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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Generalität und die angesehenen und wohlhabenderen Freunde und Gönner der Armee setzten sich nun zum Hochzeitsmahl nieder. Geredet wurde auch hier wieder sehr viel, doch eben nicht mehr als auf manchen anderen Hochzeiten. Wenn ich sage, daß ich noch nie ein so einfaches, dürftiges Hochzeitsmahl eingenommen, so ist das keineswegs Undank noch Unrecht gegenüber den gütigen Gastgebern, die ja die einfachste Lebensweise in jeder Hinsicht sich zur Aufgabe gestellt haben. Uebrigens gab es verschiedene kalte Fleischspeisen und Kartoffeln und dazu – Thee und Kaffee zu trinken. Alle Spirituosen sind in der Armee gänzlich untersagt. Nach Tisch wurde eine Subskription ins Werk gesetzt. Manche zeichneten 5 Pf. Sterl., einzelne auch 50 und 100 Pfund. Es mußten also wohl einige recht wohlhabende Leute zugegen sein. Doch ihre Anzahl ist verschwindend klein unter der großen Masse der ganz Mittellosen, die der Armee angehören. Der gebildete Engländer im Allgemeinen hat durchaus keine Sympathie für dieselbe. Allein es ist doch wohl eben nur in England möglich, daß eine derartige Bewegung eine solche Ausdehnung gewinnen konnte.




Blätter und Blüthen.

Spreeschiffer. (Mit Illustration S. 165.) Sobald der Winter gewichen und die Flüsse und schiffbaren Kanäle vom Eise befreit sind, beginnt auch das Leben auf der Spree sich wieder zu regen. Das unfreiwillige Nichtsthun hat ein Ende und die großen schwerfälligen Lastfahrzeuge, die Spreekähne, werden wieder flott gemacht.

Freilich, das ist eine harte Arbeit, und Herr und Knecht verdienen im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot.

Auf unserem Bilde wird das Treiben auf einem Spreekahne veranschaulicht. Es ist der Moment aufgefaßt, wo das Schiff unter dem hochgewölbten Bogen einer Brücke hindurchgleitet. Mit dem gegen die Schulter gestemmten, in den Grund gebohrten langen Ruder kriechen die Männer fast in wagerechter Stellung von einem Ende des Schiffes zum andern und bewegen auf diese Weise das lange, schwerfällige Fahrzeug langsam vorwärts. Sind sie am Steuerende angelangt, begeben sie sich, das Ruder nachschleifend, ans Vordertheil zurück und beginnen die mühevolle Arbeit von Neuem.

Auch die kräftige Frau muß helfen; sie führt mit dem rechten Arm das Steuerruder, während sich auf dem linken das jüngste Kind an sie schmiegt; die größeren suchen sich auf dem hochaufgebauten Mittelverdeck die Zeit zu vertreiben.

Der Dampf, welcher dem Schornstein der Kajüte entsteigt, kündet die Mittagszeit an. Noch eine Weile, dann hält zwar der Kahn nicht Rast, aber die Ruderer lösen sich ab und verzehren, was die Frau hergerichtet hat.

Das Treiben auf der Spree hat für den Berliner große Anziehungskraft. Oft stehen Hunderte auf den Brücken, und nicht nur Leute aus dem Volk. Wenn die meist mit Holz, Kohlen, Steinen oder Kartoffeln und Obst schwer belasteten Kolosse sich langsam durch die Fluth schieben, wenn sich zwei der Riesen begegnen und größeres Leben auf dem Verdeck, gar eine kleine Kollision – zwar ein seltenes Ereigniß – entsteht, dann verfolgt der Berliner mit gespanntem Blick und oft mit witzigem Spott, was unten vorgeht.

Handarbeitsstunde. (Mit Illustration S. 169.) Die Dame, welche die Handarbeiten leitet, ist auf den Gedanken gekommen, irgend eine Dichtung vorlesen zu lassen, um die Aufmerksamkeit der jungen leichtblütigen Welt, die ihrer Aufsicht anvertraut ist, auf einem Punkte zu sammeln: es kommt dies der Arbeit mehr zu Gute, als wenn sich die Gedanken nach allen Richtungen hin zerstreuen. Das ist wenigstens die Meinung jener Dame: doch „grau ist alle Theorie“, und wir sehen auf unserem Bilde, daß die Praxis nicht ganz den weisen Grundsätzen der Lehrerin entspricht. Solch ein junges Mädchen hat mehr zu denken, als in Shakespeare’s und Goethe’s Dichtungen steht. Zwar die Schöne rechts von der Vorleserin ist augenscheinlich durch die Dichtung gefesselt und schenkt ihr eine gespannte Aufmerksamkeit; sie vergißt darüber die Arbeit vollständig, was wohl auch nicht im Lehrplan der Vorsitzenden liegt. Die Andern aber kümmern sich alle wenig um die Dichtung: man sieht es ihnen an, daß sie entweder ausschließlich mit ihrer Handarbeit beschäftigt sind oder darüber hinausträumen von den Familienfesten, für die sie bestimmt sind, oder von dem Bevorzugten, dem sie damit ein Geschenk machen wollen. Ganz ungenirt aber unterhalten sich die Beiden, welche seitwärts beisammen sitzen, von einigen lustigen Vorgängen des letzten Tanzabends, denn was ist ihnen Hekuba? Eine heitere Plauderei ist ihnen mehr werth, als alle Dichtungen der Welt; denn da ist der Geist selbst thätig, und das ist doch die Hauptsache. Es gehört Talent zum Vorlesen, aber auch Talent dazu, sich vorlesen zu lassen, besonders wenn man ein lebhaftes Temperament besitzt und viele wichtige Dinge zu erzählen hat.

Japanesisches[WS 1] Prinzenpaar in Berlin. (Mit Illustration S. 172.) Akihito, Prinz von Komatzu, welcher vor Kurzem den Berliner Hof besuchte, ist am 11. Februar 1846 in Kioto (oder Miako) als Sohn des Prinzen Fussimi geboren. Derselbe ging schon in frühester Jugend in ein buddhistisches Kloster und verblieb dort, seinen religiösen Studien obliegend, bis zum Ausbruch der Revolution im Jahre 1867. Der letztverstorbene Kaiser berief nun den Prinzen, der sich auch mit Kriegswissenschaft beschäftigt hatte, in die Armee und übertrug ihm den Oberbefehl über die vereinigten, der Partei des Mikado anhängenden Truppen. In der Schlacht von Fussimi, Sodo und Toba besiegte der Prinz das Heer des Taikum, aber erst im Jahre 1868 gelang es ihm, durch fernere glückliche Operationen der Revolution ein Ende zu machen.

Es folgten nun tiefeinschneidende Gesetzveränderungen. Hundert Jahre lang bestehende Organisationen wurden über den Haufen geworfen und neue an die Stelle gesetzt. Der Kaiser machte den Prinzen zum Kriegsminister und dieser ging, nachdem er sein Amt bis zum Jahre 1870 mit Auszeichnung bekleidet hatte, nach England, um europäische Sitten und Gebräuche zu studiren. 1873 langte der Prinz wieder in Japan an. Bei seiner Rückkehr ernannte der Mikado den Prinzen zum Generalmajor und stellte ihn à la suite des Gardekorps. Nach einigen Jahren wurde er zum Generallieutenant befördert, übernahm das Kommando des Gardekorps und bekleidet jetzt noch diese Charge. (Auf kaiserlichen Befehl erschien 1873 ein neues Militärgesetz, wonach jeder Officier durch alle Ränge avanciren muß; aber weil der Prinz schon während der Revolution ein Armeekommando übernommen hatte, erhielt derselbe hierbei ausnahmsweise hohe Chargen.)

Die Reise, welche er jetzt durch Europa macht, wurde ihm vom Mikado befohlen, um einige befreundete Höfe im Namen des Kaisers zu begrüßen. Der Prinz Komatzu hat im Oktober vorigen Jahres die Reise angetreten, begleitet von seiner Gemahlin Prinzessin Arima. Die hohen Herrschaften besuchten zunächst die Vereinigten Staaten Nordamerikas, reisten von dort nach England und kamen vor Kurzem nach Berlin. Von hier geht die Reise nach Wien und Italien. In jeder Stadt sind sie drei bis vier Wochen geblieben und wurden an allen Höfen höchst ehrenvoll empfangen. Besonders haben sich die hohen Reisenden von der einfachen und herzlichen Aufnahme, die ihnen am deutschen Hofe zu Theil wurde, beglückt gefühlt. Sie hoffen im Mai hierher zurück zu kehren, um den Frühjahrs-Truppenübungen beizuwohnen.

Das Bild, welches wir in unserer heutigen Nummer bringen, zeigt den Augenblick, wo die prinzlichen Herrschaften das Hôtel „Kaiserhof“ verlassen, um ihren Ankunftsbesuch bei unserem Kaiserpaar zu machen. Wie es heißt, hatte unsere Kaiserin die Bitte ausgesprochen, daß die japanische Prinzessin in der Hoftracht ihres Landes erscheinen möge. Links von ihr steht der Prinz; eine hohe Persönlichkeit aus seinem Gefolge reicht ihr mit ehrerbietiger Höflichkeit die Hand, um sie an die Hofequipage zu führen.

Das Todaustragen in Mähren. (Mit Illustration S. 177.) In den slawischen Gegenden Mährens, die fern von dem Weltverkehr liegen, herrscht noch der eigenthümliche Brauch des Todaustragens. Eine aus Stroh, Flachs und Lumpen zusammengesetzte, gräulich anzusehende Figur, die Morena (die dunkle Göttin, die Todesgöttin der heidnischen Slawen), wird am Sonntag Lätare vor Ostern von jungen Dirnen und Burschen, welche die Dorfjugend umschwärmt, durch das Dorf getragen. Dabei werden Lieder abgesungen, die theils Klagelieder sind, theils lustige Spottgesänge. Wenn der Zug an den Dorfmühlbach oder den nächsten Teich gelangt ist, dann hat die Stunde der Lumpenkönigin geschlagen. Einige Schläge mit dem eisenbeschlagenen, mit einem Beile versehenen Stock beginnen das Zerstörungswerk. Jeder sucht dann einen Büschel oder Zipfel vom Leibe des Monstrums zu erhaschen; denn diese sind ein Schutzmittel gegen Krankheit, Tod und Unheil jeder Art. Dann werden die Reste ins Wasser geworfen, die Morena wird ertränkt. Jauchzend bewegt sich der Zug ins Dorf zurück: eine mit Palmenzweig, Bändern und bunten Eiern geschmückte Figur ist an die Stelle der unglücklichen Todesgöttin getreten als Symbol der wiedererwachenden[WS 2] Natur, und das Fest schließt mit Tanz und Jubel.


Kleiner Briefkasten.
(Anonyme Anfragen werden nicht berücksichtigt.)

H. P. in Berlin. Klara Ziegler ist am 22. Februar 1862 zum ersten Male in Bamberg aufgetreten. Das Brockhaus’sche Konversationslexikon, welches die Daten von den betreffenden Persönlichkeiten selbst erbittet, giebt dies in allen Auflagen so an. Wenn die Künstlerin ihr Jubiläum am 21. Februar gefeiert und an diesem Tage die Huldigungen ihrer zahlreichen Verehrer entgegengenommen hat, so mögen andere Rücksichten dabei obgewaltet haben. Das Neue Theater in Leipzig ist 1868 eröffnet worden: Klara Ziegler ist allerdings 1867, nicht 1869 nach Leipzig gekommen. Ihr Bild als „Brunhild“ brachten wir im Jahrgang 1868, S. 509 der „Gartenlaube“, nicht 1878.

H. W. in Berlin. Der Grillparzer-Preis ist bei dem Jubelfeste des berühmten österreichischen Dichters gegründet worden und wird dem besten im Laufe des letzten Jahres erschienenen Drama zu Theil, wenn es sich auf der Bühne erprobt hat und litterarischen Werth besitzt. In diesem Jahre erhielt ihn der Dichter Ludwig Anzengruber in Wien für sein Drama „Heimg’funden“, eine Weihnachtskomödie; drei Jahre ist der Preis nicht ausgetheilt worden, weil die Bedingungen des Stiftungsbriefes nicht erfüllt schienen. Die bisher ausgetheilten Preise erhielten Wilbrandt für seinen „Gracchus“ und Wildenbruch für seine „Karolinger“.

Dora S. in O. Bannon. Ihre Adresse ist völlig unleserlich. Wir ersuchen Sie, Ihre Anfrage mit deutlicher Angabe der genauen Adresse zu wiederholen, worauf wir Ihnen brieflich antworten werden.

J. v. d. P. in Homburg. Sie finden die gewünschte Auskunft in dem Artikel „Künstliche Diamanten“ von Carus Sterne, „Gartenlaube“ 1880, Seite 338.

R. in B. Sie finden die Theaterpreise zu hoch an deutschen Bühnen? Wie hoch müssen aber die Preise für Plätze in Amerika sein, wenn bei dem Gastspiele Niemann’s im New-Yorker Metropolitan-Opernhause jede Aufführung des „Tristan“ 7000 Dollars einbrachte, die fünf Tristan-Aufführungen also die Summe von 140 000 Mark? Gewiß hat Niemann bei erhöhten Preisen gespielt: trotzdem aber bleibt das finanzielle Ergebniß für unsere europäischen Verhältnisse ein ganz außergewöhnliches.


Inhalt: Herzenskrisen. Roman von W. Heimburg (Fortsetzung). S. 165. – Vom Nordpol bis zum Aequator. Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm. Adlerjagden des Kronprinzen Rudolf von Oesterreich. IV. (Schluß.) S. 170. – Ein Stück Fächerlitteratur. Von Wilhelm Goldbaum. Mit Illustration. S. 173. – Ein verhängnißvolles Blatt. Erzählung aus den bayerischen Bergen von Anton Freiherrn von Perfall. (Fortsetzung). S. 174. – Eine Hochzeit in der Seligmacherarmee. Von Wilh. F. Brand (London). S. 179. – Blätter und Blüthen: Spreeschiffer. S. 180. Mit Illustration S. 165. – Handarbeitsstunde. S. 180. Mit Illustration S. 169. – Japanisches Prinzenpaar in Berlin. S. 180. Mit Illustration S. 172. – Das Todaustragen in Mähren. S. 180. Mit Illustration S. 177. – Kleiner Briefkasten. S. 180.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. im Inhaltsverzeichnis der Vorlage heißt es: Japanisches
  2. Vorlage: wiederwachenden
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_180.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2023)