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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

„Sie wollen mir keinen Unterricht geben! – Sagen Sie es doch gleich heraus!“ ruft Lucie nun wirklich verletzt. „Wenn es Ihnen so unangenehm ist, so werde ich mich nicht aufdringen. Sie brauchen sich deßhalb wahrlich nicht herabzusetzen!“

Lucie hat dabei eine Thräne im Auge; sie sieht ja ihren Ruhmestempel versinken.

„Wünschen Sie es denn wirklich so sehr?“ fragt der erstaunte Oskar, der von der Verwechslung trotzdem keine Ahnung hat.

„Ich wünsche fast nichts so sehr!“ sagt Lucie mit einem Blick, der Oskar gar keinen Zweifel läßt, und dabei reicht sie ihm mit rührender Vertraulichkeit wieder ihre schmalen Händchen entgegen.

Er nimmt sie in die seinen und hält sie da einen Augenblick. Der Athem steht ihm still; ein sonderbares Gefühl ergreift ihn. Es ist ihm, als müsse er die kleine Hand an seine Lippen pressen.

Nein, er darf von einer augenblicklichen Erregung dieses naiven, warmherzigen Geschöpfs keinen Vortheil ziehen! Er hat die Kraft, sich zu fassen und sie mit leidlicher Ruhe zum Sitzen zu nöthigen. Sie läßt sich auf dem kleinen, von Palmen überragten Divan nieder. Er nimmt vor ihr auf einem niedern Tabouret Platz, die Mappe, die er ihr abgenommen, auf den Knieen haltend, ohne sie zu öffnen.

„Sie haben sich in Amerika also schon mit Malen abgegeben? Ein ganz artiger Zeitvertreib für eine junge Dame.“

„Ein artiger Zeitvertreib,“ spottet sie ihm etwas verletzt nach, „wenn man entschlossen ist, sich ganz der Kunst zu widmen!“

„Ist das auch der Wunsch Ihrer Eltern?“

„Natürlich nicht. Sie würden ebenfalls vorziehen, daß ich das Malen nur als angenehmen Zeitvertreib ansähe.“

„Trotzdem wollen Sie Ihren Entschluß ausführen?“

„Haben Sie nie etwas Verbotenes gethan?“ fragt sie, ihn scharf fixirend.

„O, ich … das ist etwas ganz Anderes!“

„Natürlich! Ich habe diese Antwort erwartet. Deutsche Männer denken ja, Frauen seien nur erschaffen, damit man sich in sie verliebt.“

Betroffen sieht Oskar sie an. Er hat auch in Amerika so wenig Verkehr mit jungen Mädchen gehabt, daß ihm der ungenirte Ton auffällt, in dem sie von solchen Dingen spricht.

„Verstehen Sie mich recht,“ sagt er mit leiser Verstimmung, die ihr nicht entgeht, „der Mann – das werden Sie mir zugeben – muß einem bestimmten Beruf nachgehen. Daß er diesen Beruf nach seiner Neigung und seinen Fähigkeiten wählt, selbst gegen den Willen seiner Eltern, ist natürlich. Für den Mann ist der Beruf, wenn er ihm wirklich anhängt, wie eine Art Religion; er muß ihm Alles opfern: Anerkennung, Bequemlichkeit, Wohlleben; er muß zum Märtyrer an ihm werden können!“ Oskar’s Augen leuchten.

„Die Frau nicht?“

„Nur selten. Da, wo die Naturanlage ein solches Opfer bei der Frau auch rechtfertigt.“

„Und Sie,“ sprach Lucie, während sie einen Blick nach der Mappe warf, „ohne nur von meinen ‚Naturanlagen‘ Kenntniß genommen zu haben, sind überzeugt, daß mir diese … Rechtfertigung abgeht.“

„Mein Fräulein!“

„Reden Sie nur! Ich sehe Ihnen ohnedies an, was Sie denken …“

„Ich meine, daß, wenn ein solches Opfer kein Verlornes sein soll, dazu mehr gehört als Talent – vor allem ein strenger Sinn, Selbstverleugnung! Ja, ich möchte sagen, eine starke Leidenschaft, die den Beruf auch um seiner selbst willen und nicht um des Erfolgs willen liebt.“

„Und dieser … starken Leidenschaft halten Sie mich nicht für fähig?“

„Kaum,“ sagt Oskar aufrichtig.

„Wollen Sie mir wenigstens erklären,“ Lucie’s Stimme bebt, „weßhalb Sie diese wenig vortheilhafte Meinung von mir gefaßt haben?“

Er schweigt.

„Ich denke doch, daß ich ein Recht habe, diese Frage zu stellen …“

Lucie’s Augen funkeln im Zorn; er hat sie beleidigt. „Sprechen Sie nur aus – ich vertrage Wahrheit!“

„Gerade an die glaubte ich Sie nicht gewöhnt.“

„Ich will sie hören …“

„Gut, wenn Sie befehlen. Ich meine, die ganze Art Ihres Auftretens verräth eine stärkere Vorliebe für den äußern Erfolg, als sie sich mit der echten Liebe für einen Beruf verträgt …“

Ihr Anzug! Sie glüht vor verlegener Scham.

„Sie halten mich für eitel, für kokett?“ Die Stimme klingt etwas weniger selbstbewußt.

Er zögert.

„O, bitte, vollenden Sie! Es scheint, für Zeichenstunden bin ich Ihnen zu gering – (von Neuem ereifert sie sich bei seinem ernsten Blick) – Sie ziehen es vor, mir eine andere Lektion zu geben … Ja, sprechen Sie es nur gleich aus, daß ich Ihnen zu nichts tauglich scheine, als einen einfältigen Mann glücklich zu machen – mit einem Wort, zu nichts gut, als zum Heirathen!“

„Ich glaube,“ sagt er, den ihre Erregung immer ruhiger macht, „daß es eben so verdienstlich ist, Andere glücklich zu machen, wie ein gutes Bild zu malen – vielleicht ist es auch eben so schwer, denn es erfordert eben so viel Selbstverleugnung.“

Glaubte er denn, sie ungestraft beleidigen zu können, weil er der große Künstler war?

„Es giebt Männer,“ ruft sie, in ihrer Erregung kaum wissend, was sie sagt, „die mich für sehr fähig hielten, sie glücklich zu machen, was Sie vielleicht auch bezweifeln? Wie diese Männer mich langweilten, wenn sie mir immer dasselbe vorsagten – wie elend ich mich dabei fühlte …“

Er sieht sie theilnahmsvoll an – er begreift das.

„Sie aber,“ fährt sie fort, „Sie dachten: da ist auch so ein unbedeutendes, eitles Ding, das glücklich ist, weil es viel Geld zum Fenster hinauswerfen kann, um sich zu putzen!“

„Nein – ich glaube Ihnen gern, daß Ueberfluß manchmal recht schwer zu tragen ist!“

„Aber das Glück, das Arbeit gewährt, das wollen Sie mir absprechen; selbst einen Andern glücklich zu machen, trauen Sie mir nicht zu!“

Ist er nicht doch zu streng mit ihr gewesen? Er greift nach der Mappe, die er neben sich gestellt, um sie zu öffnen.

„Nein, lassen Sie!“ ruft sie eifrig. „Die Lektion hat genügt. Ich bin nicht im Stande noch mehr zu hören …“

Und als ob sie fürchte, er werde die Mappe doch noch öffnen, hält sie mit ihren Händen die seinen fest.

Wieder empfindet er diese eigenthümliche Aufregung. Er sieht sie an. Es spiegelt sich ein Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit, etwas weiblich Demüthiges in ihrem lieblichen Gesichtchen.

„Sie zürnen mir?“

Lucie schüttelt den Kopf, blickt verwirrt nieder, will etwas erwidern und bringt keine Silbe hervor. Der Ruhmestempel ist versunken, aber daran denkt sie nicht einmal. Er hat ihr deutlich zu verstehen gegeben, daß sie nichts sei, als ein eitles, kindisches Ding, selbst nicht glücklich, und nicht einmal fähig, einen Mann glücklich zu machen. Ein Gefühl, wie sie es nie gekannt, bewegt sie … Plötzlich schlägt sie die Hände vors Gesicht. Ein Paar Thränen werden zwischen den Fingern sichtbar.

„Um Gotteswillen – Sie weinen!“

„O nein!“ ruft sie schnell; wie hat sie sich nur hinreißen lassen, ihm ihre Schwäche zu zeigen! „Daß Sie mir keine Stunden geben wollen, hat mich natürlich gekränkt. Aber ich finde schon einen andern Lehrer. Es giebt ja genug Künstler in München,“ sagt sie möglichst ruhig. „Uebrigens,“ fügt sie hinzu, „Papa und Mama warten in der alten Pinakothek. Ist das weit?“

„Kaum zehn Minuten. Ich darf doch …“

„Sie werden mich natürlich nicht begleiten wollen, meines Anzugs wegen …“

„Wohin Sie nur wollen!“ ruft Oskar fast leidenschaftlich.

Sie bemerkt es nicht; sie setzt ihren Hut auf und findet nun auch, daß er sich für den Besuch einer Bildergalerie nicht recht eigne.

„Was für ein sonderbares Mädchen! Was für ein sonderbares Mädchen!“ muß Oskar immerfort bei sich wiederholen mit einem unbestimmten Empfinden, daß diese Worte ein süßes Räthsel enthielten, dessen Lösung ihn von nun an sehr viel beschäftigen werde. Als Lucie ihn bittet, der Jungfer ihre Mappe zu geben,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_842.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2023)