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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Schwelle Dein Vater und Siciliens versammelter Adel! Fasse meine Hand und beuge Dein Knie vor dem Altar, daß ich mein Kind anvertraue der Kirche unseres allmächtigen Gottes!“

Vor dem Bischof kniete er nieder mit ihr, und seinen Segen erflehte er für sich und für sein Kind. Auf den Knieen lagen ringsum die sicilischen Edeln; entblößten Hauptes, mit gefalteten Händen, standen die Spanier bei Seite.

„Der Himmel segne Euch, Vater und Tochter! Und mögen sie sich auch trennen in dieser Stunde, Eure Wege werden sich wieder begegnen, hienieden und im ewigen Leben!“

Schluchzend hing Blandina an des Vaters Halse. Feierlich löste der Fürst sich los aus ihrer Umarmung:

„Kind, wohin Du auch ziehest, Deines Vaters Haus und seine Arme bleiben Dir offen immerdar!”

Gerührt schauten Sicilier und Spanier auf die liebliche Gruppe und in manch einen alten, silberglänzenden Bart träufelten langsam Thränen hinab. Lautlose Stille lag über dem weiten Platze. Einen Schritt that jetzt Gonzaga vor, um Blandina die Hand zu reichen und sie einzuführen in den Dom – siehe! was war das plötzlich dort unter dem Volke? Was stürzte sich aus der Menge hervor? Welch wilder Schrei, wie vom Adler in den Bergesklüften, durchriß das tiefe Schweigen?

„Nieder mit den Spaniern! Tod dem spanischen Wolf!“

Ha! war das Empörung? War das Mord? War das Verrath und Friedensbruch? Aus den Scheiden fuhren der Spanier Klingen. Wie eine Bestie, in rasendem Sprung, ein Messer in der Rechten, stürzte Einer auf den Herzog los; im Nu – wer konnte den Wüthenden fassen und halten? – stand er hinter Gonzaga und mitten auf dessen Rücken blitzte der Stahl. An den Schuppen des Panzers glitt jedoch das Messer ab, und zum neuen Stoße holte der Mörder aus.

„Ha! Mord! Verrath! Tod den sicilischen Hunden!“

Wie gebannt aber blieben die Spanier – denn, bevor sie noch ihrem Herzog zu Hilfe eilen konnten, war schon der Mörder, von dem Eisenhandschuh des Fürsten von Roccaguelfonia schwer getroffen, zur Erde gesunken, und das Rufen der Spanier mit gewaltiger Stimme übertönend, rief der alte Roccaguelfonia:

„Von meiner Hand getroffen liegt der Mörder in seinem Blute! So wie er, falle jeder Verräther!“

Und zu Gonzaga sich wendend:

„Herzog,“ sprach er, „nicht zum Verrathe sind wir hierhergezogen! Mit einem Schurken haben Siciliens Edle nichts gemein! Schaffe Diesen hinweg in Dein Schloß, daß er seinen Lohn empfange! Deinem Gerichte überantworte ich ihn! Und nun lebt wohl! … Lebe wohl, mein Kind!“

Und Blandina noch einen Kuß auf die Stirn drückend, zog der Fürst mit Siziliens Edeln ab.




Als der Herzog mit seiner jungen Gemahlin in den Palast zurückkehrte, trat ihm unter dem Thore ein alter Kriegsmann entgegen.

„Herr,“ sagte er, „nicht nur ein Mörder ist’s, den Du uns überliefert – ein Räuber und ein Dieb ist der Jüngling, der geknebelt dort auf der Erde liegt! Seit einigen Tagen schon bemerkte ich ihn, wie er sich an den Mauern herumschlich! – Siehe! ein Kleinod, mit Deinem herzoglichen Wappen geschmückt, haben wir bei ihm gefunden. An dieser goldenen Kette trug er es, unter den Kleidern versteckt, auf der bloßen Haut. Erlaube, daß wir den Missethäter an einen Thürpfosten aufhängen wie einen Fuchs oder Wolf, als abschreckendes Beispiel für die Andern!“

Betroffen blieb des Herzogs Blick auf dem Kleinod haften. Es war ein mit Perlen besäetes Kreuz, darauf das Wappen der Gonzaga mit dem kastilischen Löwen eingegraben war. Das Kreuz kannte er – und er wußte auch, wie es in den Besitz des Hirtenknaben gelangt war. Seine Stirn furchte sich, ein Blitz flammte in seinem Auge auf.

„Blandina’s Mörder – und jetzt der meine!“ murmelte er vor sich hin.

Dann, als hätte ihn dies Kleinod noch daran erinnert, daß dieser Mörder es war, der damals am Felsenquell seiner Blandina das Leben rettete, fügte er mit weicherer Stimme hinzu:

„Der Unselige!“

Und er befahl, daß man den Schwerverwundeten herauf trage in die Vorhalle. –

Als Nino aus seiner Betäubung erwachte, lag er auf einem Feldbette. Fragend flog sein gebrochener Blick zu dem Mönch, der zu Häupten seines Lagers saß und die Gebete der Sterbenden murmelte. Langsam wandte er sich zu ihm und leise, mit schon halb erstickter Stimme drang es aus seinem Munde:

„Bete für mich zu Schwester Speranza im Himmel! ... flehe von ihr Vergebung für meine Sünden!“ …

War es schon der Himmel, der sich ihm eröffnete? War es ein Gesicht des Paradieses, das seine sterbende Seele zu trösten kam? War es ein seliger Engel, der zu ihm herunterstieg, umflossen von leuchtendem Heiligenschein? … Der schwere Vorhang, der zu den innern Gemächern führte, theilte sich, und vor ihm stand Speranza – nicht aber, wie er sie im einsamen Kloster und am rauschenden Waldbach gekannt, in grauer Nonnenkutte und mit der engen Haube über der Stirn, nein! wie eine Königin erschien sie, im schimmernden Fürstengewande, mit funkelndem Diadem im langwallenden Haar. Wie eine Königin? – und wirre Erinnerungen tauchten plötzlich in des Sterbendem bangem Geiste auf. So hatte er sie schon gesehen – auf großem, freiem Platze – aus einer Sänfte stieg sie heraus – die Ritter verbeugten sich vor ihr – o Erinnerung voller Schrecken und herzbeklemmender Qual! – Aber Erbarmen und vergebende Liebe auf dem Antlitz neigte sich jetzt Speranza zu ihm, und mitleidsvoll erfaßte sie seine erkaltende Hand, und leise flüsterte sie:

„Nino, armes Kind!“

Mit aufgerissenen Augen starrte er das wunderbare Himmelsgesicht an.

„Speranza!“ sagte er, „kannst Du vergeben?“

Da fiel sein Auge auf den Herzog, und mit wildem Aufschrei: „Der Wolf!“ – wollte er aufspringen von seinem Lager; doch in des Mönches Arm fiel er zurück – eine Leiche.

„Armes, armes Kind!“ weinte leise über den Todten gebeugt die Fürstin; „seiner mit dem Tode ringenden Tochter konnte der schwergekränkte Vater vergeben – Du aber konntest nicht verzeihn!“

Und eine Thräne fiel auf Nino’s Stirn.

Da legte Gonzaga Speranza’s Kreuz auf des Todten Brust:

„Die Verzeihung kennt, wer glücklich geliebt! Unglückliche Liebe aber verzeiht nimmermehr!“




Blätter und Blüthen.

Dr. med. Karl Theodor, Herzog in Bayern. (Mit Portrait S. 53.) Wer im letzten Frühjahr in der sonnigen Heilstätte Meran den Weg an der schmucken Villa Bavaria vorüber nahm, konnte vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag zahlreiche Personen, reich und arm, jung und alt, in modischem Gewand und in bäuerlicher Tracht, geduldig im Garten und im Vorzimmer warten sehen. Sie alle erhofften Hilfe und Heilung von dem fürstlichen Arzte, dessen Name einen hellen Klang in den Bergen hat. Und von Allen, die zu ihm wallfahrten, vom höchsten Alpenhof und vom fernsten Dorfe, werden nur Wenige in ihrer Zuversicht betrogen. Denn Herzog Karl Theodor hat einen sicheren Blick und eine glückliche Hand, und er liegt seinem ärztlichen Berufe mit jener Pflichttreue ob, welche die Gewissenssache von der Liebhaberei unterscheidet.

Der Keim dieser segensreichen Thätigkeit ist kein anderer als das sittliche Gebot: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“

Prinz Karl Theodor, Herzog in Bayern, war ursprünglich für den militärischen Beruf bestimmt, in welchem er heute den Rang eines Generals der Kavallerie einnimmt. Am 9. August 1839 zu Possenhofen am Starnberger See als zweiter Sohn des Herzogs Maximilian und der Herzogin Luise geboren, wandte er sich nach dem Feldzuge von 1866, an welchem er ehrenvollen Antheil nahm, den Wissenschaften zu. Von ausgezeichneten Lehrern wie Johannes Huber, Windscheid, Hölzl wurde er in die Philosophie, das Staatsrecht, die Geschichte eingeführt, seine Neigung aber gehörte der Medicin, für deren Ausübung er sich mit rastlosem Eifer vorbereitete, als der Krieg gegen Frankreich ihn zur Erfüllung patriotischer Pflichten auf das Schlachtfeld rief. Mit Begeisterung nahm Herzog Karl Theodor an der nationalen Erhebung des deutschen Volkes theil. Nach dem Friedensschlusse kehrte er in die Hallen der Wissenschaft zurück.

Er setzte seine Studien an der heimischen Universität mit solchem Eifer und Erfolg fort, daß er anläßlich der Jubelfeier der Münchener Hochschule zum Ehrenmitglied der Universität und Doktor der Medicin

ernannt wurde. Doch er wollte die Medicin nicht nur als Wissenschaft

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