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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Und so können wir dem allzeit aufwärts strebenden amerikanischen Volke nur wünschen, daß es auch dieses große Projekt mit demselben Geschicke zur Ausführung bringen möge, mit dem es zum Staunen der alten Welt bereits so viele zu Ende geführt hat.

Unter den Linden. (Mit Illustration S. 333.) Wir befinden uns in der Reichshauptstadt: es ist ein kalter Tag im April oder Mai; die jungen Lindenbäume zeigen die ersten Blätter, die aber die Opfer des Spätfrostes geworden sind. So verkümmert oft das junge Leben: das beweist auch der arme krüppelhafte Junge, der dort die Frühlingsboten, Maiblumen und Rosen, einer Dame zum Kauf anbietet, die im Gegensatze zu dem armen Verkäufer im vollen Reiz der Jugend prangt. Im Hintergrunde bewegt sich das großstädtische Leben der Residenz, Herren in Civil und Uniform, Damen in modischer Frühjahrstoilette, vorbei an den Litfaßsäulen, welche die stets neuen Schaustellungen und Wunder der Residenz dem vergnügungssüchtigen Publikum verkünden. †     

Beecher’s letzte Kirchstuhlauktion. Henry Ward Beecher, der allbekannte und berühmte Kanzelredner zu Brooklyn an der Plymouth Church, hat am 8. März d. J. das Zeitliche gesegnet. Er ist 74 Jahr alt geworden. Ganz Brooklyn, eine der kirchenreichsten Städte der Vereinigten Staaten, trauert um ihn und vergißt gern den berüchtigten Skandalproceß, welchen ihr bedeutendster Seelsorger mit einem Mr. Tilton gehabt, vergißt gern die zum Processe nothwendig gewesenen und von den Kirchenmitgliedern dazu beigesteuerten 100 000 Dollars.

Da dürfte vielleicht ein Rückblick auf das letzte brillante Geschäft der Plymouthkirche von Interesse sein.

Es war im Januar d. J. An dem Tisch der Plattform, unter der Orgel der Kirche, sitzt Henry Ward Beecher. Kein Talar schmückt ihn. Er trägt einen schwarzen Anzug, die altmodische breite goldene Uhrkette ruht auf der schwarzen Weste. Er blättert während des Orgelspieles, auf seine Ellenbogen gestützt, in Papieren.

Der Gesang der Gemeinde ist beendet. Beecher erhebt sich von seinem Sitz und tritt an das Stehpult, auf welches er die Bibel und das Manuskript seiner Predigt niederlegt. Die Gesichtsfarbe des alten Herrn ist blühend und jugendlich frisch. Alle seine Bewegungen sind lebhaft, trotz der vierundsiebzig Jahre. Die Stirn ist frei, wenn auch nicht hoch, das Auge nicht besonders fesselnd; die Oberlippe ist lang und gewöhnlich, das Kinn stark und breit, der große Mund unschön. Der Kopf, als Ganzes betrachtet, macht einen groben, energischen, selbstbewußten Eindruck; wer in Beecher eine geistreiche, feine, durchgeistigte Erscheinung zu sehen vermuthet hat, wird sich gewaltig enttäuscht fühlen.

Nur der Anfang seiner Rede, die er gerade acht Wochen vor seinem plötzlichen Tode hielt, ist hier von Intresse. Er kündigte den Andächtigen an, daß, wie die auf den Kirchplätzen von Jedem vorgefundenen Pläne besagten, am Dienstag Abend die Auktion dieser Kirchenstühle für das Jahr 1887 hier in der Plymouthkirche stattfinden und er diesen Akt leiten würde.

Diese „geschäftliche Mittheilung“ hatte 22 Minuten sein oratorisches Talent in Anspruch genommen.

Der erwähnte Plan zeigte den Grundriß der Kirche und die Lage der Plätze, gleichwie es bei den üblichen Plänen der Theater der Fall ist. Auf jedem Platz war der Preis notirt, welchen die Kirche verlangte, der aber in der Auktion überboten werden sollte.

Der Dienstag Abend kam. Die gutbesetzte Kirche war hell erleuchtet. Der Eintritt Beecher’s wurde mit Beifallklatschen begrüßt. Er nahm auf der Estrade Platz und ermahnte noch einmal zur lebhaften Betheiligung.

„Gerade so,“ meinte er, „wie Euch keine Arznei zu theuer sein wird, ein geliebtes Kind vom Tode zu retten, so müßt Ihr hier für das Wohl des Hauses Gottes etc.“

Fünf Herren, hervorragende Mitglieder der Gemeinde, unterzogen sich den Pflichten der Auktionatoren. Man traute seinen Ohren nicht, so hoch gingen die Gebote! Stuhl Nr. 41, taxirt im Plane auf 60 Dollars, erzielte 235 Dollars, ein anderer 596 Dollars, Stuhl Nr. 57 sogar 702 Dollars!

Das wird die letzte Auktion in der Plymouthkirche gewesen sein, denn für den eigenartigen Beecher findet die Gemeinde keinen Ersatz.

Beecher hinterläßt 200 000 Dollars Vermögen.

Bilderatlas zur deutschen Litteraturgeschichte. Es ist jetzt Mode geworden, auch die Geschichte unserer Litteratur nicht nur mit illustrativem Schmuck herauszugeben, sondern auch durch die Bilder besonders anschaulich und für weitere Kreise interessant zu machen. Mit welchem Erfolge das geschieht, beweisen die zahlreichen Auflagen von König’s deutscher Litteraturgeschichte. Jetzt wird ein „Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Nationallitteratur“ von Gustav Koennecke herausgegeben, der gleichsam eine Ergänzung zu allen deutschen Litteraturgeschichten bildet: da finden wir alte Drucke, Litteraturdenkmäler, Miniaturen, Autographen und Portraits der Dichter und der Persönlichkeiten, die in ihr Leben eingriffen, von den ältesten bis in die neuesten Zeiten: die Portraits sind meistens wohlgetroffen, wenngleich sich einige neue Dichter über die Wahl nicht sehr günstiger photographischer Aufnahmen beschweren könnten. Für den Litteraturfreund enthält der Atlas viel Interessantes, doch auch das große Publikum wird manches irrige Bild, das vor seiner Phantasie schwebte, leicht nach den getreuen Bildern des Atlas verbessern können. †     

Allerlei Kurzweil.
Schach.
Von Fr. Dubbe in Rostock.

SCHWARZ

WEISS

Weiß zieht an und setzt mit dem vierten Zug matt.


Auflösung der Schach-Aufgabe auf S. 272[WS 1].
Weiß: Schwarz:
1. S e 4 – c 5 S h 4 – f 5
2. S e 7 – g 6 † beliebig.
3. S resp. D setzt matt.  

Varianten: a) 1. … K f 6, 2. D c 7 etc. – b) 1. … K d 4, 2. D b 4 † etc. – c) 1. … K d 6, 2. D b 8 † etc. – d) 1. … a 4 – b 3 : , 2. S d 7 † etc. – e) 1. … c 1 D (oder f 2, g 4), 2. D c 7 † etc. Eine Serie glänzender Spiele, mit wenigen Mitteln erzielt und in graziöser, ungezwungener Weise an einander gereiht!


Vorsilben-Räthsel.

Was stets mit Ver die Menschheit schändet,
Sei reich mit Vor dir zugewendet,
Wenn echtes Glück und heitern Sinn
Es in sich schließt dir zum Gewinn.

Mit Bei wird es von dir begehret,
Wo du als Weiser bist geehret,
Wogegen es mit Un vereint
Des Unterganges werth erscheint.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

Frau C. N. in Altkloster. Sie wollen eine vor 17 Jahren erschienene Novelle „Die neue Gouvernante“ dramatisiren und geben sich alle Mühe, den Verfasser zu ermitteln. Es ist dies um so lobenswerther, als manche Dramatiker nicht entfernt so gewissenhaft sind, sondern Novellen in Stücke verwandeln, ohne sich um die Verfasser der ersteren zu bekümmern, selbst wenn sie den ganzen Dialog mit der Schere herausschneiden. Leider! sind Sie in Ihren Bestrebungen nicht glücklich gewesen. Die Novelle erschien seiner Zeit in „Das Haus“, einem litterarischen Beiblatt zu dem damaligen „Hannoverschen Anzeiger und Morgenzeitung“. Der jetzige Verleger des Hauptblattes kannte den Namen des Verfassers nicht; ein Brief an den damaligen Redakteur des „Haus“, Herrn J. Pfeiffer in Berlin, kam als unzustellbar zurück. Wir wollen Ihrem redlichen Streben zu Hilfe kommen, indem wir Jeden, der etwas über den Verfasser jener Novelle weiß, bitten, die Redaktion der „Gartenlaube“ davon in Kenntniß zu setzen. Bleibt auch das vergeblich, so haben Sie Ihre Pflicht und Schuldigkeit gethan und können Ihr Drama getrost in Betrieb geben, mit dem Vorbehalt, den Gewinn mit dem Autor der Novelle zu theilen, falls er sich bei Ihnen melden würde.

M. F. in G. Sie wünschen einen Rath in Beziehung auf den Klavierunterricht Ihres Töchterchens, da Sie zweifelhaft sind, ob das Kind wirklich Talent habe. Hierauf ist sowohl in Ihrem Interesse, als in dem Unzähliger zu erwiedern: wo nicht die sicheren Zeichen eines wirklichen Talentes vorliegen, ist der Klavierunterricht als nutzlos, ja, in Anbetracht der verlorenen Zeit, als schädlich zu unterlassen. Nur talentvolle Kinder überwinden in etwa drei Jahren die erste, schwierigste Stufe und steuern dann erst dem eigentlichen Ziel des Unterrichts, der freien Kunstübung, zu. Die allermeisten Klavierschüler aber bekommen dieses Ziel niemals auch nur zu sehen, weil eben die davor liegenden Schwierigkeiten für einen Talentlosen unüberwindlich sind. Als sichere Kennzeichen des Talents können Sie betrachten: rasches Auffassen und Behalten, schnelle Fortschritte, sicheres Ohr für Richtig- und Falschspielen, Gedächtniß und die Fähigkeit, vom Blatt zu lesen; Lust und Fleiß kommen erst in zweiter Linie, denn talentvolle Kinder sind oft faul, während völlig unbegabte einen beklagenswerthen Fleiß und Eifer entwickeln. Da aber diese in späteren Jahren, wenn sie die Hoffnungslosigkeit ihrer Bestrebungen einsehen, doch das Klavierspiel aufgeben, so wäre dringend zu wünschen, man verschonte sie gleich von Anfang an damit!

Frau Juliane Grosse, früher in Werdau. Wir bitten um Ihre jetzige Adresse, da wir Ihnen Mittheilungen über den Aufenthalt Ihres verschollenen Bruders zu machen haben.

K. in Kreuznach. J. Marlitt’s Roman „Das Geheimniß der alten Mamsell“ erschien im Jahrgang 1867 der „Gartenlaube“. Die Vollendung des neuen von uns angekündigten Romans „Das Eulenhaus“ hat durch längere Krankheit der Verfasserin eine Verzögerung erlitten. Doch hoffen wir noch immer, denselben im Herbst d. J. bringen zu können.

L. G. in Budapest. Der „schöne Dichter“ ist schon verheirathet. Wir haben ihm jedoch Ihren Brief zugesandt, damit er erfahre, welche Eroberungen sein in der „Gartenlaube“ erschienenes Porträt gemacht hat.

V. G. in Westfalen. Besten Dank für Ihre freundliche Gesinnung! Sind Sie indeß nicht auch der Meinung, daß die Briefkastennotiz des betr. Blättchens sich selbst richtet? Wir hätten viel zu thun, wenn wir auf alle derartigen kleinlichen Angriffe erwiedern sollten!

J. B. C. in Buenos-Aires. Leider nicht geeignet. Besten Dank!


Inhalt: Götzendienst. Roman von Alexander Baron v. Roberts (Fortsetzung). S. 321. – Der Schiffer von altem Schrot und Korn. Ein Lebensbild von Eduard Mehl. S. 326. Mit Illustration S. 325. – Ein irrsinniger poëta laureatus. Von Eugen Reichel. Mit Portrait. S. 329. – „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“ Eine Lieder-Legende des 9. Jahrhunderts. Von Ernst Pasqué. S. 331. – Blätter und Blüthen: Ueber Volkstheater. S. 335. – Der Niagara im Dienst der Industrie. S. 335. Mit Illustration S. 321. – Unter den Linden. S. 336. Mit Illustration S. 333. – Beecher’s letzte Kirchstuhlauktion. S. 336. – Bilderatlas zur deutschen Litteraturgeschichte. S. 336. – Allerlei Kurzweil: Schach. S. 336. Auflösung der Schach-Aufgabe auf S. 272. – Vorsilben-Räthsel. S. 336. – Kleiner Briefkasten. S. 336.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: S. 288
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_336.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2023)