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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

eben wieder diese „schändliche“ Komödie ausgeheckt hatte. Die Sache schien ihm völlig unbegreiflich.

„Das Hauptverdienst bei der ganzen Geschichte hat eigentlich Michael,“ fuhr der junge Künstler lachend fort. „Er ist mir ein unschätzbares Modell gewesen. Allerdings habe ich Mühe und Noth gehabt, ihn in die rechte Stimmung zu bringen; aber einmal gelang es mir doch, ihn so gründlich zu ärgern, daß er losbrach in voller Wuth; da packte ich den Ausdruck und hielt ihn fest. Aber ich warte noch immer auf Dein Urtheil über die Farbenkleckserei.“

In dem Gesichte des Professors zuckte es merkwürdig; er hatte augenscheinlich die größte Lust, wieder zu seinem Grolle und seiner Erbitterung zurückzukehren, aber es ging nicht, und so sagte er denn endlich in halb versöhnlichem Tone: „Aber in Zukunft malst Du keine Altarbilder mehr, das verbitte ich mir!“

„Nein, Papa, zunächst male ich die Naturwissenschaft in Lebensgröße in der Person unseres berühmten Forschers. Wann willst Du mir zu einem Portrait sitzen?“

„Laß mich in Ruhe!“ brummte Wehlau.

„Das ist nur eine halbe Zusage, ich verlange eine ganze. Wollen wir morgen mit den Sitzungen beginnen?“

„In des Kuckucks Namen, ja – wenn es durchaus nicht anders geht.“

„Viktoria!“ rief Hans und umarmte stürmisch den Vater; aber der Professor sträubte sich gar nicht dagegen, im Gegentheil, er hielt ihn fest, und in die hellen, sonnigen Augen seines Sohnes blickend, sagte er mit aufbrechender Herzlichkeit:

„Junge, zum Gelehrten taugst Du nicht, das habe ich nun nachgerade eingesehen; aber vielleicht wird doch noch etwas Vernünftiges aus Dir, trotz alledem!“


In Sankt Michael wurden die Vorbereitungen zu dem morgen stattfindenden Michaelsfeste getroffen, welches diesmal durch die Einweihung des neuen Altarbildes noch einen besonderen Glanz erhalten sollte. Die Wallfahrtskirche prangte schon im vollen Festschmucke, und in dem kleinen, sonst so stillen Alpendorfe herrschte gleichfalls ein freudiges, festliches Leben. Es galt ja, die Tausende von Wallfahrern zu empfangen, die morgen aus allen Theilen des Gebirges herbeiströmen würden, um in dem alten Heiligthume des Erzengels ihre Andacht zu verrichten; man war am Vorabende des Festes noch nicht mit all den Zurüstungen fertig geworden.

Dieser Vorabend hatte auch dem Pfarrer eine ebenso unerwartete wie freudige Ueberraschuug gebracht. Sein einstiger Schüler, Hauptmann Rodenberg, war ganz plötzlich, ohne vorherige Anmeldung eingetroffen, und die Freude des Greises darüber hatte etwas Rührendes.

„Das war eine Ueberraschung!“ sagte er, die Hand des Ankömmlings noch immer in der seinigen haltend. „Ich hätte mir eher alles Andere träumen lassen, als Dich um diese Zeit hier zu sehen.“

„Ich habe auch nur einen einzigen Tag zur Verfügung,“ versetzte Michael. „Ich muß übermorgen wieder in M. sein, wohin ich meinen Vorgesetzten, den Oberst Fernau, in einer dienstlichen Angelegenheit begleitet habe. Es gelang mir, noch drei Tage Urlaub zu erhalten, und da machte ich schleunigst den kleinen Umweg, um Sie wenigstens zu sehen, Hochwürden.“

Valentin schüttelte lächelnd den Kopf.

„Das nennst Du einen kleinen Umweg? Es ist fast noch eine Tagereise von M. bis hierher. Du mußt allein fünf Stunden durch das Gebirge fahren. Aber es freut mich doch, daß Dein alter Lehrer Dir noch so viel gilt. So habe ich wenigstens Dich am Michaelsfeste; denn meine leise Hoffnung, daß Hans kommen würde, hat sich nicht bestätigt.“

„Er wäre gern gekommen, aber er glaubte sein Fortbleiben dem Vater schuldig zu sein, der es schon schwer genug empfindet, daß der Name Hans Wehlau in eine so enge Verbindung mit einem Kirchenfeste gebracht wird. Sie wissen ja –“

„Ja, ich kenne die Stellung meines Bruders der Kirche gegenüber hinreichend,“ sagte Valentin mit einem halbunterdrückten Seufzer. „Dem Hans aber habe ich eine ernste Abbitte geleistet, als sein ,Sankt Michael’ hier eintraf. Ich hätte unserem Leichtfuß, unserem Uebermuth nie die Kraft und Tiefe für ein derartiges Werk zugetraut; ich erkannte ihn gar nicht wieder darin.“

„Sie haben ihm Alle Unrecht gethan, und am meisten der eigene Vater!“ fiel Michael mit voller Wärme ein. „Nur ich, der das Bild von der Skizze an entstehen und wachsen sah, wußte, was es versprach. Uebrigens hat es dem Hans Triumphe genug bereitet in den vier Wochen, wo es öffentlich ausgestellt war. Es wurde sofort zu einem Hauptanziehungspunkte für das Publikum und rief einen förmlichen Sturm der Bewunderung hervor; die Kritik lobte es mit einer seltenen Einmüthigkeit, und man hat das Möglichste gethan, seinen Schöpfer mit Schmeicheleien zu verwöhnen. Zum Glück ist er eine von den unverdorbenen Naturen, denen das nicht schadet und wohl auch in Zukunft nicht schaden wird. Das Gemälde ist bereits an Ort und Stelle?“

„Schon seit vorgestern. Es ist ein schöner und kostbarer Schmuck, den die Gräfin unserem Gotteshause zugewandt hat. Sie beabsichtigte, selbst der Einweihung beizuwohnen, und ist deßhalb eigens von Berkheim nach Schloß Steinrück gekommen.“

„Dann kommt sie also morgen hierher?“ fragte Michael mit einem plötzlichen Aufzucken.

„Nein, sie ist leider erkrankt. Das rauhe, stürmische Wetter des Reisetages scheint ihr eine Erkältung zugezogen zu habeu, jedenfalls ein ernsteres Unwohlsein, sie sandte mir deßhalb –“

Sie wurden unterbrochen, denn jetzt erschien der Meßner, äußerst eilfertig, äußerst geschäftig und mit einer Menge von Mittheilungen und Anfragen in Bezug auf das Fest. Hochwürden sollten überall selbst entscheiden, besichtigen, anordnen; es gab noch unendlich viel zu thun.

„Ich glaube, ich darf Sie jetzt nicht länger in Anspruch nehmen,“ sagte Rodenberg. „Der Herr Pfarrer scheint überall nothwendig und unentbehrlich zu sein. Ich gehe inzwischen nach der Kirche, um zu sehen, wie Sankt Michael sich in seiner jetzigen Umgebung ausnimmt. Hoffentlich haben wir am Abend einige ruhige Stunden für uns.“

„Ich fürchte, das wird kaum der Fall sein. Du weißt ja noch gar nicht – ich wollte es Dir schon vorhin sagen, aber –“

Der Pfarrer kam wieder nicht zu Ende mit seiner Mittheilung; denn jetzt trat die alte Kathrin ein, mit einem ganzen Arm voll Guirlanden von Tannenzweigen, und begehrte zu wissen, wo sie angebracht werden sollten; gleichzeitig erschien noch ein junger Bauernbursche mit einer anderen ebenso wichtigen Anfrage, und der Meßner stand wartend da. Valentin wußte nicht mehr, wo ihm der Kopf stand.

Michael verabschiedete sich und schlug den wohlbekannten Weg nach der Wallfahrtskirche ein. Es war im Anfange des Mai, und das Hochgebirge zeigte sich in der ganzen herben Schönheit der ersten Frühlingstage, die hier so spät einzogen.

Die Adlerwand stand noch eisumgürtet da, in blendender, krystallener Pracht; aber schon stürzten die Gletscherbäche, die der Sonnenstrahl dort oben entfesselt hatte, brausend und schäumend in die Thäler nieder, und die dunklen Tannenwälder, die sich tiefer unten an ihre Felsenbrust schmiegten, hatten die Schneelasten bereits abgeschüttelt. Auch von den Alpen und Matten, die Sankt Michael umgaben, war der Schnee hinweggeschmolzen: sie lachten im frischen, sonnigen Grün, und auch hier rieselten und rauschten von allen Höhen die Wasseradern, als sei die ganze Bergwelt lebendig geworden. Aber über Höhen und Thäler, über Matten und Wälder brauste der Frühlingssturm und brachte ihnen seinen wilden, verheißungsvollen Gruß, aus dem es wie Siegesjauchzen hervorklang.

Michael trat in die Kirche, die jetzt zur Abendstunde völlig leer war, aber sie trug schon ihr bescheidenes Festgewand. Hier oben in dieser einsamen Höhe gab es kein Frühlingslaub und keine duftende Blüthenpracht; nur das ernste dunkle Tannengrün umkränzte Pforten und Pfeiler, und kleine Sträußchen von Alpenblumen, den ersten, die sich auf den Matten hervorgewagt hatten, bildeten den einzigen Schmuck der Altäre. Dennoch war es so feierlich, so frühlingsduftig in dem weiten stillen Raume, den nur das goldene Licht der Abendsonne erfüllte. Das Gotteshaus mochte einen festlicheren Anblick bieten, wenn sich die andächtige Menge dort drängte; aber es war so viel schöner in der tiefen

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