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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 4.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 25 Pfennig.



Herzenskrisen.

Roman von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)

Lucie eilte die breite Treppe des Meerfeldt’schen Hauses hinan, ohne von Mademoiselle angehalten zu werden, und trat mit einem erlösenden Aufathmen in den Salon. Von der Chaiselongue, welche man mit dem Kopfende zu einem der Fenster geschoben hatte, streckten sich ihr zwei Hände entgegen.

„Wie liebenswürdig von Dir, daß Du kommst!“ sagte eine matte Stimme, „ich habe mich schon halb verdreht gelesen, um meine Gedanken los zu werden.“ Und als Lucie die Hände ergriffen hatte, fuhr Hortense fort: „Die Nacht, Lucie, die schreckliche Nacht! Es war so dunkel um mich und in mir; ich hatte eine so entsetzliche Angst vor dem Weiterleben; ich weiß nicht, was ich Alles gesagt und gethan. Dann haben sie Deinen Bräutigam geholt, und ich dachte an Dich und hatte Sehnsucht nach Dir. Hat man es Dir gesagt? Bleibst Du ein wenig hier? Gern?“ Sie sagte dies Alles mit unbeschreiblicher Anmuth. „Komm, setze Dich zu mir, Minna bringt Dir gleich eine Erfrischung. Magst Du Eis? Oder eine Tasse Chokolade? Erzähle mir etwas, Lucie!“

Das junge Mädchen hatte den Hut abgelegt und saß neben dem Lager der schönen Frau in einem niedrigen Fauteuil, so daß sie ihr in das Gesicht blicken konnte. Nun zog sie eine Handarbeit hervor.

„So, Hortense, was soll ich Dir erzählen?“

„Von Dir, von Dir, Lucie; es wird mir wie ein Märchen klingen, wenn etwas von Glück darin vorkommt. Aber bitte, thue die Häkelei weg, ich kann dieses Gehaste mit den Fingern nicht sehen. Man kann doch unmöglich ganz bei dem Gespräche bleiben, wenn man solche Basteleien in der Hand hält.“

Lucie machte ein etwas verwundertes Gesicht; sie kannte das so gar nicht anders, legte aber gehorsam die Arbeit in das Täschchen zurück und lehnte sich behaglich in den Fauteuil.

„Ich glaube, Du hast Recht,“ sagte sie, und ihre Augen flogen durch das Zimmer und blieben an Hortense hängen, an dem weißen Kaschmirnégligé mit türkischer Borte besetzt und an dem Palmenblattfächer, den sie in der Hand hielt. „Was soll ich Dir erzählen?“ fragte sie noch einmal.

„Von Dir und Deinem Bräutigam. Ich möchte wissen, ob es wirklich ein Glück giebt? Du liebst ihn natürlich sehr?“

Lucie sah sie überrascht an.

„Ja freilich!“ sagte sie komisch hastig. Es klang fast wie Entrüstung.

„Verzeihe, es war eine eigenthümliche Frage! Ich denke nämlich, man kann sich das einbilden. Mir ist es so ergangen, Lucie. Ich bin – und das ist vielleicht mein einziger Vorzug – eine rücksichtslos ehrliche Natur, und trotz alledem log ich mir und ihm und Anderen vor, ich liebte ihn, meinen verstorbenen Mann nämlich; und ward doch nachher eine Wittwe ohne innere Trauer. Da erst merkte ich, daß ich mich getäuscht hatte, daß es nur das Gefühl von Dankbarkeit war, an seiner Seite eine Heimath gefunden zu haben. – Ich sagte Dir schon, ich kam gerade aus der Pension, natürlich in mein Vaterhaus – wenn man die ewig wechselnden Orte und Wohnungen, in denen mein Vater lebte, so ehrenvoll bezeichnen darf. Die Bertin, die, so lange ich in Dresden weilte, ihre Heimath besucht hatte, war vor mir gekommen und hatte mir ein Zimmerchen eingerichtet. Ich freute

Dr. med. Karl Theodor, Herzog in Bayern.
Nach einer Photographie von H. v. Perckhammer in Meran.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_053.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2024)