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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

welche sich im Lesen üben wollen“ von Löhr (Frankfurt a. M. 1802) aufbewahrt. Auf dem Vorderblatte liest man nämlich mit Bezug auf das darin befindliche Lesestück „Frau Mildheim“ folgende Notiz: „Seite 43–45, Frau Mildheim, las Prinz Wilhelm den 10. Oktober 1803 zum ersten Mal ohne vorhergegangene Anleitung recht gut.“

Es scheint, daß Delbrücks Einfluß auf den jüngeren Prinzen Wilhelm tiefer war als auf den geistreich beweglichen Kronprinzen. Ein dem Hofe nahestehender Gelehrter – wahrscheinlich Joh. G. Woltmann, welcher selbst zu den Lehrern des Prinzen Wilhelm gehörte – giebt hierüber in seinen nur mit einem „W“ und drei Sternchen gezeichneten „Erinnerungen“ folgendes Urtheil: „Die ganze, mehr dem praktisch Religiosen zugewendete Richtung des etwa zweiunddreißigjährigen Erziehers, welcher das volle Vertrauen des königlichen Vaters besaß, schien in dem Prinzen Wilhelm einer ursprünglichen, natürlichen Anlage zu begegnen; indeß bei dem von Scherz und kindlicher Rede nicht eben überfließenden Knaben alle geistigen Motive in die Tiefe des Gemüths still zurückzutreten pflegten, ging sein Handeln schon in den frühesten Lebensjahren auf das gegebene Ziel ehrlich und bestimmt hin. Wer Gelegenheit hatte, die beiden königlichen Prinzen in der Mitte der ihnen durch Delbrück und den tüchtigen Lehrer Reimann mit prüfender Sorgsamkeit auch aus den bürgerlichen Ständen erwählten Spielgenossen zu sehen, konnte leicht beobachten, wie gern der nachmalige König Friedrich Wilhelm IV. sich in dem Gefühle seiner geistigen Ueberlegenheit abzusondern und neckisch in die Spiele der andern einzugreifen pflegte, indeß sein jüngerer Bruder nicht selten mit den Freunden Partei gegen diese Störungen und den mannigfachen geistreichen Unfug des Kronprinzen bilden mußte. Sonst fand sein tiefes Gefühl in bewegten Momenten nicht bequem und leicht den angemessenen Ausdruck, so daß er bisweilen dem wenig erfahrenen Beobachter geradezu als gemüthlos gelten konnte.“

Der König stellt „die drei jüngsten Rekruten“ der Königin vor.

Diese in die Knabenzeit des späteren Kaisers Wilhelm helles Licht bringende Schilderung charakterisirt die Anlage der beiden von einander so verschiedenen königlichen Brüder überaus zutreffend. Diese Schilderung stimmt auch vollständig mit dem Urtheil überein, welches die Königin Luise über ihre Söhne in dem berühmten Briefe an ihren Vater im Jahre 1809 fällte:

„Der Kronprinz ist voller Leben und Geist. Er hat vorzügliche Talente, die glücklich entwickelt und gebildet werden. Unser Sohn Wilhelm wird, wenn nicht alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig.“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Kaiser Wilhelm I. (Mit Portrait.)

„Er war ein Mann – nehmt alles gleich in allem,
Ihr werdet niemals seines Gleichen sehn!“

Könnte dem verstorbenen deutschen Kaiser eine schönere Grabschrift zu Theil werden, als sie in diesen Worten des großen Dichters liegt?

Und so sehen wir ihn auf diesem Bilde; einen Helden an Ehren und Siegen reich, männlich fest und würdevoll, eines großen Reiches Begründer, vertrauend der eigenen Kraft und dem Schutze der Vorsehung für die hohe Sendung, die sie in seine Hand gelegt! So wird sein Bild fortleben in des Volkes Erinnerung, diese Züge voll Milde und Würde: Preußens König, ein Feldherr wie wenige, den Sieg an seine Fahnen bannend, rastlos strebend, große Ziele zu erreichen; Deutschlands Kaiser – ein Friedensfürst wie wenige, der fast zwei Jahrzehnte hindurch Europa die Ruhe verbürgte, anerkannter Schiedsrichter der Nationen, weit hinaus bis in den dunklen Welttheil, bis in ferne Zonen, in denen auf einmal des Reiches Flagge wehte, ein gepriesener Herrscher. Und jetzt – am Todtenbette des hochbetagten Greises, der noch immer die Wage der Gerechtigkeit in festen Händen hielt, steht Europa trauernd – und auf Augenblicke, vom Mitgefühl besiegt, schweigt selbst der Waffenlärm der Revanche jenseit der Vogesen. Und dies Mitgefühl gilt vor allem dem schmerzlichen Schlage, der dem großen Herrscher nicht erspart blieb! Wenn irgend einer zu den Glücklichen gehörte, so war es der Kaiser. Einem Napoleon mochte die Sonne von Austerlitz einmal glorreich aufgehen: die Sonne der Hohenzollern ging dem deutschen Kaiser nicht unter. Bei allem, was er unternahm, strahlte sie ihm im hellsten Glanze; kein Unfall wurde ihm verhängnißvoll, und selbst Mörderhände, die nach seinem ehrwürdigen Haupte zielten, hatten den Lohn ihrer schnöden That dahin.

Und doch – niemand ist vor seinem Ende selig zu preisen. In einem Alter, das alltägliche Lebensdauer auch der Bejahrten weit hinter sich läßt, tritt ein tiefer Schmerz an ihn heran, verschleiert sich die Sonne eines so lange ungetrübten Glückes. Die Krankheit seines Sohnes und Erben, welche das ganze deutsche Volk mit banger Sorge erfüllt, fällt wie ein düsterer Schatten in die sonst so hellen Tage seines hohen Alters.

Die Bulletins von der Riviera, meist trübe, selten hoffnungsvoll; sie, welche die Theilnahme unseres Volkes, die Theilnahme aller Völker wachriefen – wie mußten sie das Herz des Kaisers, das Herz des Vaters im Innersten ergreifen! Ein herrlicher Kriegsfürst, Sieger in großen Schlachten, Liebling des Volkes durch seine Leutseligkeit, seine Toleranz, seine Friedensliebe bei aller glorreich bewährten Kriegskunde und Tapferkeit, einem bösartigen Leiden verfallen, gegen das die Kunst der Aerzte nur mit oft versagender Hoffnung ankämpft!

Und jetzt: welches seltene Schauspiel für die Welt! Von seiner Krankenstation an dem Ufer des Mittelländischen Meeres, aus der warmen heilenden Luft des Südens eilt der neue Kaiser an die Todtenbahre des Vaters, mit dem hohen Pflichtgefühl, das den Hohenzollern eigen ist, nicht des eigenen Leids gedenkend, sondern der Pietät gehorchend und der großen Aufgabe seines Lebens alle Kraft widmend, welche der Dämon der Krankheit ihm gelassen hat.

Ein feindlich Schicksal wirft seinen Trauerflor über das Deutsche Reich: doch am Grabe eines Fürsten, der seine Regentenpflichten stets in vollstem Maße erfüllt hat, steht des Reiches neuer Kaiser, dem das Schicksal in die Lorbeerkrone auch die Dornenkrone geflochten hat, gleich mit seiner ersten That bekundend, daß höher als jedes Gut des Lebens ihm das unerbittliche Gebot der Pflicht steht und jener hohe Opfermuth, der sich nicht bloß im Wetter der Schlachten erprobt. †     


Kaiser Wilhelm auf dem Todtenbette. (Mit Illustration S. 175.) Da ruht der Kaiser friedlich in seinem schlichten und einsamen Schlafgemach – nichts erinnert an den gewaltigen Kriegsherrn, als das eiserne Feldbett, auf welchem er immer zu ruhen pflegte.

Treu nach der Natur ist das Bild unseres Zeichners, der kurz nach dem Tode das Sterbezimmer betreten durfte, aufgenommen – noch ehe dem todten Fürsten von der Hand seiner Tochter der Blumenschmuck zu Theil geworden: die weißen Rosen an der Brust, die Maiblumen in der Rechten. So ruht er, ein Friedensfürst „trotz aller Kriegslorbeern“, ein Held der eisernen Pflicht, der er sein Leben geweiht, aber voll Güte und Sanftmuth, die noch im Tode seine Züge verklären. †      


Inhalt: Kaiser Wilhelm todt! Gedicht von Friedrich Hofmann. S. 165. – Zum Gedächtniß Kaiser Wilhelms. Von Karl Biedermann. Mit Illustrationen S. 165 und 166. – Das Eulenhaus. Hinterlassener Roman von E. Marlitt. Vollendet von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 170. – Die Reichshauptstadt beim Tode des Kaisers. Der achte und neunte März. S. 173. Mit Illustrationen S. 173, 173, 175 und 176. – Aus dem Leben des Kaisers Wilhelm I. S. 176. Mit Illustrationen S. 176, 177 und 178. – Blätter und Blüthen: Kaiser Wilhelm I. S. 178. – Kaiser Wilhelm auf dem Todtenbette. S. 178. Mit Illustration S. 175.


Die in dieser Nummer ausgefallene Fortsetzung der Erzählung „Josias“ folgt in Nr. 12.

manicula Hierzu als Extrabeilage ein Kunstblatt: „Portrait des Kaisers Wilhelm I.“ manicula

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_180.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2020)