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Blattes (1862, Nr. 15) geschildert worden. Jetzt wo er als 78jähriger Greis in der Nacht vom 2. auf 3. August für immer seine Augen geschlossen, erachten wir es für unsere Pflicht, noch einmal die Gestalt des Mannes unseren Lesern vor Augen zu führen und kurz auf das große Werk eines edlen Lebens hinzuweisen, welches so Vielen zum Trost gereichte und als leuchtendes Vorbild echter Menschenliebe hingestellt zu werden verdient.

Werner war geboren den 12. März 1809 als Sohn einer ausgezeichneten württembergischen Beamtenfamilie, streng und einfach, aber liebevoll erzogen, in der Klosterschule zu Maulbronn und im Stifte zu Tübingen als Theologe gebildet. Nachdem er in Straßburg die edeln Bestrebungen des berühmten Steinthaler Pfarrers J. F. Oberlin kennen gelernt, kam er im Jahre 1834 als Vikar nach Walddorf, einem mit zwei Filialen verbundenen kleinen Dorfe bei Tübingen. Ungeheuren Zulauf von nah und fern fand der junge Prediger, der, ein Reich der Liebe und Gerechtigkeit als Kern des Christenthums verkündend, bald in weiteren Kreisen bekannt und vielfach auch von auswärts zu Vorträgen aufgefordert wurde. Obwohl er von mancher Seite befehdet und sogar aus der Liste der Predigtamtskandidaten gestrichen wurde, unterließ er doch nicht, seine Grundsätze in die That zu übertragen, und gründete, neben anderen gemeinnützigen Einrichtungen, in seinen Gemeinden Strickschulen und Kleinkinderschulen, welche von dienstwilligen Jungfrauen des Orts besorgt wurden. Im Jahre 1837 schlossen sich hieran die Anfänge eines Erziehungshauses für arme und verwaiste Kinder, das 1840 bereits 10 Zöglinge hatte. In diesem Jahr verließ er den Kirchendienst, widmete sich von jetzt ab ausschließlich der immer mehr begehrten Reisepredigt, die sich nach und nach über einen großen Theil von Württemberg und bis in die Schweiz ausdehnte, und siedelte mit seiner Anstalt nach Reutlingen über, zuerst in eine Miethwohnung, später in ein eigenes Haus. Angeregt durch sein Wort und Beispiel, gesellte sich hier zu ihm in treuer und lohnfreier Mitarbeit eine wachsende Zahl von Jungfrauen, deren eine er sich im Jahre 1841 zur Gattin erkor, später auch junge Männer. Man betrieb, theils als Erziehungsmittel, theils zum Broterwerb, Landwirthschaft und weibliche Industrie. Das Bedürfniß jedoch, die Kinder auch noch nach der Konfirmation einige Jahre zu behalten, ferner die mehr und mehr auftauchende sociale Frage, endlich die in den 1850er Jahren herrschende allgemeine Noth, welche nicht bloß für Kinder, sondern auch für hilflose Erwachsene jeder Art Versorgung in der Werner’schen Anstalt suchte, trieb den unermüdlichen Mann zu neuen Unternehmungen.

Die Reutlinger Anstalt wurde erweitert durch Pacht und Ankauf neuer Grundstücke, durch Errichtung von gewerblichen Werkstätten, durch den Ankauf und Betrieb einer Papierfabrik, welche jedoch später nach Dettingen verlegt und durch eine Maschinenfabrik ersetzt wurde, endlich in den letzten Jahren durch eine Möbelfabrik. Man gründete unter dem Namen „Zum Bruderhaus“, der aus geschäftlichen Gründen jeder Fabrik beigelegt wurde, in verschiedenen Gegenden des Landes, vorzüglich auf dem Schwarzwald, eine Reihe von Zweiganstalten mit gewerblichem oder landwirthschaftlichem Betrieb, welche unter der Oberaufsicht Vater Werner’s von früheren Angehörigen der Reutlinger Mutteranstalt geleitet wurden. Die jüngste bauliche Erweiterung erfuhr in den letzten Jahren die Reutlinger Anstalt durch Errichtung eines „Kinderhauses“, das heißt eines besonderen Gebäudes für Wohnungen und Schulräume der Kinder, sowie des Aufsichts- und Lehrpersonals, und durch Erbauung eines Krankenasyls. Alle diese Anstalten beherbergen zur Zeit gegen 1000 Personen (wovon 700 aus Württemberg), nämlich 160 „Hausgenossen“ (Mitglieder), und mehr als 800 Pfleglinge, wovon 200 Kinder und 120 Lehrlinge. Außerdem beschäftigen die drei Fabriken 500 Arbeiter, welche außerhalb der Anstalten wohnen. Der Werth sämmtlicher[WS 1] Niederlassungen beläuft sich auf etwa 1½ bis 2 Millionen Mark, worauf noch etwa ein Drittel Schulden haften.

Ein dem ehrwürdigen Greise befreundeter Künstler (R. Heck in Stuttgart) hat es unternommen, bei dessen letztem Geburtstag den Betsaal des Kinderhauses mit einem großen Oelgemälde (Figuren in Lebensgröße) zu schmücken und dem Gründer all dieser Anstalten ein würdiges Denkmal zu stiften, von dem wir auf Seite 561 eine kleine Skizze geben.

Das rührende Bild erklärt sich von selbst. In der Mitte steht „Vater Werner“, der hochgewachsene Greis mit den freundlich ernsten Zügen, auf dem einen Arme ein dürftig gekleidetes Kind, das sich zutraulich an ihn schmiegt, während die andere Hand tröstend einem hilfesuchenden alten Mann auf der Schulter ruht. Neben diesem steht ein frischer aufgeweckter Junge, der mit seinem Spaten eben an die Arbeit geht, und auf der andern Seite unter den Bäumen des Gartens befindet sich, geleitet von einer freundlichen Lehrerin, eine weibliche Arbeitsschule. Den Hintergrund bilden die Anstalts- und Fabrikgebäude, in weiterer Ferne die Stadt Reutlingen mit ihrem schönen gothischen Marienthurm und die Achalm mit dem Höhenzug der schwäbischen Alb.

Zum Alpensport. Ausführlich haben die Zeitungen über das Touristenunglück an der Jungfrau berichtet: wieder sind sechs Menschen bei dieser waghalsigen Belustigung zu Grunde gegangen, darunter Männer, auf welche die Wissenschaft zum Theil schöne Hoffnungen setzen durfte. Gewiß ist es schön, die Natur aufzusuchen in der erhabenen Einsamkeit der Schneefelder und Gletscher und auf den weitblickenden Alpenfirnen, und der muthige Forscher, der ihr dort irgend ein neues Geheimniß abzulauschen sucht, wird bei seiner Wanderung in jene unwirthbaren Regionen der Schnee- und Eiszone des Hochgebirges dieselbe Anerkennung finden, wie der Reisende in fernen Zonen und auf fernen Meeren, der mit den Gefahren des Klimas, der Thier- und Menschenwelt kämpft, den hier die Tropensonne tödlichem Fieber preisgiebt, dort das Eis des Pols in winterlicher Haft hält; aber alle diese muthigen Jünger der Wissenschaft haben stets fest das Ziel im Auge, freuen sich, wenn ihnen das zu Gute kommt, was ihre Vorgänger errungen haben, und wenn sie neue, noch nicht gebahnte Straßen einschlagen, so geschieht es nur im Hinblick auf mögliche neue Entdeckungen, mit denen die Wissenschaft und der Völkerverkehr bereichert werden soll.

Die Eigenart des Alpensports besteht aber gerade darin, nur um der Gefahr willen und um des zweifelhaften Ruhmes willen, diese überwunden zu haben, neue, bisher für unwegsam gehaltene Steig- und Kletterpartien aufzusuchen, die zu den Alpenspitzen führen; die Hilfe der Führer wird dabei oft verschmäht, um ganz ungeschmälert den Ruhm des selbständigen Alpenkenners und Gefahr verachtenden Helden genießen zu können; dann wieder werden solche Führer, die gegen ihre bessere Ueberzeugung um des Lohnes willen ein halsbrechendes Wagstück mitmachen, oft dem Tode geweiht und ihre Hinterlassenen dem Elend preisgegeben. Wie oft sind sie verunglückt mit den Bergsteigern zugleich, die sie begleiteten, oder bei den Rettungsversuchen, die sie unternahmen!

Der Zauber der Alpenwelt wird stets die Muthigen locken, auf beschwerlichem, oft sogar auf gefährlichem Wege dorthin emporzusteigen, wo er mit seiner ganzen Herrschaft das Gemüth gefangen nimmt, und es giebt Gefahren, welche die Elemente drohen und welche auch die Kenntniß des sichersten Weges nicht zu beseitigen vermag. Wer aber mit Absicht den unsichern, bisher mit Recht für unmöglich gehaltenen Weg wählt, nur um durch diese Parforcetour des Alpensports Bewunderung zu erregen, der fällt als ein Opfer der eigenen Eitelkeit, des menschlichen Größenwahns, der gerade gegenüber der erhabenen Größe der Natur „in seines Nichts durchbohrendem Gefühle“ verstummen sollte. Wie es scheint, trifft das bei jenen Wanderern auf die Jungfrau nicht ganz zu: sie sind wohl in Folge eines elementarischen Ereignisses, eines Schneesturmes, zu Grunde gegangen.

Der Lichthof des königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin. (Mit Illustration S. 549.) Zu den interessantesten Sehenswürdigkeiten Berlins gehört das im vorigen Jahre eröffnete großartige Museum für Völkerkunde. Unsere Abbildung zeigt uns eine der Rotunden mit dem Blick auf den prachtvollen Lichthof, welcher in der Mitte des Gebäudes gelegen ist. Im Hintergrunde erhebt sich das mehr als zehn Meter hohe östliche Thor der großen Tope (Dom) von Sântschi in Central-Indien. Das riesenhafte Sandsteinmonument stammt aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung und besteht aus zwei von drei Querbalken durchschnittenen massiven, vierkantigen Pfeilern; alle Flächen sind mit wohlerhaltenen Reliefs bedeckt; Scenen aus dem häuslichen Leben, Religionskultus etc. entrollen vor unsern Augen das lebensvolle Bild einer zweitausendjährigen Kultur und versetzen uns in die Gedankenwelt längst untergegangener Völker. Zu beiden Seiten des Thores zeigt unsere Abbildung zwei Holzstatuen Buddhas aus Rangun und Barma, in der Mitte die Figur eines als Gott dargestellten altsiamesischen Königs und Bekämpfers des Buddhismus, gefunden in dem Ruinenfeld von Kampengpet. Der zweitausend Jahre alte Gott-König darf als ein dem deutschen Volke gewidmeter Freundschaftsbeweis des regierenden Herrschers von Siam gelten, der einen Abguß des Fundes vor kurzem an das Museum schickte. Jenes eigenthümliche säulenförmige Bildwerk an der linken Seite ist ein Hauspfeiler der Haida-Indianer; der über zehn Meter hohe Stamm enthält geschnitzte Wappenthiere, welche die Genealogie des Besitzers darstellen, also einen Stammbaum. Elf buntbemalte, über einander gethürmte, fabelhafte Fratzen bedeuten eben so viel Ahnen, auf welche der jüngste Sproß gewiß mit Ehrfurcht und Stolz geblickt hat. Ein indianisches Zelt, amerikanische und australische Boote, nordische Schlitten etc. vervollständigen die Ausstattung des Raumes. Der Säulengang rechts führt uns in das Schliemann-Museum. Durch den Säulengang links gelangen wir in die vorgeschichtlichen Alterthümer der Mark Brandenburg; breite Treppen zu beiden Seiten führen zu den ethnologischen Schätzen aus Afrika, Amerika, Oceanien und Asien.

Die Expedition Stanley’s. Vielleicht wird, wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, schon festgestellt sein, ob sich die über St. Thomas vermittelte Nachricht vom Tode des kühnen Entdeckers bestätigt hat oder nicht; jedenfalls hat Stanley diesmal bei seinem kühnen Befreiungszug mit mehr Schwierigkeiten und Hindernissen zu kämpfen, als bei seiner ersten großen Wanderung, auf welcher ihm der Gedanke des Kongostaates aufgegangen, dessen blaue Flagge mit dem goldenen Stern über den Fluthen des mächtigen Stromes weht.

Allen Nachrichten zufolge herrscht bei den Eingeborenen im Innern Afrikas bittere Noth in Folge voll Mißernten und sie sind vorzugsweise auf die Erträgnisse der Jagd angewiesen. Es ist daher nicht so unglaublich, daß die Neger sich gegen die Fremden zur Wehr setzten, welche in ihre Dörfer einbrachen, um den Proviant für ihren Zug, die nöthige „Negerhirse“ durch Tauschhandel oder mit Gewalt sich zu erringen. Möglich, daß in einem solchen Kampfe Stanley dem Ansturm der schwarzen Männer erlegen ist. Denn für beide Parteien gilt es hier einen Kampf ums Dasein.

Stanley hat seinen Zug veranstaltet, um Emin Bey zu befreien, ein durchaus ritterliches Unternehmen des muthigen Amerikaners, und wenn er bei diesem Wagniß seinen Tod gefunden haben sollte, so wäre dies nicht nur der ruhmvolle Tod des kühnen Entdeckers, der für die Wissenschaft in fernen Zonen stirbt; es wäre der Tod eines tapferen Kriegsmannes, der einen auf einem verlorenen Posten befindlichen Waffengenossen um jeden Preis zu erretten sucht. Ein solcher Opfertod ist doppelten Ruhmes werth.

Was die Befürchtungen wegen Stanley’s Expedition überhaupt rechtfertigt, das ist die Gegnerschaft der mächtigen arabischen Großhändler, denen der Kongostaat eine ihre Interessen in jeder Hinsicht gefährdende Macht ist und welche diese Expeditionen der Europäer im innern Afrika mit scheelem Auge ansehen. Sie machen gute Miene zum bösen Spiel, solange jene bewaffneten Reisezüge in bedrohlicher Nähe sind; doch kaum sind diese weiter gegangen, so spannen sie wieder ein Netz heimtückischer Intrigen um den Zug der Fremden, soweit ihre Macht bei den schwarzen Eingeborenen reicht. So erfährt man, daß Stanley am Mittellaufe des Kongo den dort allmächtigen Händlerkönig Tippo Tib zu seinem Beamten gemacht, mit anderen Worten, seine Gunst dadurch zu erwerben gesucht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sämmlicher
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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_563.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)