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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

um die Leuchte des „Adlergrund“ von anderen in der Nähe befindlichen Feuersignalen zu unterscheiden, hat man dafür das sogenannte „Blinkfeuer“ gewählt. Die Laterne befindet sich in fortwährend kreisender Bewegung um den Mast, welche durch ein sehr starkes Uhrwerk im Schiffsraum hervorgerufen wird. Da nun die Reflektoren der Lampen nicht parallel zu der cylinderförmigen Laternenscheibe stehen, sondern einen Winkel mit derselben bilden, verdunkeln sie bei der Drehung zeitweilig das Licht, welches sie sonst verstärken, und es entsteht dadurch jedesmal eine Dunkelpause von 20 Sekunden, nach welcher dann ein zweimaliges, schnell auf einander folgendes Aufblinken des Lichtes von je 2 Sekunden Dauer folgt.

Bei nebligem Wetter läßt bei Tag und Nacht eine Sirene ihre weithin gellende Stimme hören. Alle drei Minuten warnt je ein hoher und ein tiefer Ton des von Dampfkraft geblasenen Rieseninstrumentes, dessen Schall in unmittelbarer Nähe wahrhaft infernalisch wirkt, die vorüberfahrenden Schiffe. Ist die Sirene oder ihre Dampfmaschine schadhaft, so tritt während der Einschaltung der Reservesirene, beziehungsweise Reservemaschine, welche Manipulation immerhin einige Zeit in Anspruch nimmt, ein anderes akustisches Signal in Thätigkeit. Aus zwei auf dem Achterdeck des Schiffes befindlichen Geschützen erfolgt dann alle fünfzehn Minuten ein Doppelschuß; dazwischen wird von drei zu drei Minuten mit der Schiffsglocke geläutet.

So ist unter allen Umständen Gelegenheit gegeben, vorüberziehende Schiffe vor den Gefahren des Riffes zu warnen.

Zwölf Mann Besatzung befinden sich auf dem „Adlergrund“: ein Schiffsführer, ein Steuermann, ein Maschinist und neun Matrosen.

Ihr Dienst ist anstrengend und das Leben auf dem weltfernen Feuerschiff einförmig. Wird es Abend, dann gilt es zunächst, den schweren Leuchtapparat in die Höhe zu winden, welcher Tags über auf Deck in einem Gehäuse steht. Ist die See ruhig, so thut das Uhrwerk seine Schuldigkeit und dreht die Laterne. Aber wenn Poseidon zürnt, dann kann es wohl vorkommen, daß bei den Schwankungen des Schiffes die mechanische Kraft ihren Dienst versagt, und dann muß die Laterne von Menschenhand gedreht werden. Das Uhrwerk läuft jedesmal in einer halben Stunde ab und muß alsdann von dem wachehabenden Matrosen, den ein Glockenschlag vorher benachrichtigt, wieder aufgezogen werden.

Am Tage hat die Mannschaft mit der Instandhaltung des Schiffes ebenfalls genug zu thun.

„Adlergrund“ ist jedoch nicht bloß Signalstation. Das Schiff ist auch bereit zur Aufnahme und Verpflegung von etwaigen Schiffbrüchigen. Ferner nimmt der Schiffsführer täglich Peilungen und Strombeobachtungen vor, deren Ergebnisse von Zeit zu Zeit durch Vermittelung der Marinebehörde der deutschen Seewarte in Hamburg mitgetheilt werden, so daß wir unser Feuerschiff als ein zwar kleines, aber nicht unwichtiges Glied des vaterländischen Seewesens zu betrachten haben.

Zu den Unannehmlichkeiten des Aufenthaltes auf dem „Adlergrund“ gehört auch der Umstand, daß die Besatzung nur in langen Zwischenpausen mit dem Festlande in Verkehr tritt. Denn es vergehen jedesmal vier Wochen, bis wieder das Postschiff der Station, ein Segelkutter aus Swinemünde, eintrifft, neuen Brot- und Kohlenvorrath, sowie Briefe und Zeitungen aus der Heimath bringend. Swinemünde, welches gegen vierzehn Meilen vom „Adlergrund“ entfernt ist, dient dem Feuerschiffe auch als Winterhafen, den es jedoch in milden Wintern oft nur auf Wochen bezieht.

Natürlich ist es, daß dieselben Mannschaften nicht das ganze Jahr hindurch hier Dienst leisten können. Sie werden zeitweilig von Reserveleuten abgelöst, so daß sie alljährlich einen Urlaub von zwei bis drei Monaten im Kreise der Ihrigen genießen können.

Ehre und Anerkennung den Wackeren, die sich dort auf wogender See dem Dienste der Menschheit gewidmet haben! Georg Köhler.     


Blätter und Blüthen.

Ein geschichtliches Gemälde von Ernst Wichert. Auf einer Leinwand von größten Dimensionen hat diesmal der Königsberger Dichter Ernst Wichert ein Geschichtsbild aus der Vergangenheit der Ostseeprovinzen ausgeführt, welches eben so von der regen Phantasie und geschickten Hand dieses Schriftstellers, wie von seinen eingehenden historischen Studien Zeugniß ablegt. Der Roman führt den Titel „Der große Kurfürst in Preußen“ und besteht aus drei Abtheilungen, von denen die zweite und dritte je zwei Bände haben (Leipzig, Karl Reißner). Ein so umfangreiches Werk setzt eine gewisse Ausdauer seitens des Lesers voraus, und es bedarf nicht unbedeutender schriftstellerischer Vorzüge, um einen an leichtere Lektüre gewöhnten Geschmack an ein so bändereiches Werk zu fesseln.

Die Handlung des Romans spielt in jener Zeit, in welcher der große Kurfürst die gegen seine Souverainetät rebellirenden Städte und den sich in trotzigem Selbstgefühl auflehnenden Adel der Provinz unter seinen eisernen Willen beugte. Die Städte und der Adel kokettirten mit der polnischen Oberlehnshoheit und wollten einen großen Theil ihrer alten Vorrechte wahren. Sollen wir nun für den geschichtlichen Helden des Gemäldes, den Kurfürsten, der gewaltsam den Widerstand der Städte brach, Sympathie empfinden, so muß er uns als ein Vorkämpfer des Fortschrittes erscheinen, welcher zum Besten des Gemeinwesens und des ganzen Volkes in verrottete Zustände das Licht eines neuen Geistes trägt und das geschriebene Recht zu Boden tritt zu Gunsten eines neuen, welches dem Staate zum Heil gereicht.

Ernst Wichert hat dies wohl eingesehen – und die erste Abtheilung seines Werkes: „Konrad Born“, schildert uns mit lebhaften Farben die Willkür eines brutalen Junkerregiments, gegen welches kein Recht zu finden ist. Die Verführung der Töchter des Landes gehört zum höheren Sport; der alte Wildhüter wird im Wortwechsel von einem Junker getödtet; seine Stieftochter Gabriele flüchtet aus dem Vaterhause und geräth in das Schloß der Herren von Kalckstein, in welchem zerrüttete Zustände herrschen. Diese Kämpfer für die Rechte des Adels sind brutale Feudalherren, die allen Gelüsten die Zügel schießen lassen. Im Verlaufe des Romans wird uns die innere Zerrüttung der Familie noch näher geschildert: die Schwestern und Schwägerinnen beeilen sich, den bei der Erbschaft begünstigten Bruder hochverrätherischer Aeußerungen und Bestrebungen anzuklagen, Anklagen, die ihn zuletzt auf das Schaffot führen.

Der Held der ersten Abtheilung, Konrad Born, ist eine frei vom Dichter erfundene Gestalt, welche mit ihren persönlichen Abenteuern, die oft in die geschichtliche Haupthandlung eingreifen, auch in den späteren Abschnitten des Werkes die Theilnahme fesselt. Die zweite Abtheilung trägt den Titel „Schöppenmeister Rohde“, und ihr Held ist der unerschrockene Königsberger Bürger, der gegen die Souveränetät des Kurfürsten protestirt, so lange sie nicht in den Urkunden der Städte anerkannt ist, der gegen die neue eiserne Gewalt bei der polnischen Oberhoheit Schutz sucht, der vom Kurfürsten verhaftet, vors Gericht geschleppt und zu lebenslänglicher Festungshaft verurtheilt wird. Die dritte Abtheilung behandelt den Hochverrathsproceß gegen Christian Ludwig von Kalckstein, der zum Tode verurtheilt wird und das Schaffot besteigen muß.

Und neben diesen durch ihre geschichtliche Bedeutung und ihr tragisches Schicksal uns nahegerückten Männern erhebt sich auf einem mit dem Relief großer Thaten geschmückten Piedestal die Gestalt des Kurfürsten selbst, dessen Herrschertugenden, mögen sie auch hier und dort in tyrannischen Eigensinn ausarten, doch unsere Bewunderung erregen. Da mag Konrad Born seine tüchtigen militärischen Dienste, seine Betheiligung an der Schlacht bei Warschau, seine Kämpfe mit den Tataren, die Errettung des Edelfräuleins Blanche, die sich ihm mit rücksichtsloser Hingebung in die Arme wirft, obschon er auf ihre Hand verzichten muß, seine Liebe zu Barbara, des Schöppenmeisters Tochter, die er auch als Gattin heimführt, in die Wagschale werfen: Alles, was sich in dieser Welt der Abenteuer zuträgt, die an und für sich bei der lebendigen Darstellung Wichert’s uns in Spannung halten, vermag doch kaum ein Gleichgewicht herzustellen mit dem Theile des Werkes, welcher der geschichtlichen Chronik angehört, und um so weniger, als gerade die Processe gegen die beiden Hochverräther mit einer aus den Akten schöpfenden Treue, mit größter Ausführlichkeit und mit der Vorliebe des tüchtigen Juristen für alle Vorgänge beim Proceßverfahren früherer Zeiten dargestellt werden.

Von den Charakteren fesselt außer Konrad Born und den Titelhelden der zwei letzten Abtheilungen besonders die leidenschaftliche Blanche mit ihren herausfordernden Abenteuern und die nicht minder kühn ins Leben sich stürzende Gabriele, die edel gehaltene Barbara, der gelehrte Beamte Sandius und seine ernste Tochter Livia, die Helden der Schuhmacherwerkstatt, unter denen der weisheitsvolle Altgeselle Nathanael den ersten Platz behauptet. Die polnischen Hof- und Adelsscenen haben glänzendes Kolorit und sind in eine ironische Beleuchtung gerückt.

Der Ernst Wichert’sche Roman, nach beiden Seiten hin als Geschichtschronik und als Phantasieschöpfung, wird die Leser fesseln, ohne Hilfe jener Erregungsmittel, die eine krampfhafte Spannung hervorrufen, besonders auch durch seine gleichmäßig ruhige und klare Darstellungsweise, welche an geeigneten Stellen der Wärme nicht entbehrt und sich vor Allem von jeder altfränkischen Manierirtheit freihält. †      

Das Weir Mitchel’sche Kurverfahren, dessen wir in dem Artikel „Neurasthenie“ in Nr. 1 der „Gartenlaube“ 1887 erwähnt haben und über dessen Wesenheit uns mehrfache Anfragen aus dem Leserkreise dieses Blattes zugekommen sind, ist eine Art Fütterungskur, welche den Zweck verfolgt, in verhältnißmäßig kurzer Zeit, innerhalb weniger Wochen, den Ernährungszustand des ganzen Körpers zu verbessern, speciell das Nervensystem zu kräftigen. Eine überreichliche Zufuhr von stärkenden Nahrungsmitteln, absolute geistige Ruhe, möglichste Einschränkung aller aktiven körperlichen Bewegung, Massage und passive Körperbewegungen bilden die wesentlichen Momente dieser Kurmethode, zu deren Durchführung sogar die Entfernung der Patienten aus ihrer gewohnten Umgebung und Versetzung in neue Verhältnisse unter besonderer Wartung gefordert wird. Man beginnt die Kur bei geschwächten Individuen, welche nur ganz wenig zu essen gewohnt sind, mit Darreichung von Milch und geht erst allmählich zu großen Mahlzeiten über. Anfangs werden nur alle zwei bis drei Stunden Mengen von 90 bis 120 Kcm. Milch gegeben, und diese Portionen werden binnen wenigen Tagen so gesteigert, daß zwei bis drei Liter Milch innerhalb 24 Stunden genossen werden. Erst wenn die Verdauungsorgane durch solche mehrtägige Milchdiät in geeigneter Weise vorbereitet sind, wird die Menge der Speisen stätig gesteigert, so daß die Nahrungszufuhr am fünfzehnten Kurtage bereits eine erstaunliche Höhe erreicht.

Die Details dieser Fütterungskur und die Art der Steigerung der Ernährung wird am besten durch die von Dr. Burkart (Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge Nr. 245) mitgetheilten Speisezettel ersichtlich, die er bei einer Patientin anwendete, bei welcher wegen des guten Zustandes der Verdauungsorgane es nicht nöthig war, eine vorbereitende Milchdiät einige Tage hindurch vorzunehmen. Am Tage des Kurbeginnes bot der Speisezettel Folgendes: siebeneinhalb Uhr Morgens einen halben Liter Milch, zehn Uhr Morgens einen drittel Liter Milch; zwölfeinhalb Uhr eine Suppe mit Ei, 50 Gramm gebratenes Fleisch, Kartoffelpurée; dreieinhalb Uhr einen drittel Liter Milch; fünfeinhalb Uhr einen halben Liter Milch; acht Uhr einen halben Liter Milch, 50 Gramm kaltes Fleisch, Weißbrot, Butter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_531.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)