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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Julie hat sie beim Auskleiden noch nie so geduldig, aber auch noch nie so gleichgültig und still gefunden.

Sie ist heut wahrhaftig wie ausgewechselt – denkt die Jungfer – das wahre Gotteslamm! Ob da etwa der Maler dahintersteckt?

„Ein recht netter Mensch,“ fängt sie an, während sie Lucie kämmt, „dieser Diener von Herrn Schaumlöffel … Und was Ihnen der Alles zu erzählen wußte!“ (Die Dunby’s hatten eine Deutschamerikanerin für die Reise mitgenommen.) „Was so ein Maler aber auch belagert wird!“

„Wenn Einer so berühmt ist wie Herr Schaumlöffel, reißt man sich selbstverständlich um seine Bilder!“ sagt Lucie, die nicht ohne eine gewisse Genugthuung Schaumlöffel preisen hört.

„Ach, gnädiges Fräulein – nicht bloß von Leuten, die Bilder kaufen! Da hätten Sie den jungen Menschen nur hören sollen! Sein Herr wird Ihnen von Frauen doch gar zu sehr verwöhnt! Man sollte es gar nicht denken, wenn man ihn so sieht … aber eine wahre Belagerung!“ (Fritz hatte, auch einem seiner Talente nachgebend, seines Herrn kleine Abenteuer in wahrem Jägerlatein vorgetragen und dann den ganzen übrigen Tag beim Kitten des Pfirsichzweigs vor sich hingelacht über die Verwirrung, die er damit wahrscheinlich anrichtete.) „Und er – ich meine Herr Schaumlöffel – immer ganz kalt … kalt wie Eis. Noch nicht die Rechte, wahrscheinlich! Nichts rührt ihn! Keine Pantoffelstickerei, keine Theewärmer oder Schlummerpolster – nichts! Es muß ihm ja auch wohl zuwider werden, wenn sich ihm Alles so zu Füßen wirft … bis einmal die Rechte kommt, natürlich!“

„Erzählen Sie nur der Mama nicht erst die dummen Geschichten!“

„Ach werd’ ich! Da kennen mich gnädig Fräulein aber schlecht!“

„Der alberne Mensch hat Ihnen etwas weisgemacht. Wenn sein Herr das wüßte, er schickte ihn fort! … Das Uebrige besorge ich selbst. Gute Nacht!“

„Wohl zu schlafen, gnädiges Fräulein!“ sagt Julie laut und denkt für sich: Also so steht’s! Hm – hm! Nun, mir könnte er nicht gefallen – bis auf die Augen, heißt das … Also so steht’s!

Lucie glüht vor Aufregung. Daß ein Mann von allen andern Frauen verwöhnt und angebetet wird, schadet ihm natürlich in der Schätzung derjenigen nicht, welche angefangen hat, sich für ihn zu interessiren.

„Also weil ihm Alles zu Füßen liegt, als ob er ein Prinz wäre – darum ist man so von oben herunter abgekanzelt worden! Darum muß man hören, daß man zu nichts tauge, nicht einmal einen Mann glücklich zu machen!“

Unter solchen Gedanken zieht Lucie ihr weißes Nachtkleid über und wirft sich in einen niedrigen Lehnstuhl. Die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen, zwei winzige Füßchen, auf die sie ein Bischen und Papa sehr eitel ist, weit ausgestreckt und nachlässig gekreuzt, sitzt sie tief nachdenklich da.

Das wäre gerade ein Mann, um eine Frau recht zu tyrannisiren! Nein, ehe ich mich von einem Manne tyrannisiren lasse, werde ich eine alte Jungfer! Sich verheirathen und dann nichts sein, als so ein Gegenstand, auf den ein einfältiger Mann ein Recht hat! Wenn man gewöhnt ist, seinen eignen Willen zu haben! … Wenn ich einmal heirathe, werde ich sehr vorsichtig sein. Dann mache ich mir aus, über mein Leben ganz allein zu bestimmen … auszugeben, was ich will – mich zu kleiden, wie ich will – und wenn ich nur weiße Pekingkleider anziehen und nur Weiße Hüte mit weißen Vögeln aufsetzen wollte! – Ganz wie ich will! Ausgehen, ohne gefragt zu werden, wohin! Ueberhaupt Alles, was ich will! Mich würde er nicht tyrannisiren, dieser Herr Schaumlöffel! … Da ist Papa anders! Der liebe alte Papa! Manchmal freilich ein Bischen zu … Er kann doch bei andern Menschen herzhaft seinen Willen durchsetzen, warum er mir nur immer nachgiebt! Ach – mein langweiliges Leben! Was habe ich eigentlich auf der Welt? Anzüge ausdenken und dann anprobiren, mich zu langweiligen Mahlzeiten niedersetzen und nachher manchmal von Mama gezankt werden … Etwas malen! … natürlich nur zum „angenehmen Zeitvertreib“! … Ob es überhaupt Frauen giebt, denen dieser Schaumlöffel etwas zutraut? Ich möchte nur wissen, wie er sich die Frau eigentlich vorstellt, die einen Mann glücklich macht!

Eine Weile, nachdem Lucie sich zurückgezogen, sitzen beide Eltern schweigend am offnen Fenster einander gegenüber.

„Recht schwüler Abend,“ sagt endlich Mr. Dunby, langsam eine Rauchwolke aus seiner kurzen Pfeife ziehend. Seine Gattin erlaubte ihm nur ausnahmsweise, in ihrer Gegenwart zu rauchen. „Ich dachte, das Wetter würde heraufkommen, aber der Himmel hat sich nur bewölkt. Recht schwül, nicht wahr?“

„Ich bitte Dich, Mr. Dunby, wie kannst Du jetzt vom Wetter reden! Du denkst ja gar nicht ans Wetter!“

Selbstverständlich haben beide Eltern nur einen Gedanken: Lucie.

Er seufzt tief.

„Und so mit einem Male wie ausgewechselt, das arme Kind! Meinst Du, daß er sie heut früh beleidigt hat?“

Er weiß, daß er keinen Namen zu nennen braucht.

„Wer weiß, was er ihr in den Kopf gesetzt hat? Diese unglückselige Reise!“

„Glaubst Du, Karoline, daß es mit ihrer Passion fürs Malen zusammenhängt?“

„Ach – Malen! Ich glaube, daß sie auf dem besten Wege ist, in eine Passion für den Maler zu fallen!“

Er schüttelt den Kopf. „Ich bitte Dich! Lucie, ein halbes Kind!“

„Dieses ‚halbe Kind’ wird Dich recht bald in Erstaunen setzen! Das halbe Kind ist von der Art, die sich ins Wasser stürzt, zum Fenster hinausspringt oder nach Gift greift, wenn man ihr nicht den Willen thut! Aber das kommt davon, weil Du sie unsinnig verwöhnt hast, Mr. Dunby!“

„Sie hat Schaumlöffel gestern zum ersten Mal gesehen, heut gar nicht viel mit ihm geredet … sie war außergewöhnlich still …“

„Gieb bei ihr nichts auf die Außenseite! Je ruhiger von außen, je stärker brennt’s inwendig.“

Es läuft dem Amerikaner eiskalt über den Rücken.

„Wahrscheinlich,“ sagt er, „hat Schaumlöffel sich in sie verliebt, und sie merkt es.“

„Gefallen wird sie ihm schon, aber das bedeutet ja noch nichts bei einem Künstler. Auf diese Menschen ist eben kein Verlaß!“

„Nein, Karoline, in Schaumlöffel irrst Du Dich! Mit dem läßt sich schon reden. Das ist Dir ein ganz ausgezeichneter Kopf und voll von gesunden Kenntnissen.“

„Das eben beunruhigt mich. Man wird aus ihm nicht klug.“

„Er hat mir heut wieder Pläne entwickelt …“

„Warum spricht er nicht von seinen Bildern? Ein Künstler, welcher weiß: da sitzt ein reicher Amerikaner neben mir, dem gefallen meine Bilder – er will auch eins oder zwei gemalt haben – nun, der greift doch zu und macht die Sache endlich sicher, wenn’s ein richtiger Maler ist! Zwanzigtausend Mark sind für den kein Pappenstiel. Sieh ihn Dir nur an!“

„Die Vielseitigkeit spricht doch für ihn …“

„Das hat Dir Lucie weisgemacht. Und wenn er nun auch so vielseitig in Bezug auf Frauen wäre? Setzt dem Mädchen erst etwas in den Kopf! Romantisch ist sie – die Malerei ihr Steckenpferd … sie fängt Feuer und dann er – holla!“

„Glaubst Du wahrhaftig, daß er sie ernsthaft interessirt? Ich fand sie gestern freundlicher – heut sogar manchmal gereizt, wenn sie mit ihm sprach …“

„Selbstverständlich. So stolz ist sie doch auch, um sich nicht einem Manne zu Füßen zu werfen! Eine Amerikanerin!“

Mr. Dunby läßt nur drei kleine Ranchwölkchen schnell hinter einander aufsteigen und sagt nichts.

„Weißt Du, was ich thun werde?“ fängt er nach einer Weile an.

„Nein, Mr. Dunby! Wie soll ich Deine Gedanken errathen?“

„Ich werde morgen früh offen mit ihm reden …“

„Nimm Dich in Acht, daß er nicht etwa denkt, wir wüßten nicht, was wir mit Lucie anfangen sollen, und trügen sie ihm auf einem Präsentirteller an!“

„Ich bitte Dich, Karoline! Lucie ist siebzehn Jahr, hübsch und unverdorben und unser einziges Kind!“

„Diese Künstler von Europa, mein lieber Mr. Dunby, haben große Rosinen im Kopfe, von denen man sich bei uns gar keine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_854.jpg&oldid=- (Version vom 8.6.2023)