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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 7.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. — In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. — In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 25 Pfennig.



Herzenskrisen.
Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


Lucie athmete auf, als sie am Fuße der Treppe im Meerfeldt’schen Hause stand; „die gnädige Frau sei beim Herrn Großpapa und spiele Schach mit ihm, da Mademoiselle Kopfweh habe,“ berichtete der alte Diener.

Lucie sagte, man solle sie nicht stören, sie wolle oben warten. Und nun saß sie in der sinkenden Dämmerung allein in einem der Fauteuils, den schmerzenden Kopf an die Lehne gepreßt, und in wirrem Reigen kreuzten sich marternde Gedanken hinter ihrer Stirn.

Was hatte sie gethan? War sie wahnsinnig gewesen? Er und sie getrennt für immer? Sie griff zum Herzen; es war, als sollte es stocken.

„Recht habe ich gethan! Recht!“

Dann erfaßte sie eine unbezwingliche Sehnsucht nach Hortense, um ihr zu sagen: „Hilf mir! Ich bin schutzlos, haltlos!“ - Sie stand auf und setzte sich an den Schreibtisch. Das Blotting book lag aufgeschlagen, darauf ein leeres Briefblatt. Sie tauchte die Feder ein und schrieb:

 „Lieber Georg!

Nimm mich vorläufig wieder auf bei Dir, ich kann Adler nicht heirathen. Alles Nähere mündlich; verdamme mich nicht ungehört!

     Deine Schwägerin Lucie.“

Sie überlas die Zeilen wieder und wieder; dann saß sie und dachte, wie es sein würde, wenn der Brief in der Oberförsterei anlangte; welch einen Sturm würde er aufrühren! Sie sah den Schwager am Frühstückstisch, die Postsachen lagen vor ihm „Da ist auch wieder ein Wisch von Lucie!“ hörte sie ihn sagen, „was Teufel, der ist an mich?“

Sie sah die Zornader beim Lesen sich zwischen den buschigen Brauen ringeln und hörte den Schlag mit der Faust auf den Tisch, sah ihren Brief der blassen Schwester zufliegen. „Da haben wir’s! Ich werde der Gans heimleuchten, solch verd… Unsinn!“

Und Mathilde würde weinen während des Scheltens, ohne ein Wort zu sagen, Sie meinte die Tropfen zählen zu können, die auf den blassen Wangen herunter liefen. Sie kannte solche Scenen; sie hatte sie oft, hundertmal miterlebt – und dennoch, dennoch tausendmal lieber das, als jenes kalte malitiöse Lächeln seiner Mutter, als seine pedantische gelassene Art!

Nun war es fast dunkel und noch immer saß sie allein. Sie meinte, es nicht länger ertragen zu können; da endlich öffnete sich die Thür.

„Hortense!“ schrie das Mädchen auf und flüchtete zu der schlanken Gestalt hinüber.

Du?“ fragte die junge Frau verwundert; und als sie das Zittern des Körpers fühlte, „was ist Dir, Kind.“

„Laß mich bei Dir bleiben – heute – ich habe ihm gesagt, daß – ich ihn nicht liebe.“

Hortense’s Arme schlossen sich fester um die Freundin. „Du hast recht gethan! Bleibe bei mir!“

„Nur jetzt, nur vorläufig, Hortense.“


Ein Zeuge der Urwälder Deutschlands.
Originalzeichnung von L. Beckmann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_101.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)