesehen, Alice? Die Gerold wurde von der Herzogin noch mit dem Strauß begnadet beim Abschied; das war“ – hier lachte die Prinzessin – „das Resultat meiner gut gemeinten Warnung.“

Frau von Berg lächelte noch immer.

„Durchlaucht verzeihen, die Herzogin konnte nicht anders! Auf ein bloßes on dit läßt ein so vornehmer Charakter seine Freundin nicht fallen. Ich habe geglaubt, Sie kennen Ihre Hoheit besser. Sie bestanden so selbst so dringend auf ‚Beweisen! ‘

Die Prinzessin fuhr mit beiden Händen an die Ohren, als wollte sie nichts mehr hören.

„Beweise!“ wiederholte Frau von Berg noch einmal, „Beweise, Durchlaucht!“




Die Herzogin hatte sich gleich nach der Rückkehr in ihr Schlafgemach zurückgezogen und sich zur Ruhe begeben.

Wie leicht sagt sich das „zur Ruhe begeben“ – wie selbstverständlich klingt es und wie tückisch flieht der Schlaf ein beunruhigtes Herz!

Sie hatte ihr kühlendes Himbeerwasser getrunken und lag, die Arme unter dem Haupt, in ihrem stillen Zimmer. Zuweilen hustete sie und ihre Wangen begannen zu glühen.

Es war zu viel gewesen für sie, dieses rauschende Fest; sie hätte im Krankenzimmer bleiben sollen, wo sie hingehörte – aber,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_278.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)