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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


sie eine Cyklone und ihren Lauf schon von fern her signalisiren. Das Verhalten des Barometers ist nur als eine erwünschte Bestätigung für die faktische Annäherung des Centrums anzusehen.

So ist man also heute in den Stand gesetzt, auf Grund jener tausendfältigen Beobachtungen über den Zustand unserer Atmosphäre über weite Distrikte hin Wetterprophezeiungen auf einen oder selbst zwei Tage im Voraus zu liefern, welche in der Mehrzahl der Fälle eintreffen werden, obgleich wir über das „Warum“ der vorausgesagten Erscheinungen durchaus nicht immer im Klaren sind. Aus denselben Gründen der vergleichenden Symptomatologie könnte man eigentlich unseren uralten Wetterkenner, den Laubfrosch, oder unser in Wetterangelegenheiten merkwürdig hellsehendes Hühnerauge ganz wohl in den Bereich unserer Beobachtungen einschließen.

Es wäre gar nicht uninteressant, ziffermäßig zu konstatiren, in wie vielen Fällen das Hühnerauge oder die „alte Wunde, welche wieder schmerzt“, mit ihren Prophezeiungen Recht oder Unrecht gehabt hatten. Eine Erklärung für so seltsame Beziehungen können wir eben so wenig verlangen, wie wir solche für manche andere Resultate der praktischen Meteorologie anzugeben vermögen. Daß aber Theile des thierischen Organismus für atmosphärische Feuchtigkeit sehr empfindlich sind, beweisen die Wettermännchen, welche, an Sehnen gezogen, beim Wetterhäuschen aus- und eingehen, je nachdem es schönes oder schlechtes Wetter giebt, oder der sogenannte Haarhygrometer, ein Meßwerkzeug, das allen Meteorologen wichtige Dienste leistet nur durch die außerordentliche Empfindlichkeit des menschlichen Haares für den Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Ehe wir indeß an solche Wetterprophezeiungen des Laubfrosches, der Hühneraugen etc. ernstlich glauben sollen, müssen eben ziffernmäßige Beweise deßwegen geliefert werden.

Ganz eben so oder noch viel bedenklicher verhält es sich mit jenen Privatwettermachern, welche ohne tiefere Kenntnisse der Sachlage aus dem zufälligen Erfolge vereinzelter Voraussagen nach Kräften Münze schlagen, die ungünstigen Fälle aber möglichst unerwähnt lassen. Diese Leute können die junge hoffnungsvolle Wissenschaft der Wetterkunde beim Publikum leicht in unverdienten Mißkredit bringen. Wir wissen heute wenigstens so viel mit Sicherheit, daß wir höchstens auf ein paar Tage im Voraus, und das durchaus nicht etwa mit vollkommener Sicherheit, das Wetter angeben können. Dasselbe aber im Kalender auf ein ganzes Jahr, oder, wie es letzthin von privater Seite geschah, auf einen Monat pränumerando (gegen dito Zahlung, was die Hauptsache dabei ist) zu bestimmen, das kann entweder nur ein Hexenmeister oder ein Charlatan.




Ein Autograph.
Bühnenerinnerung von Marie Knauff.


Der tarpejische Felsen war in Rom dicht beim Kapitole, und so liegen auch im schauspielerischen Leben die Extreme, Erfolg und Mißerfolg, nahe beisammen. Der allen Schicksalsmächten preisgegebene Darsteller glaubt sich oft berufen, einen entscheidenden künstlerischen Trumpf auszuspielen. Die Aussichteu sind glückverheißend, die Hände greifen schon nach dem sicheren Lorbeer … aber sieh da, sämmtliche Berechnungen täuschten, das Facit bleibt ein Manko, denn (so schließt Laube seine Karlsschüler) der Erfolg ist Gottes Gericht!

Als zur Zeit der Intendantenwirksamkeit Dingelstedt’s in Weimar die ersten Aufführungen der sieben großen historischen Dramen Shakespeare’s, welche den Kampf der weißen und rothen Rose darstellen, geplant waren, und, um der geistvollen dramaturgischen Bearbeitung mit ihren gewaltigen Wirkungen auf das Publikum den größten Zuschauerkreis zu sichern, an Künstler und Kunstfreunde aller Orten feierliche Einladungen ergingen, wurde mir von Seiten des Intendanten der die Feierlichkeit einleitende Prolog anvertraut. Jedenfalls hätte ich mich dieser Ehre nicht zu erfreuen gehabt – da ich damals noch zur Kategorie der „talentvollen, jungen Anfängerinnen“ zählte und viel Würdigere und Gereiftere sich unter dem Schauspielpersonale Weimars befanden – wäre ich nicht das einzige Mitglied gewesen, welches in der Vorstellung des ersten Festtages, „Richard der Zweite“, unbeschäftigt blieb. „Nehmen Sie den Prolog mit Jemand durch!“ befahl Dingelstedt, „mir gebricht’s an Zeit; ich stecke bis über den Kopf in Arbeit; auf der Generalprobe höre ich Sie dann; studiren Sie mit einem Kollegen!“

Gut gesagt – aber welcher Kollege hatte jetzt Zeit, sich dieser Mühe zu unterziehen? Die ersten, wohlrenommirten Künstler Grans und Lehfeldt widmeten jede freie Stunde den Rollen, welche sie in den Historien übernommen hatten.

Ich erinnerte mich Gutzkow’s, der meinen künstlerischen Interessen immer freundlich gesonnen war, zuweilen ein Gläschen Chartreuse in meiner Wohnung annahm und mir erst unlängst ein dickes, ihm zur Beurtheilung übermitteltes Manuskript zurückgeschickt hatte, mit den allerdings etwas zweifelhaften Zeilen: „Der Sendung allerbesten Dank! Ich war seit letzter Zeit wieder recht melancholischer Laune, aber ihrer fünfaktigen Tragödie gelang es, mich in die heiterste Stimmung zu versetzen!“ Schadet nichts! sagte ich zu mir in jugendlichem Optimismus; man erobert sich die Kritik nur schrittweise; es ist immerhin ein kleiner Anfang gemacht! Als ich Gutzkow aber von dem Dingelstedt’schen Shakespeare-Prologe sprach, wies er mich mit einer Entschiedenheit ab, die bereits auf eine Animosität der beiden zeitgenössischen schriftstellerischen Größen Weimars deutete, indem er sagte: „Wenden Sie sich lieber an einen Andern; ich würde Ihnen wenig nützen; die Dingelstedt’schen Prologe haben nicht meinen Beifall, sie sind gar zu pomphaft! Reden Sie mit Herrn Genast!“

Ich ging nun zum alten Genast. Aber o weh! Dieser lag wieder mit geschwollenen Händen und Füßen an der langweiligen Gicht danieder. „Was?“ rief er aus, nachdem ich meine Bitte, den Prolog mit mir durchzugehen, bescheidentlichst vorgetragen, „ein sechs Seiten langes Dingelstedt’sches Gedicht und dabei – Reißen in allen Gliedern? Das ist zu viel! Doch beginnen Sie nur!“

Kaum aber hatte ich die ersten Verse gesprochen:

„O eine Feuermuse, die hinan
Zum höchsten Himmel aller Dichtkunst stiege!“

als mich der alte Herr auch schon kläglich mit dem Schmerzensrufe unterbrach: „Au, au! das verwünschte Zipperlein! Es steigt auch wie eine Feuermuse! Ein anderes Mal! Heute geht’s nicht!“ und so mußte ich – da die feierliche Shakespeare-Woche immer näher rückte – mich ganz selbständig an das Studium des Prologes machen.

Weimar füllte sich allmählich mit dem geladenen Festpublikum. Man erblickte im Parke wie in den Straßen die charakteristischen Physiognomien bedeutender Menschen, renommirter Journalisten, geistreicher Kunstdilettanten, großer Künstler.

Die Sorge um den Prolog trat nun bei mir ganz in den Hintergrund. Eine gewaltige Leidenschaft bemächtigte sich jetzt nämlich des größten Theiles der Bühnenmitglieder und auch meiner: man sammelte, angeregt durch die Anwesenheit so vieler Berühmtheiten in Weimar, aufs Eifrigste – Autographen! Meine Kollegen ergriff die bekannte „Stammbuchmanie“, und welch’ reizende Verschen, Epigramme, witzige Einfälle – alle von bedeutenden Federn niedergeschrieben – hatten sich auch wirklich schon in einzelnen Goldschnittsbüchelchen angesammelt! Vorzüglich excellirte Charlotte von Hagen, die liebenswürdigste aller Schauspielerinnen, welche in bewährter Freundschaft und Verehrung für Dingelstedt auch zu den Festaufführungen herbeigeeilt war, in Impromptus; sie zeichnete sich in den schauspielerischen Stammbüchern durch kleine launige und schmeichelhafte Einfälle ganz besonders aus. Unserem Regisseur Heinrich Grans schrieb sie z. B. nach den Vorstellungen auf ein Gedenkblättchen: „Empfangen Sie den aufrichtigsten Dank für den prachvollen ‚Grans‘ Shakespeare’scher Könige, den Sie uns dargereicht haben, und verzeihen Sie einen orthographischen Fehler meiner warmen Verehrung für Ihr Künstlerthum!“ Gott! tönte es in mir, zehn Jahre meines Lebens gäb’ ich darum, ein solch schmeichelhaftes, schriftliches Wort von Charlotte von Hagen zu besitzen! So oft ich aber auch mit der Künstlerin zusammentraf, nie wagte ich mich mit einer Bitte heraus, dieses Autograph blieb die geheime Sehnsucht meines Herzens.

Endlich kam der Tag der ersten Vorstellung und des Prologs: offen gestanden, fühlte ich mich recht unsicher; auf der Vormittagsprobe arbeitete der Souffleur meinetwegen noch mit vollen Lungen, und Dingelstedt ermahnte in seiner kurzen, herrischen Weise: „Prolog muß fester lernen! Noch durchlesen! Nicht immer Hilfe im Kasten suchen!“

Ich hatte als Muse, im weißwollenen Gewande, geschmückt mit einem grünen Lorbeerkranze zu erscheinen; der Letztere sollte durch die herzogliche Hofgärtnerei geliefert werden, aber – o Himmel! als mir am Abende, eine Viertelstunde vor Beginn der Vorstellung mein Kopfschmuck in der Theatergarderobe überbracht wurde, erblickte ich das grauenhafteste Ungethüm von Formlosigkeit! Es war ein thurmhoher, grüner, undefinirbarer Wulst, welcher etliche Dutzend Kaninchen gesättigt hätte, wären seine Blätter nur der edlen Kohlart entstammt! Kein Orpheus der bekannten Operette würde jemals mit einer solchen Lorbeerkarikatur nach der Unterwelt gestiegen sein!

Ich brach in Thränen aus; aber was half’s? Das letzte Klingelzeichen hatte man bereits gegeben; ein anderer Kranz war nicht zur Stelle; ich mußte hinaus, und in dem ärgerlichen Bewußtsein, ein förmliches Ungeheuer von Gewinde auf dem Kopfe zu tragen, ohne jegliche Sammlung, mit dem beängstigenden Gefühle, vor einer ganz auserlesenen kritischen Versammlung zu sprechen … schritt ich todesmuthig – nach des Verfassers Vorschrift – mit zum Himmel erhobenen Armen, in heftiger Erregung, schnell aus der ersten Koulisse rechts, vor bis an die das Podium säumenden Lampen … und begann mit folgenden begeisterungsvollen Worten meinen Prolog:

O, eine Feuermuse, die hinan
Zum höchsten Himmel aller Dichtkunst stiege!
Ein Reich zur Bühne – Kön’ge drauf zu spielen!
Dann –0 – dann –0 – dann –0

Weiter kam ich nicht! Nach diesen drei vergeblichen Ansätzen blieb ich, unter beginnender Todesangst und perlenden Schweißtropfen, stecken, vollkommen stecken; mir fiel buchstäblich keine Silbe mehr ein!

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