Seite:Die Gartenlaube (1887) 417.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 26.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Götzendienst.

Roman von Alexander Baron v. Roberts.
(Schluß.)
25. Gamlingen-Proceß.

Der pikante Proceß Bourdon-Chérisy hatte die Runde durch die Blätter gemacht.

Frau Belzig ließ entsetzt das Zeitungsblatt in den Schoß sinken. „Das ist ja – das ist ja wie ein Spuk,“ stammelte sie.

„Zeig’ einmal her, was hast Du denn, Bella?“ Herr Belzig nahm ihr das Zeitungsblatt vom Schoß. Mit einem wachsenden Staunen las er das Referat über den Proceß. „Ausgezeichnet, das ist ja fast, als könnte es in Berlin am Lützowufer passirt sein!“ rief er lachend.

Und nach einer Pause, während sie in hastigen nervösen Zügen ihren Kaffee schlürfte, sagte er mit jener Ruhe, die sie erst recht reizte. „Du glaubst doch nicht, der da, nun Euer Baron könnte auf den Gedanken kommen, ein Gleiches zu thun?“

„Was willst Du?“ fuhr sie ihn an. „Unsinn! Bitte, gieb her, ich habe das Blatt noch nicht ausgelesen.“

Sie nahm die Zeitung und versenkte sich tief in die Lektüre. Aber zwischen den Zeilen, die sie nur mechanisch las, hockte überall die neue Sorge. wenn er ein Gleiches thäte! So oft sie den Gedanken wegjagte, immer war er wieder da. Unsinn – der Weltuntergang ist doch nicht so nahe!

Gleichzeitig um dieselbe Frühstücksstunde schlug die Nachricht in der Friedrich-Wilhelmsstraße ein. Walther legte die Zeitung stumm hin und sagte nichts. Melitta, die ihm das Blatt gereicht hatte, wartete mit gespannten Augen, daß er sich äußern sollte. Aber nur ein bitterer, ironischer Zug zuckte um seine Mundwinkel.

Was geschah mit ihm? Seine freundlich offene Art war im Laufe dieser Wochen einem scheuen, gedrückten Wesen gewichen. Er war zerstreut und krankhaft gereizt. Mit wachsender Angst beobachtete ihn Melitta. Er schob dienstliche Plackereien und Ueberarbeitung vor. Sie wußte, es war der Amerikaner, die ganze lächerliche Verlegenheit, die ihn so peinigte. Wie war es aber möglich, alles das so tragisch zu nehmen? Auslachen muß man ihn! Nun aber – der Proceß da – wenn Jener sich ein Beispiel nimmt … Unsinn! Undenkbar!

Sie umschlang Walther’s Nacken stürmisch, klammerte sich fest an ihn. „Walther, lieber Walther!“ flehte sie mit Thränen in der Stimme, von plötzlicher Angst getrieben.

Er beruhigte sie mit Liebkosungen, die wohl an frühere Tage erinnerten. Gleich darauf saß er wieder brütend da. „Es wird wohl das Beste sein,“ murmelte er vor sich hinnickend, „wir machen uns auf und gehen selbst nach Amerika!“

Sollte sie darüber lachen? Welch ein Scherz!

Aber er konnte nicht Herr darüber werden, so sehr er sich Mühe gab. Alles erinnerte ihn nun daran. Der amerikanische Vetter und die köstliche Situation, in die dieser den neugebackenen Freiherrn versetzt, hatte Aufsehen erregt. Bei seinen Kameraden, überall wohin er kam, witterte Gamlingen Spott und Schadenfreude – obgleich sie doch im Generalstabe an Wichtigeres zu denken hatten! Nun, weil ihn selbst der Gedanke fort und fort beschäftigte, bis in seine Arbeit hinein.

Und jetzt noch dieser Proceß! Schon sah er die grinsende Schadenfreude, die nur darauf lauert, daß er den Namen

Leutenberg. 0 Originalzeichnung von H. Nestel.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_417.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)