Seite:Die Gartenlaube (1888) 046.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)


brennenden Lampe sein Pfeiflein schmauchte. Den Jäger haben sie als einen ewig Stummen zu Thal getragen, die zerschmetterte Fensterscheibe haben sie durch ein neues, blinkendes Glas ersetzt – aber der kleine, dunkle Punkt dort an der Bretterwand ist geblieben.

Gar manch eine Hütte hat solch ein finsteres Mal an ihren Balken aufzuweisen.

Das ist die Tragik des Hüttenlebens. Aber ihr Verweilen in der Hütte ist so flüchtig wie die Dauer eines Kugelfluges – und dann verkriecht sie sich im Gebälk, dann schrumpft sie in solch einen kleinen, dunklen Punkt zusammen und überläßt die ganze, freie Stube wieder dem neu über die Schwelle schreitenden Humor und der lachenden Lebensfreude, die an der Gegenwart ihr volles Genüge findet, die an kein Gestern denkt und an kein Morgen.

Lustig schnurren unter meinen Fingern die Saiten der Cither, jauchzend drehen sich die beiden Paare, und durch die Stube geht ein Schnalzen, Klatschen, Stampfen und Springen, daß der Staub zur Decke wirbelt und der Boden dröhnt.

„Ja, g’rad a nobligs Leben is daheroben auf der Hütten!“ so urtheilte der graubärtige Förster, als ich damals an seiner Seite draußen auf der Holzbank saß – und er hörte doch auch schon einmal, dicht vor der Hüttenthür, eine Wildschützenkugel hart an seinem Ohr vorüber pfeifen.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Die Todteninsel.
Von Richard Voß.
(Fortsetzung.)


Heilige Frühe wehte um die Stirnen der beiden Flüchtlinge. Die ganze Nacht hatten sie mit günstigem Winde gesegelt und trieben nun beim aufglühenden Tageslicht der Küste zu, deren Herrlichkeiten ihnen bereits dicht vor Augen lagen. Voller Entzücken sah Tullus die Menge der Paläste, der Basiliken, Thermen und Amphitheater; er sah den Strand, so weit seine Blicke schweiften, dicht besetzt mit Landhäusern, Portiken und Heiligthümern.

Acca schaute nicht vorwärts, sondern zurück, wo an dem lichten Horizont ein Wölklein zu schwimmen schien: die verlassene Heimath. Doch so oft Tullus mit einem Ausbruch des Jubels sich nach ihr umwendete, bog sie hastig das Köpfchen und theilte sein Staunen über alles, was er erblickte.

„Das ist die Welt, Acca! Sieh, wie groß, wie schön! Hier sind die Götter, die sie leugnen wollen.“

Und nach einer Weile leise, mit bebender Stimme:

„Bist Du glücklich, Acca?“

Sie nickte ihm zu:

„Ich bin glücklich, Tullus.“

Trotz dieser Versicherung glaubte er sie trösten zu müssen: „Sie werden nicht allzusehr um Dich besorgt sein; wissen sie doch, daß Du mit mir bist! Was sollte Dir da geschehen können? Siehst Du nun ein, wie unnütz Du Dich quälst? Mutter Larina wird jammern und Vater Daunus schelten, nicht allzusehr! Sie werden sich gewiß denken können, wie alles gekommen ist; daß ich fortwollte, daß Du mich nicht zurückhalten konntest und daß Du dann natürlich mit mir fort bist. Es war wirklich ganz natürlich, daß Du mich nicht allein gehen ließest. Sicher werden sie das einsehen! Sie haben uns wie Gefangene gehalten, ich wäre beinahe gestorben. Wenn man jung ist und auf einer Klippe lebt und die Welt jeden Tag vor Augen hat und doch nicht hin kann – – und wenn man fühlt, wie man zu etwas Besserem taugt, zu etwas Größerem; wenn man etwas thun will, etwas thun muß – ach, Acca, Acca, mir ist so wohl, ich fühle mich so frei, so stark, so – – ich kann es nicht sagen, aber die Götter wissen es. Sieh nur die Herrlichkeit! Ist es denn möglich, daß die Welt so groß, daß sie so schön ist? Sei glücklich! Wir wollen glücklich sein!“

Sie nickte ihm wieder zu.

„Das wollen wir.“

Eine Weile schwiegen sie; dann flüsterte Tullus, die zarte Gestalt seiner Gefährten mit scheuem Blicke streifend:

„Acca!“

„Ja.“

„Dir ist doch nicht bang?“

„Wovor sollte mir bang sein?“

„Vor der Stadt, vor den Menschen, vor Rom, vor der Welt. Aber Du hast ganz Recht; wovor sollte Dir bang sein? Sind doch die Götter bei uns.“

Acca wendete sich ab.

„Ob wir wohl einen Nazarener zu sehen bekommen?“

Sogleich verfinsterte sich des Jünglings Gesicht. Er preßte die Lippen zusammen und murmelte.

„Ich hasse sie.“

Acca wollte ihn bitten, das nicht zu thun; Tullus schaute aber so finster drein und hatte eine so feindselige Miene, daß sie schwieg.

Bereits befand sich das Boot mitten im Gewühl des Hafens, doch achtete Niemand der Beiden. Tullus ermahnte:

„Du darfst Dich nicht fürchten. Ich beschütze Dich. Es soll Niemand wagen, Dich anzurühren, sieh nur recht muthig drein und kehre Dich nicht an das Geschrei! Ich habe es mir viel schlimmer gedacht. Sobald wir gelandet sind, suche ich einen Schiffer, der mit dem Nachen zur Insel zurückrudert. Dein Vater wird froh sein, das Boot wieder zu haben und den Mann gewiß für die Fahrt bezahlen. Das müssen wir ihm sagen, verstehst Du. Ich werde schon alles besorgen, fürchte Dich nur nicht! Du bist ganz bleich. Gewiß hungert Dich. Wie gut, daß wir Geld haben! Dafür können wir uns kaufen, was wir wollen. Es wird herrlich sein. – – Nun sind wir da. Die Götter werden mit uns sein.“

Es währte einige Zeit, bis sie ans Ufer kamen. Der Nachen erhielt von allen Seiten Stöße, von allen Seiten wurde der junge Fährmann angeschrieen. Doch schließlich gewannen sie festen Boden unter den Füßen. Schwindlig von der langen Fahrt stieg Acca ans Land; Tullus faßte sie bei der Hand und schickte sich an, einen Schiffer zu suchen, dem er das Boot für die Insel übergeben konnte. Die Sache war bald erledigt. Der Mann, den Tullus deswegen ansprach, zeigte sich sofort geneigt; gleich am Abend wollte er aufbrechen. Mit stockender Stimme bat Acca den Boten, an die Eltern Grüße auszurichten und ihnen zu sagen, daß – – nein, nur grüßen sollte er Vater und Mutter, vielmals grüßen. Der Mann versprach es zu thun. Die Menschen waren doch viel freundlicher und hilfreicher, als die jungen Leute geglaubt hatten, und beide fühlten sich von froher Hoffnung beseelt.

Wie von einer Last befreit, nahmen sie von dem gefälligen Antiaten Abschied, sich Hand in Hand in das Gewühl der großen und prächtigen Stadt begebend; zunächst um bei anderen freundlichen Menschen ihren Hunger zu stillen. Es schmeckte prächtig! Sie genossen weißes Brot und heißen, mit Gewürzen bereiteten, mit Honig versüßten Wein. Auch für ihre Wanderschaft kauften sie ein. Neugestärkt fragten sie nach dem nächsten Wege nach Rom. Zuerst sollten sie die Via Severiana gehen, welche längs der Küste hinführte, und sodann die Straße nach Ardea einschlagen. Tullus wollte, ehe sie Antium verließen, die Tempel der höchsten Götter besuchen; aber Acca bat ihn inständigst, sogleich aufzubrechen, damit sie bald nach Rom und zu Vater Atinas gelangten. Seiner Gefährtin zu Liebe zügelte der Jüngling sein ungestümes Verlangen; doch waren sie bereits müde vom Schauen und Staunen, als sie sich noch in den Straßen Antiums befanden.

Schon seit Stunden wanderten sie und immer noch schien die Stadt kein Ende zu nehmen; denn immer noch schritten sie zwischen herrlichen Bauwerken dahin und hatten Mühe, den Wagen und Fußgängern auszuweichen. Aber als Tullus sich erkundigte, ob Antium noch nicht bald ein Ende nehme, hörten sie, daß sie die Stadt bereits gute fünf Miglien hinter sich hatten.

Sie sprachen unterwegs nicht viel. Von Zeit zu Zeit fragte Tullus seine Gefährtin mit leiser Stimme:

„Bist Du glücklich?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_046.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)