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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

bringen. Läßt aber der Druck bei genügend hoher Temperatur plötzlich nach, so findet auch sofort die Schmelzung statt. Diese seltsamen Beziehungen zwischen dem herrschenden Druck und dem Uebergange aus dem einen in den andern Aggregatzustand kann man vom flüssigen in den gasförmigen Zustand jederzeit auf das Leichteste beobachten, und da diese Anschauung für unsere nächsten Betrachtungen von sehr großer Wichtigkeit sind, so will ich hier einen Moment dabei verweilen.

Man nehme eine Flasche kohlensaures Wasser. Wir wissen, daß die Kohlensäure unter großem Drucke in das Wasser hineingepreßt wurde und, da die Flasche luftdicht verschlossen ist, unter diesem selben Drucke verharrt. Die Kohlensäure, das leichte Gas, ist vollkommen mit dem Wasser zusammen flüssig geworden. Lüftet man nun den Verschluß der Flasche auch nur ein wenig, so steigen sofort aus allen Theilen der Flüssigkeit Gasbläschen auf, und wenn man die Flasche plötzlich ganz öffnet, so strömt das Gas mit großer Vehemenz aus dem Halse empor und reißt eine Menge Flüssigkeit mit fort, welche wahrhaft vulkanartig aus dem Halse empor geschleudert wird. Jedermann hat diese Erscheinung als ein selbstverständliches Ding kennen gelernt. Läßt man nun das Selterswasser ausbrausen, so daß lange Zeit keine Blasen mehr aufsteigen, erhitzt es aber dann, so entweicht aufs Neue Kohlensäure aus dem Wasser. Das geschieht aber nicht, wenn man eine geschlossene Flasche erhitzt, weil sich der Druck in gleichem Maße steigert wie die Temperatur. Dies ist eine sehr wichtige Wahrnehmung, welche, unterstützt von der Thatsache, daß ein hoher Druck allein genügt, um alle früher für „permanent“ erklärten Gase (Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff) in Flüssigkeiten zu verwandeln, deutlich zeigt, wie offenbar eine fortschreitende Erhöhung des Druckes jeden beliebigen Körper durch alle drei Aggregatzustände zu führen vermag. Auch Flüssigkeiten wird man einmal in unseren physikalischen Laboratorien durch den Druck allein fest machen, zum Beispiel Eis aus Wasser bei einer Temperatur erzeugen, die um so höher über dem Nullpunkte liegt, als der angewandte Druck erhöht werden kann. So paradox das klingt, so würde sich doch solches Eis, könnten wir es überhaupt in dem zusammenpressenden Apparate berühren, warm, ja sogar heiß anfühlen. Allerdings wird es wohl noch sehr lange dauern, bis wir die hierzu erforderlichen mechanischen Hilfsmittel besitzen.

Genug! Wir haben gesehen, daß eine Verminderung des Druckes genügt, um Flüssigkeiten gasförmig und feste Körper flüssig zu machen. Auf dieser Thatsache beruht die ganze moderne Vulkantheorie, und die Vulkane wieder sind heute nicht mehr wie vordem die Erzeuger, sondern die Erzeugten der Erdbeben. Alles kehrt sich um gegen die früheren Anschauungen.

Die Erdbeben werden hervorgebracht einerseits durch den Kampf der zusammenziehenden Molekülarkraft, welche die Wärme-Ausstrahlung des Erdkörpers im Laufe der Jahrmillionen erzeugt, mit den inneren Kräften des Gesteins, welche seine Festigkeit bedingen, und andererseits durch den Kampf der allgemeinen Schwere mit der hinwegschleudernden Centrifugalkraft. Wir wissen, daß der Erdball mit mächtiger Energie um seine Achse schwingt und dadurch die Aufbauschung am Aequator, die „Abplattung“ des Planeten, entstehen läßt. Es ist nun streng mathematisch nachgewiesen, daß diese Abplattung bei einem sehr großen und nicht absolut festen Körper sich stets so groß erhalten muß, wie sie bei einem flüssigen sein würde. In der That findet man diese Bedingung bei der Erde und den übrigen Planeten erfüllt. Gleichzeitig folgt aber aus jener mathematischen Untersuchung, daß die Erde, wenn sie in ihrem Umschwung aufgehalten würde, ganz abgesehen von anderen Einwirkungen, sich schnell zur vollkommenen Kugel zusammenziehen würde. Die drei Meilen Erdreich, welche sich jetzt rings um den Aequator aufthürmen, müßten also mit fürchterlicher Gewalt nach den Polen hingedrängt werden und dabei offenbar die Erdoberfläche rings zersprengen, zerreißen, überwerfen, mächtige Gebirgszüge bilden, wo ein Hinderniß die vom Aequator nach den Polen hin wandernden Erdschollen aufhalten, aufstauen, nach oben empordrängen, knicken würde, wie man es im Innern der Gebirge an den Schichtungen als in der That geschehen deutlich erkennt.

Die Rotation der Erde nimmt aber in Wirklichkeit unzweifelhaft ab. Selbst während historischer Zeiten glauben die Astronomen eine Verlängerung des Tages konstatiren zu können. Jedenfalls aber wissen wir, daß aus dem Weltraume beständig Staub und Steine auf die Erde herabfallen, welche der letzteren Bewegung nothwendig hemmen. Nur die Quantität dieser Hemmung, nicht ihr Vorhandensein, ist noch zweifelhaft. Mit der Rotation nimmt also die Abplattung der Erde ab. Das Erdreich wandert in der That vom Aequator nach den Polen. Die geologischen Beobachtungen bestätigen es vollkommen. Dies ist die eine, horizontal wirkende Bewegung, welche Gebirge, wenn auch in sehr langsamem Tempo, zu bilden im Stande ist.

Die andere, und wahrscheinlich die stärkere, Bewegung ist nach unten gerichtet. Sie wird durch die Wärme-Ausstrahlung bewirkt, wodurch sich die Ausdehnung der Erde beständig vermindern muß. Das Erdreich will niedersinken. An einigen Stellen ist es nachgiebiger als an anderen. Hier sinkt es zuerst und bricht schließlich an den Linien durch, wo eben die Erde zufällig am wenigsten widerstandsfähig ist.

Dieses wird im Allgemeinen sehr langsam geschehen. Die Natur, der unzählige Millionen von Jahren zu Gebote stehen, hat durchaus keinen Grund, sich zu übereilen; sie weiß es gewiß besser als wir, daß bei der Uebereilung und bei überstürzten Revolutionen nie etwas Gutes herauskommt. Man hat deßhalb heute längst die „Katastrophentheorie“ bei Seite geworfen und ist überzeugt, daß alle die noch so ausgedehnten Veränderungen der Erdoberfläche und alle die grundverschiedenen Schöpfungsperioden der Erdgeschichte ganz allmählich in einander übergehend sich gestalteten. Die Gewalten der Erdschöpfung arbeiten noch beständig an dem ungeheuren Werke und die Erdbeben sind die Anzeichen der gebirgsbildenden Kraft. Deßhalb treten dieselben auch in jungen Gebirgen, wie den Alpen, an denen die Natur noch fortwährend arbeitet, in größerer Menge auf als in den uralten Bergresten, zu denen beispielsweise der Harz gehört. Das Erdreich rückt beständig von der Stelle; kein Fleckchen Erde ruht absolut. Ich selbst habe es mit beobachtet, wie der Hügel, auf welchem die Sternwarte von Neuenburg steht, zwischen Sommer und Winter in beständiger drehender Bewegung begriffen ist, und auf der Berliner Sternwarte hat man die überraschende Thatsache mit aller Sicherheit konstatirt, daß der Pfeiler, worauf das dortige Meridianinstrument ruht, sich seltsamerweise mit der Anzahl der beobachteten Sonnenflecke mehr oder weniger bewegt. Wenn nun solchen Bewegungen der Erdscholle Hindernisse entgegen treten, wodurch sich die bewegende Kraft mehr und mehr ansammelt, so begreifen wir, wie sie sich schließlich durch plötzliche Zuckungen Luft machen wird, sobald die erdbewegende Kraft größer geworden ist, als die hemmende war. Diese Zuckungen sind die Erdbeben, welche man deßhalb „tektonische“ nennt. Bei Weitem die größte Zahl der Erdbeben gehört offenbar dieser Kategorie an und hat deßhalb mit vulkanischen Erscheinungen nicht das Geringste zu thun.

Wo dagegen auf großen Bruchlinien gewaltige Erdschollen tiefer und tiefer gesunken sind, wie zum Beispiel längs der ganzen Westküste von Amerika, wo das Erdreich von der Höhe der Kordilleren bis in die Tiefe des Großen Oceans abgerutscht ist, da entstehen begreiflicherweise auch im Erdinnern leicht tiefe Spalten. Der Druck der überlagernden Gebirgsmassen vermindert sich, das unter demselben früher festgewesene Gestein schmilzt; die darin eingepreßten Gase entweichen. Ein Vulkan entsteht; die Selterswasserflasche hat uns gezeigt, wie das ganz natürlich zugeht. Wir begreifen nun auch, weßhalb sich die Vulkane immer längs der großen Gebirgszüge am Meere hin wie Perlenschnüre an einander reihen. Hier existiren eben die größten Bruchlinien, die tiefsten Spalten. Die Erdscholle sank hier am meisten herab und das Meer konnte hier bis zu den stehen bleibenden Gebirgsmauern vordringen. Das Meer selbst hat deßhalb, abermals im Widerspruche mit der alten Ansicht, mit der Vulkanbildung direkt gar Nichts zu thun; seine Nähe bei den Vulkanen ist nur eine Begleiterscheinung, einer gemeinsamen Ursache entspringend. Wo das Land flach zum Meere herabsteigt, wie an den atlantischen Küsten von Europa und Amerika, kommen deßhalb auch keine Vulkane vor.

Es muß auffallen, daß ich in diesem schnell skizzirten Bilde von den neuen Ansichten über die Erdbildung bis jetzt eines vermeintlichen Einflusses auf das Auftreten der Erdbeben gar keine Erwähnung that, welche gerade in gegenwärtiger Zeit wieder in Aller Munde ist. Ich meine die Falb’sche Idee von dem Einflusse des Mondes. Der Grund meines Schweigens hierüber ist einfach der, daß diese Ansicht, welche übrigens lange vor Falb der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_011.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2018)