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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Ein Stück Fächerlitteratur.

Von Wilhelm Goldbaum. Mit Illustration von J. R. Wehle.

Ich kenne eine Frau, die leidenschaftlich Autographen sammelt. Da sie mich noch nicht um meinen eigenen werthen Namenszug nebst obligatem geistreichem Zubehör angegangen, so habe ich auch noch nicht Anlaß gehabt, ihr zu sagen, daß mir ihr Sport eine wenig erspießliche Spielerei zu sein dünkt. Und dabei unterscheidet sich ihr Sammeleifer noch sehr vortheilhaft von demjenigen anderer Autographenjägerinnen, denn sie strebt nach einer gewissen Originalität und scharrt nicht alle Papierschnitzel und Briefkouverts zusammen, die ihr etwa irgend ein Redaktionskorb zur Verfügung stellt. Es müssen persönliche Beziehungen sein, welche ihr die Handschrift eines bedeutenden Zeitgenossen, eines Schriftstellers, Künstlers oder Politikers werth machen, und jedes Autograph soll an ein bestimmtes Erlebniß, an eine charakteristische Erinnerung, an eine liebgewordene Oertlichkeit anknüpfen. So hat man die Sache auch in der vormärzlichen Epoche der Stammbücher angesehen, daß es ein eigenthümlicher Zauber sei, hervorragende Zeitgenossen, mit denen man in Berührung kommt, in ihrer Handschrift gleichsam jederzeit gegenwärtig zu haben. Es war dabei ein wenig Sentimentalität, ein wenig Ueberschwang; aber es war doch auch ein hübscher menschlicher Zug dabei, und wenn ich bisweilen in solchen alten, vergilbten Stammbüchern blättere, so ist es mir, als rede aus den verschnörkelten Lettern, aus den vertrockneten Blumen, aus den mysteriösen Zeichnungen der Geist eines längst dahingegangenen Geschlechtes zu mir, das in seiner Empfindsamkeit glücklich, in seinen Verkehrsformen voll naiver Genügsamkeit, in seiner Gegenseitigkeit treu und verläßlich war. Das ist ja längst anders geworden, aber es giebt eben noch altfränkische Frauen die auf dem unmodischen Stammbuch-Standpunkte beharren, nur daß sie, dem Wandel der Zeiten Rechnung tragend, das Stammbuch mit einem moderneren, koketteren, zierlicheren Autographenbehälter vertauschen, nämlich mit dem Fächer. Und zu diesen Frauen - denn das Autograph übt seine Anziehung wesentlich auf das schöne Geschlecht - gehört meine Autographensammlerin.

Der Gedanke, den Fächer als Autographenalbum zu verwenden, ist so modern wie nur irgend möglich; sein Vater ist ein Journalist. Es geschah nach einer der letzten Sitzungen des Berliner Kongresses, daß der Berichterstatter der „Times“ sich um einen hölzernen Riesenfächer bei dem Fürsten Bismarck einstellte und den mächtigen Staatsmann ersuchte, seinen Namenszug auf einen der Fächerstäbe zu zeichnen. Der Reichskanzler that dem kleinen Zeitungsmanne den Gefallen, und seinem Beispiele folgten die Gortschakow, Andrassy, Waddington, Beacousfield und wer sonst noch an dem grünen Tische in der Reichskanzlei gesessen hatte. Von da an war der Fächerautograph sanktionirt, aber weil nicht alle Tage Berliner Kongreß ist, so ist es nicht bei dem politischen Fächer geblieben, die Frauen, welche sich der Idee des Londoner Journalisten bemächtigten, haben die Litteratur, die Kunst für ihre Fächer in Kontribution gesetzt, und der Entstehungszeit nach gewiß mit am nächsten dem berühmten Kongreßfächer steht derjenige, welcher mir zu diesen Betrachtungen den Anstoß bietet; denn die erste Inschrift, die er enthält, ist eine aus Marienbad und vom Juli 1880 datirte Sentenz des Wiener Burgschauspielers Adolf Sonnenthal, lautend: „Ob Nord, ob Süd, es giebt nur eine Kunst, nur eine Empfindung.“

Der berühmte Mime war damals gerade von den Münchener Mustergastspielen gekommen, an denen er im Vereine mit hervorragenden Künstlern aus dem deutschen Norden betheiligt gewesen war, und gleichsam als ein artistisches Bekenntniß schrieb er seine Worte auf einen der etlichen dreißig Stäbe des zierlichen Holzfächers, die von einer Spange zusammengehalten werden, an welcher drei niedliche Schwälblein ihre Schnäbel wetzen.

Selbstverständlich ist nicht Jedermann gehalten, einen tiefsinnigen Spruch seinem Namenszug vorzusetzen, sehr stolz und sehr einsam stehen die Unterschriften Eduard Lasker’s und Hans Makart’s da, die erstere mit dem Datum Helgoland, die letztere sogar ohne Bezeichnung von Ort und Zeit. Aber den Absichten einer richtigen Autographen-Sammlerin entspricht es natürlich besser, daß lauter mehr oder minder geistreiche Dikta, gereimt oder ungereimt, den Fächer zieren, und sofern man schon jetzt von einer Fächerlitteratur sprechen darf, so ist es gerade die interessante Mannigfaltigkeit, wie die einzelnen litterarischen Individualitäten sich in denkbarster Kürze zu eigenthümlichem Ausdrucke zu bringen trachten, welche den Reiz dieser neuesten Litteratur ausmacht. Und es ist nicht etwa unglaubhaft, daß diese knappen Sprüche und Aussprüche ein ziemlich charakteristisches Bild der zeitgenössischen Geistesbewegung in Kunst und Litteratur darbieten können, es ist wie in einer Anthologie, nur daß den Proben der Reiz des Persönlichen anhaftet, welcher gleichsam den Monolog zu einem Dialog erweitert, weil die Besitzerin des Fächers als die angeredete Person oder mindestens als das Auditorium gedacht wird. So bedient sich z. B. der alte Heinrich Laube in seiner zufahrenden Art schlechthin der direkten Rede, indem er schreibt: „Seien Sie glücklich. Das kann Jeder und Jede, man muß es nur ernstlich werden wollen“ und Emil Rittershaus tändelt, von dem Festjubel des Wiener Schriftstellerkongresses höher gestimmt, mit rheinischer Galanterie:

„Drei Schwälblein hält dein Fächer festgebannt -
Wie viele Herzen fesselt deine Hand?“

Von diesem rein persönlichen Verhältnisse wenden sich aber Viele zu allgemeinerer Betrachtung hinweg; der Eine schreibt kondensirte Lebensweisheit, der Andere greift zu parabolischem Ausdrucke, der Dritte sagt von sich selber eine Empfindung aus, die ihn gerade im Augenblicke des Schreibens übermannt. Immer aber stimmt, was da geschrieben steht, zu dem litterarischen Charakter des Schreibers. Der Nibelungentrotz spricht aus dem Verse Wilhelm Jordan’s:

„Folge niemals gutem Rath,
Lieber irre, leide,
Als verdanke deinen Pfad
Gnädigem Bescheide.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_173.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2023)