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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Unangenehm?“ stieß die Prinzeß hervor. „Meinen Sie Alice? Er ging nicht gerade ungern von dem Spielplatz, um auf Befehl Ihrer Hoheit seine Kousine versöhnt zurückzuführen.“

Die Prinzessin sprang nach diesen Worten aus ihrem grau- und blaugeblümten Kretonnesessel empor und lief an das Fenster. Frau von Berg sah, wie sie beide Hände zur Faust geballt hatte und wie einer ihrer Füße nervös den Parkettboden trat, wie es ihr kaum gelang, die Fassung zu bewahren.

„Was sollte er denn thun, Durchlaucht? “ sprach Frau von Berg. „Aber freilich, es ist nicht unmöglich, wer kennt die Männerherzen?“ Und sie lächelte hinter dem Rücken der Prinzessin.

Diese wandte sich jäh, als sei sie von einer Schlange gebissen, sie sah noch das Lächeln um den Mund ihrer Vertrauten, im nächsten Moment flog etwas an dem künstlich frisirten Frauenkopfe vorüber und fiel neben dem Kachelofen zur Erde. Es erwies sich zwar nur als das weiche blauseidene Arbeitsbeutelchen der Prinzessin, das eine niemals über die Anfänge hinauswachsende Stickerei Ihrer Durchlaucht enthielt; aber die Thatsache blieb bestehen: es war nach Frau von Bergs Kopf geworfen.

Die schöne Frau hielt sich plötzlich das Sacktuch vor die Augen und begann zu schluchzen.

„Weinen Sie nicht!“ herrschte die Prinzessin sie an, „Sie wissen, daß es mich rasend machen wird, wenn – – Ich kenne Sie zu genau, Sie sind schadenfroh, Alice!“

„Bei Gott nicht, Durchlaucht!“ betheuerte die Weinende. „Ich dachte an – man lächelt doch auch aus Mitleid.“

„Ich brauche Ihr Mitleid nicht!“

„Wer sagt denn, daß es Ew. Durchlaucht galt? Mich dauert die Herzogin! Ihre Hoheit kommt mir vor wie das Lamm, das sich den Wolf zu Gaste gebeten hat. Hoheit vergöttert ja diese Claudine und – Durchlaucht, es ist doch traurig komisch, wenn man jemand sieht, der seinen ärgsten Feind mit Zuckerplätzchen füttert.“

Die Prinzeß antwortete nicht. Sie saß jetzt hinter dem Kretonnevorhang auf dem breiten Fensterbrett, und ihre Füße waren in hastiger Bewegung, während die Augen brennend auf die Chaussee starrten, die jenseit des Parkes ein wenig sichbar ward.

„Was kann ich dafür, wenn die Leute blind sind,“ sagte sie endlich.

„Ich glaubte, Durchlaucht liebten die Frau Herzogin?“

„Ja, sie ist gut, kindergut und hat mir immer viel Zuneigung bewiesen. Aber Mama sagt, sie ist überspannt, und das hat sie heute deutlich genug gezeigt. Ich kann ihr nicht helfen.“

Auf dem Rokokoschränkchen, dem echten alten mit blanken Messingschlössern und Henkeln, schlug die Uhr eben Sieben. Die kleine Prinzessin bemerkte es ungeduldig. „Schon so spät?“ sagte sie, „der Baron vergißt, daß wir heute Abend im Garten den Tanzplatz aussuchen wollten für das Fest.“

„Vielleicht befahl Ihre Hoheit ihn noch in ihren Salon,“ bemerkte Frau von Berg. „Fräulein von Gerold singt jeden Abend und der Baron ist, wie Durchlaucht wissen, ein fanatischer Musikliebhaber.“

„Die Herzogin aber weiß, daß er Gäste hat!“ rief die Prinzessin mit funkelnden Augen und sah ihre Peinigerin drohend an.

„Wenn aber Hoheit befehlen?“ sagte diese sanft entschuldigend.

„Befehlen? Wir leben doch nicht im Mittelalter? Am Ende kann meine Kousine wohl gar noch befehlen, er soll ihren Liebling heirathen?“

Frau von Berg ging harmlos auf diesen etwas gewaltsamen Scherz ein. „Wer weiß, Durchlaucht, wenn es der Herzenswunsch dieses Lieblings wäre?“

Das war zu viel für Prinzeß Helene. Sie lief zu Frau von Berg hinüber und faßte sie zornig an die Schulter; ihr schmales Gesicht war ganz bleich.

„Alice,“. sagte sie, „Sie sind schlecht! Ich fühle es, daß Sie schlecht sind! Sie können mich bis aufs Blut peinigen; es ist entsetzlich, was Sie da sagen – aber – es ist nicht unmöglich. Alice, ich habe keine ruhige Stunde mehr, ich wollte, ich wäre todt wie meine Schwester! Die ist doch wenigstens einmal glücklich gewesen.“

„Aber, Durchlaucht, ein Scherz!“

„Nein, nein, keinen Scherz – um Gotteswillen, nehmen Sie es nicht als Scherz! Ich weiß nicht, was ich thun könnte vor Seligkeit, wenn sie fort wäre aus diesen Bergen! Warum ist sie nicht mit der Herzogin-Mutter nach der Schweiz gegangen? Warum muß sie hier sitzen?“

„Ja warum?“ fragte Frau von Berg und küßte die Hand der kleinen Prinzessin.

„Armes Kind!“ seufzte sie dann.

„Ach Alice, wissen Sie keinen Weg? Nennen Sie mir einen! Ich ertrage die Zweifel nicht länger!“ flüsterte das leidenschaftliche Mädchen.

„Ich, Durchlaucht? Was kann ich denn thun? Wenn da nicht ein ‚Zufall‛ hilft, Ihrer Hoheit die Augen zu öffnen.“

„Ein Zufall? “ wiederholte die Prinzessin bitter.

„Wie denn sonst? Ihre Hoheit haben keine einzige Seele, die es gut genug mit ihr meint, um ihr einen solchen Freundschaftsdienst zu erweisen.“

„Ein schöner Freundschaftsdienst!“ antwortete die Prinzeß spöttisch, „das ist schon mehr eine Henkersarbeit; denn das weiß ich, so wahr ich hier vor Ihnen stehe, Alice, daß die Kenntniß dieser Angelegenheit Elisabeths Herz brechen würde.“

„Durchlaucht würden lieber mit ansehen, wie das edelste, beste Geschöpf systematisch hintergangen wird? Ich muß gestehen, die Ansichten von ‚Freundschaft‛ sind sehr verschieden,“ erwiderte Frau von Berg vorwurfsvoll.

„Sie haben wohl niemals einen so recht lieb gehabt, Alice? So lieb, daß man eher sterben möchte, als ihn missen? Nein, das haben Sie nicht, sagen Sie es nur nicht etwa. Wo andere ein Herz haben, da haben Sie eine leere Stelle! Sehen Sie mich nicht so an; durch mich erfährt die Herzogin es nicht, Alice; nebenbei behaupte ich nie etwas, das ich nicht zuverlässig weiß, und hier dürften vollgültige Beweise doch vorläufig fehlen.“

Frau von Berg lächelte und strich über das Haar der Prinzessin, eine Thräne blitzte in ihrem Auge.

„Wie könnte ein so goldreines liebes Kinderherz auch an solche Schuld glauben?“ sagte sie leise, „es würde selbst die Beweise nicht anerkennen.“

Die Prinzeß schüttelte die Hand ab. „Bitte, thun Sie nicht, als hätten Sie alle Taschen voll davon, “ sagte sie ärgerlich über die Berührung.

„Ich habe zwar nicht alle Taschen voll, es würde aber auch ein Beweis genügen, Durchlaucht.“

Das Gesicht des fürstlichen jungen Mädchens überzog eine flammende schämige Röthe.

„Es ist nicht wahr!“ stammelte sie, „so ehrlos ist kein Weib, daß es Freundschaft heuchelt, wo es Verrath übt. Sie sind entsetzlich, Alice!“

„O Durchlaucht, Sie kennen das Leben nicht!“

Die Prinzessin faßte sich plötzlich an die Stirn und lief in ihr Schlafzimmer, krachend flog die Thür hinter ihrer leichten Gestalt zu. Frau von Berg blieb allein in dem anmuthigen einfachen Raum, sie schaute die Thür an und wieder glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Dann zog sie ein Notizbuch aus der Tasche und nahm ein Billet heraus. „Da ist es,“ flüsterte sie, es liebevoll betrachtend. Einmal hatte es bereits seine Zauberkraft bewährt – da drinnen in ihrem Boudoir saß jetzt Durchlaucht Prinzeß Thekla und schrieb an Ihre Hoheit die Herzogin-Mutter einen Brief voll tugendhafter Entrüstung!

Nebenan erklang jetzt ein leidenschaftliches Schluchzen. Frau von Berg verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit frischem Wasser und Himbeersaft zurück. Ohne weiteres betrat sie das Schlafgemach der Prinzessin. „Durchlaucht sollten sich fassen,“ bat sie weich und mischte den kühlenden Trank. Sie kniete vor dem weinenden jungen Geschöpf nieder, das auf dem Divan zu Füßen des Bettes saß, und sah sie wie um Verzeihung bittend an.

„Die rothen Augen müssen fort,“ sprach sie weiter; „wenn ich nicht irre, fuhr soeben der Baron in den Hof. Auf dem Tische drinnen liegen die Maskenbilder für das Kostümfest und eine große Auswahl entzückender Proben von Monsieur Ulmont.“

Die Prinzessin erhob sich, ließ sich von Frau von Berg das Haar ordnen und die Augen kühlen. „Sehe ich sehr verweint aus?“ fragte sie.

„Nein, nein; reizend wie immer!“ klang es zurück.

Unten läutete setzt die Tischglocke in vollen lauten Tönen. Ein paar Minuten später flog die Prinzessin hinunter, als wollte sie keine Minute einer köstlichen Stunde versäumen; ihr Auge strahlte, ihr Mund lächelte. An den weit geöffneten Thüren des

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