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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Das erste Jahr im neuen Haushalt.
Eine Geschichte in Briefen. 0 Von R. Artaria.
VIII.
24. Februar. 

Meine Marie!

Neulich, als ich Dir von der halb verunglückten Gesellschaft schrieb, war mir noch recht zerknirscht zu Muthe, und es tröstete mich gar nicht, als Hugo mir sagte, auch das stehe bereits im Faust: „Das Unzulängliche, hier wird’s Ereigniß!“ Er hat kein Verständniß für solche innere Schmerzen, deßhalb sagte ich auch nichts mehr, sondern ging, ehe noch Dein lieber Trostbrief kam, zu der guten Mama Baer und schüttete ihr mein Herz aus. Sie war so lieb und freundlich, sagte, das sei vielen Andern auch schon passirt und habe ja gar nichts zu sagen, ich erklärte aber: „Nein, dabei beruhige ich mich nicht. Sie müssen mir sagen, wo der Fehler sitzt, warum es bei mir nicht klappen will, wenn ich mir auch noch so große Mühe gebe!“

„Weil Sie nicht praktisch genug erzogen sind, liebes Kind! Uebung macht den Meister in allen Dingen. Sie würden wohl leichter als jetzt, wo es theures Lehrgeld kostet, dies Alles zu Hause gelernt haben, wenn Ihre Mama z. B. Sie dann und wann einen Gesellschaftsabend hätte allein besorgen lassen. Solche Veranstaltungen wären für junge Töchter, was die Manövertage für die Soldaten; man könnte sie auch von Zeit zu Zeit mit unvorhergesehenem Besuch überraschen, damit sie schnell überlegen und im beschleunigten Tempo ausführen lernten. Aber, obgleich dies in jeder Haushaltung ganz leicht gemacht werden könnte, ist es nicht gebräuchlich, das weiß ich wohl.“

„Nein, und bei meiner Mama wäre es sogar ganz undenkbar, sie muß Alles immer selbst thun.“

„Und erzieht deßhalb unpraktische Töchter. Aber fassen Sie nur Muth, einem ernstlichen Willen ist nichts unmöglich. Wenn Sie jeden Morgen zwei Stunden mit Aufräumen, Nachsehen und Anordnen zubringen, wenn Sie Ihrer vortrefflichen Rike keine Unordnung mehr durchgehen lassen und sie gewöhnen, für Sie Beide genau so zu serviren etc., als wenn Gäste anwesend wären …“

„Dann kündigt sie mir auf.“

„Das müssen Sie abwarten.“

„O, ich sage Ihnen, ich setze jetzt meinen höchsten Ehrgeiz darein, eine so pedantische, kleinliche, pünktliche Hausfrau zu werden, wie es die andern hier sind –“

„Nun schütten wir gleich wieder das Kind mit dem Bade aus. Kleinlich?! Warum denn? Sie sollen nur lernen, die Kleinigkeiten besser bedenken; denn sie sind es, die das Leben eigentlich ausmachen, sie thürmen sich, wenn man sie außer Acht läßt, als wachsende Hindernisse auf den Weg, während sie andernfalls, klug bedacht und geordnet, als erfreulicher Schmuck zu beiden Seiten dieses Weges stehen. Lassen Sie sich von einer alten und vielerfahrenen Frau sagen: unsere Hauptaufgabe ist, das Kleine und Kleinste täglich gewissenhaft zu besorgen und dabei den Sinn für das Große, den richtigen Maßstab für Groß und Klein niemals zu verlieren. Nur die Mischung dieser beiden Fähigkeiten macht die vollkommene Frau. Hätte man nur die Wahl zwischen der philisterhaft Pünktlichen und der geistig begabten Unordentlichen, so müßte man unbedingt die Erstere nehmen, die Mann und Kindern eine befriedigende Existenz zu sichern versteht. Aber wie viel schöne, reiche Lebensgüter gingen verloren, wenn es nur solche Frauen gäbe! Aus wie tiefen Quellen fließt das Glück eines Hauses, wo die Frau als Seele und Leiterin des Ganzen klug und besonnen jedes Ding zur rechten Zeit thut und thun läßt, den Arbeitsmorgen gewissenhaft anwendet, auf daß es dann am Nachmittag und Abend dem Manne, den Kindern und Freunden wohl und behaglich sein könne! Wenn dieselbe Frau in innerer geistiger Arbeit so weit gekommen ist, nicht nur blind die Ansichten ihres Mannes nachzusprechen, sondern die Gegenstände selbst beurtheilen zu können, wenn sie, statt pfiffig seine Schwächen zu benutzen, bemüht ist, mit liebevoller Hand ihn sittlich höher zu heben, wenn sie ihm den edlen Ehrgeiz nach bestmöglichem Wirken und Schaffen erregt, statt, wie so oft, den unedlen nach Titel und Orden, dann, glaube ich, giebt es auf der Welt kein Amt, das befriedigender und beglückender wäre als solch ein Frauenberuf. Lassen Sie Frau von Kolotschine nur über die deutschen Frauen spotten – ich sah neulich, daß Sie empfindlich wurden, das muß man nie in solchem Fall, liebes Kind! – und thun Sie das Ihre, damit Eine mehr in Deutschland ist, von der man sagen kann: sie ist praktisch wie eine Französin, gebildet wie eine Engländerin, patriotisch wie eine Russin und hat dazu ein warmes deutsches Gemüth! Es giebt deren bereits viel mehr, als die geistreiche Dame meint, aber allerdings, eine gehörige Anzahl ist noch weit von diesem Ziel entfernt.“

„O liebste Mama Baer,“ sagte ich, indem ich ihre gute alte Hand küßte, „wenn ich Sie so reden höre, da wird mir gleich so furchtbar ideal zu Muthe, daß ich kopfüber rennen möchte, um das Ziel so geschwind wie möglich zu erreichen.“

„Nur vergessen Sie nicht, mein Töchterchen, daß der Weg dazu über den Küchengarten, die Wäscheküche, Vorrathskammer und den Feuerherd geht!“ lachte die liebe alte Frau und gab mir einen Kuß auf die Wange. Dann tranken wir mit einander Thee, und ich kehrte ganz glücklich nach Hause zurück.

„Hugo!" rief ich, „jetzt paß einmal auf, was für eine ideale Hausfrau ich werde. Ueber Jahr und Tag bist Du der beneidenswertheste Mann im deutschen Reich!“

„Nun, nun,“ meinte er, „vor der Hand kann ich es auch so noch aushalten. Aber was ist denn los, Emmy?“

Das sagte ich ihm natürlich nicht. Aber ich fing ordentlich ein neues Leben an, räumte meine sämmtlichen Schiebladen und Kästen auf, machte Streifzüge in Rike’s Schmutzwinkel, fand zu meinem Entsetzen, wie viel bereits vernachlässigt worden war, und begann darauf eine gründliche Neu-Ordnung der Dinge. Allerdings nicht ohne Palastrevolution. Rike schrie gerade hinaus über solche Chikanen und drohte mit Fortgehen. Ich blieb eiskalt und erwiederte nur: „Wenn Sie dieses Wort wiederholen, sind Sie entlassen!“

Nun, sie wiederholte es nicht.

Aber wir leben seitdem in stillem Kriegszustand, sie sucht mich anrennen zu lassen, und ich verwende alle meine Geisteskräfte darauf, mich vor diesem Schicksal zu hüten. Vier Wochen ging denn auch Alles fabelhaft glatt und gut, ich habe schweigend eine Menge von Dingen gelernt und geübt, an die ich früher nicht dachte, und bin wirklich jetzt schon eine ganz gewiegte Hausfrau. Aber einmal trifft doch wieder Unglück ein, und so ging es mir am Fastnachtssonntag. Allerdings hat dort ein Jeder seine Dummheit frei und wir haben die meine denn auch in einem großen Karnevalsgelächter begraben.

„Backe nur tüchtig Fastnachtsküchelchen,“ hatte Hugo vorher gesagt, „ich esse sie leidenschaftlich gern, und es schadet gar nicht, wenn auch für den andern Tag einige übrig bleiben.“

Na, das sollte denn natürlich auch sein, ich wollte ihm aber außer den gewöhnlichen noch eine Anzahl gefüllter Berliner Pfannkuchen als besondere Ueberraschung bereiten. In meinem Kochbuch stand: „Nimm drei Pfund feines Mehl –“ ich dachte mir: du nimmst lieber vier, es kann nicht schaden, und ließ also Rike den Teig machen. Als ich gegen elf in die Küche kam, quoll eine weiche Masse über den Rand der größten Blechschüssel, daneben stand noch eine andere, bis oben hin voll. Nun, dachte ich mir, das reicht gewiß! Als ich aber eine halbe Stunde später wieder nachsah, wurde mir die Sache bedenklich. Rike stand am Nudelbrett und stach mit Feuereifer aus; Reihen von Küchelchen lagen vor ihr auf dem Tisch und immer neue gingen unter ihren Händen hervor. Das Schneidebrett, das Hackbrett, das Spätzlebrett, Alles saß voll Berliner Pfannkuchen und unermüdlich rollte sie ihren Teig, stach aus und füllte. Das erste, zweite, dritte Glas mit Marmelade ging zu Ende, ich sah eine Zeit lang zu, dann sagte ich zaghaft: „Es scheinen mir doch gar zu viele zu sein!“

„Ach was,“ erwiederte Rike, „beim Wirth, wo ich war, haben wir immer gerad so viel gemacht.“

Als sie den hundertsten Pfannkuchen füllte, erfaßte mich eine völlige Niedergeschlagenheit; sie stach unbekümmert weiter aus. Zuletzt saßen auf allen Küchenmöbeln bis zur Decke hinauf Fastnachtsküchelchen und „gingen“. Es würde mich nicht gewundert haben, zu oberst auf dem Pfarrthurm das letzte zu erblicken.

Nun, wie das Machen kein Ende genommen, so nahm denn auch das Backen keines. Die Pfanne strudelte über dem Feuer, der erste Schmalztopf wurde leer, Rike nahm den zweiten in Angriff, mein theuer bezahltes, gutes Schmalz, das noch zwei Monate reichen sollte! Als nun auch dieser den Boden zeigte, da wandelte mich eine Schwäche an und, Marie, ich setzte mich hin und weinte! Aber das half Nichts, die Pfannkuchen wuchsen unaufhaltsam weiter; ich hatte das Gefühl, sie würden mir nachlaufen, wenn ich aus der Küche ginge!

Plötzlich aber besann ich mich in meiner Pein auf Mama Baer’s Worte von dem Großen und dem Kleinen, und ich fühlte, dies sei eine Gelegenheit, mich stark zu zeigen. Hinter Rike’s breitem Rücken trocknete ich meine Thränen, dann setzte ich eine Platte von Pfannkuchen bei Seite: „Die tragen Sie später zu meiner Schwiegermutter, ich habe etwas mehr machen lassen, um ihr davon schicken zu können.“ Eine zweite kam auf den Tisch, sie wurden von Hugo ausgezeichnet gefunden, aber mehr als acht konnte er leider nicht essen und so blieb immer noch eine entsetzliche Menge in der Speisekammer, Stoff genug für vier Tage, selbst wenn wir uns ausschließlich von Pfannkuchen nähren wollten. Ich hatte gute Lust, es zu machen wie der Mann im Evangelium und auf die Straße zu senden, um Gäste zu laden! Ich that es auch, und über unsern Pfannkuchen-Abend werde ich Dir ein andermal berichten.

Aschermittwoch aber, nach zweitägigem Essen, erklärte Hugo, er könne nun keine Pfannkuchen mehr sehen noch riechen! Ich schickte den immer noch vorhandenen Rest in die nächste Schule, wo sie einen freudigen Absatz fanden. Nimm Dir ein Exempel an dieser Tragödie und mache es künftig besser als

Deine Emmy. 




Blätter und Blüthen.

„Vater Werner“ †. (Mit Illustration S. 561.) „Vater Werner todt!“ Von Reutlingen aus verbreitete sich diese schmerzliche Kunde, welche namentlich im Schwabenlande einen lebhaften Widerhall fand, denn dort weiß man es am besten, welch ein edles Herz aufgehört hat zu schlagen; dort weiß man aus eigener Erfahrung, daß Hunderte, ja Tausende Unglücklicher einen wirklichen Helfer in der Noth verloren haben. Aber auch den Lesern der „Gartenlaube“ ist der Name des Reisepredigers Gustav Werner, des ehrwürdigen Menschenfreundes und Liebesapostels, nicht fremd. Seine rastlose Wirksamkeit auf dem Gebiete der Fürsorge für die Armen ist schon in einem früheren Jahrgang dieses

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_562.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2023)