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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Seelenstärke – von den jungen Herren „Dickfelligkeit“ genannt – trug und nur in so fern überhaupt seiner Beachtung würdigte, als er bei einer Begegnung en masse sich bei Karl erkundigte, ob er etwa Sperlinge unter der Mütze habe. Das überlegene Lächeln, mit dem German das „Scheusal“ bei diesen Worten ansah, erweckte ihm die höchste Werthschätzung seiner Genossen, indem es Herrn Grauberg entschieden zum „Hereingefallenen“ stempelte. Aber diese „Frechheit“ gab das Zeichen zum Angriff, und von nun an wurde der arme Grauberg der Zielpunkt einer wahren Unzahl von Schuljungenstreichen, die mit solcher Schlauheit und Gewandtheit ausgeführt wurden, daß die wahren Urheber stets unentdeckt, ja selbst unbeargwöhnt blieben.

Es sollte in der nächsten Woche zur Gedächtnißfeier des Sedantages eine Festlichkeit im Ressourcengarten stattfinden, an der sich, des patriotischen Gedankens wegen, auch die Schulknaben betheiligen durften.

Ein Koncert am Nachmittag mit sich daran schließendem Tanz stand auf dem Vergnügungsprogramm, und Herr Grauberg hatte Käthe bereits um den ersten Tanz ersucht, den sie so gern – ach so gern! anderweitig vergeben hätte.

Da aber die herzlose Mutter ihre ausweichende Erwiederung auf Herrn Grauberg’s Frage, ob sie noch unversagt sei, durch ein „ich wüßte doch wirklich nicht, an wen Du Dich solltest versagt haben!“ vernichtete, so mußte Käthe darauf gefaßt sein, an der Hand des unbeliebten Freiers die Polonaise durch die vielfach verschlungenen Gänge des Gartens zu machen, und konnte es gewärtigen, daß Herr Grauberg diese Zeit des Alleinseins zu dem unangenehmen Anerbieten benützte, seine Schicksale zu theilen.

Die Sache wurde noch verwickelter dadurch, daß Erloff sie heute, am Tage vor dem Feste, getroffen und um den ersten Tanz ersucht, was sie mit Hinweis aus Herrn Grauberg hatte ablehnten müssen.

Erloff warf hierauf ein paar düstere Bemerkungen über „die Macht des Geldes“ hin, und Käthe fühlte sich dadurch zu der unvorsichtigen Aeußerung bewogen: „Sie wissen eben gar nicht, wie mir zu Muthe ist,“ was die Sachlage einen bedenklich großen Schritt näher an die unvermeidliche Explosion der Liebeserklärung brachte.

Käthe vertraute sich in ihrer Herzensnoth dem Bruder an: „Ich möchte so sehr ungern mit Herrn Grauberg Polonaise tanzen, Karl,“ sagte sie, mit Thränen in den Augen.

Karl lächelte.

„Laß das nur sein – wir werden schon dafür sorgen, daß der schofele Patron abblitzt!“ sagte er mit überlegener Siegesgewißheit.

Die Amicitia wurde noch früh vor der Schule in fliegender Eile zusammenberufen und eine Besprechung verabredet, die bereits im Voraus eine betrübende Zerstreutheit beim Extemporale zur Folge hatte und den Lehrer zu Bezeichnungen seiner Untergebenen hinriß, die man sich „eigentlich“ in Tertia nicht mehr braucht gefallen zu lassen, obwohl ein Esel an und für sich ein ganz nützliches Thier ist. Mehr will ich nicht sagen.

Da das Sedanfest die zarte Rücksicht nahm, an einem Mittwoch stattzufinden, so war der Nachmittag frei, und die Amicitia konnte vor dem Beginn der Feier tagen. Diesmal wurde sogar Eduard zugezogen, der neulich unter täuschendem „Wau wau“ Herrn Grauberg im dunklen Flur ins Bein gezwickt und sich dadurch zum Freiwilligen in diesem Feldzuge beurkundet hatte.

Im Gegensatz zu den kleinen Plänkeleien, durch die man bisher seine Gesinnungen an den Tag gelegt hatte, galt es heute, einen größeren Schlag zu führen; Herr Grauberg mußte auf irgend eine Weise schwer geschädigt und an der Ausführung der Polonaise gehindert werden.

Nach einigen flüchtigen Vorschlägen von Fuchseisen und Selbstschüssen – von Bestreichen der Treppe mit Oel, wurde zuerst der eben so erheiternde wie anmuthige Gedanke, dem „Scheusal“ mittelst Brennglases ein Loch auf den Rücken seines Festgewandes zu brennen, mit Akklamation aufgenommen, dann aber von German als „kindisch“ verworfen.

German hegte eine gerechtfertigte Abneigung gegen diese Form des geselligen Scherzes, da er vor mehreren Jahren einmal seinen kleinen Bruder in Gemeinschaft mit mehreren Freunden per Brennglas verwundet und dann durch die Gabe eines Pfennigs beschwichtigt hatte. Der Kleine machte aber dessen ungeachtet die schluchzende Meldung: „Sie haben mir angebrannt und haben mir diesen Thaler geschenkt!“ ein Verfahren, das nicht nur die Klage der Körperverletzung, sondern auch der Uebervortheilung durch Vorspiegelung falscher Thatsachen hervorrief und eine düstere Episode in German’s Leben bezeichnete, bei der, späteren Berichten nach, ein „armsdicker“ Stock thätig mitgewirkt hatte.

Darum konnte es ihm Niemand verdenken, wenn er sich zu einem Vorschlage ablehnend verhielt, der ihm so unangenehme Erinnerungen erweckte.

Nach einer langen und erregten Debatte, die bei besonders scharf ausgeprägten Meinungsverschiedenheiten sogar hin und wieder in Tätlichkeiten auszuarten drohte, wurde ein Entschluß gefaßt, mit lebhaftem Beifall begrüßt und unverzüglich ins Werk gesetzt.

Roth wohnte in unmittelbarster Nachbarschaft des bedrohten Herrn Grauberg und war somit in der Lage, die werthvollsten Nachrichten über das Feld der Thätigkeit zu geben.


(Fortsetzung folgt.)




Die Familie Orleans.
Von K. Th. Heigel.


Das deutsche Volk wurde in neuester Zeit wiederholt durch Zeitungsnachrichten von feindseligen Umtrieben der Orleans beunruhigt. Wenn auch der Beweis dafür noch nicht, wenigstens dem Publikum noch nicht erbracht wurde, daß die berüchtigte Fälschung diplomatischer Urkunden einem Mitgliede dieses Hauses zur Last fällt, dürfte es doch an der Zeit und von Nutzen sein, über die Geschichte der Vielgenannten sich zu unterrichten.

Da keine Familie völlig mit ihrer „Tradition“ zu brechen vermag, wird die Vergangenheit den gegenwärtigen Gliedern als Richtschnur, uns als Fingerzeig, vielleicht als Warnung dienen.

Ein Umstand sichert den Orleans von vorneherein Ansehen und Wichtigkeit: weitverzweigt, besitzen sie ungeheure Reichtümer. Ich will nicht behaupten, daß Macht in allen Fällen Geld ist; aber jedenfalls ist Geld ist civilisirten Staaten Macht.

Ludwig Philipp, der Bürgerkönig, minder freundlich auch der Barrikadenkönig genannt, verstand es trefflich, bei den altehrwürdigen Herrscherhäusern sich in Gunst zu setzen, trotzdem er seine Thronerhebung einer Revolution verdankte. Vater von fünf Söhnen und drei Töchtern, erreichte er für seine sämmtlichen Kinder Verbindungen mit legitimen Höfen. Für seinen ältesten Sohn Ferdinand, Herzog von Orleans, erhielt er die Hand einer durch Gaben des Geistes und des Herzens ausgezeichneten deutschen Prinzessin, Helene von Mecklenburg. Der Erstgeborene aus dieser Ehe ist Ludwig Philipp Albert, Graf von Paris, vermählt mit Infantin Isabella von Spanien. Derselbe ist heute das Haupt der Familie. Für die Orleanisten ist er Philipp VII., der rechtmäßige König der Franzosen.

Der Bruder dieses Fürsten, Robert, Herzog von Chartres, unbestritten der ritterlichste unter den lebenden Orleans, hat viele Freunde in der Armee.

Der zweite Sohn des Bürgerkönigs, der Herzog von Nemours, freite ebenfalls eine Deutsche, Viktoria, Prinzessin von Sachsen-Koburg, die dem Gatten einen großen Theil des gewaltigen Kohary’schen Vermögens zubrachte. Die zwei Söhne und zwei Töchter aus dieser Ehe traten wieder mit europäischen Fürstenhöfen in Familienverbindung.

Der dritte Sohn Ludwig Philipp’s, der Prinz von Joinville, vermählte sich mit der Tochter des Kaisers von Brasilien, deren Mitgift denjenigen der Schwägerinnen sicherlich nicht nachstand.

Der reichste jedoch von Ludwig Philipp’s Söhnen wurde sein vierter, der Herzog von Aumale. Er erbte die 30 Millionen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_080.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)