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verschiedene: Die Gartenlaube (1886)

Anwesen verdanken alle ihre ausgezeichneten Vorzüge, die eingebildeten wie die wirklichen, der grimmigen Feindschaft ihrer Besitzer, welche diesmal nicht, wie es sonst wohl zu geschehen pflegt, die Feinde dazu getrieben hat, einander ruiniren zu wollen und dadurch sich selbst zu ruiniren, sondern dazu, es sich gegenseitig in allen Tugenden zuvorzuthun. Und dieser rühmliche Wettlauf ist wohl aus der Entstehung der Feindschaft zu erklären. Es war, um es nur gleich herauszusagen, in Haß umgeschlagene Liebe.

Er, der ziemlich passive Held dieser Geschichte, hieß Janos und war im Beginn seiner Laufbahn Utvaros (Hausknecht) in dem größten Mädchenerziehungs-Institute Szegedins; sie, die Heldin, hieß Terka und war Köchin in demselben Hanse. Er war ein so hübscher Bursche, wie man nur einen in den weiten Pußten Südungarns treffen kann; sein schlanker, geschmeidiger Wuchs, seine schwarzen Augen, feine krausen Haare, die kühne Nase und die rothen Lippen mit dem verwegen zugespitzten Schnurrbärtchen thaten es allen Mädchen an. Und tanzen konnte er! Kein besserer Csardastänzer war weit und breit zu finden. Nur arbeiten mochte er nicht gern; doch war ihm das nicht sehr zu verdenken; denn Lasten schleppen verdirbt den geraden Wuchs und Holzspalten schlanke Hände. Auch brauchte er sich nicht übermäßig anzustrengen. Das thut ein Szegediner Utvaros überhaupt selten und ein hübscher nun gar nicht! Wozu wären da die Mädchen auf der Welt, welche die schmucken Bursche so gern haben?

Seit Janos vollends bei der Terka in Gunst stand, war sein Los beneidenswerth; denn eine Köchin ist beinahe allmächtig in Szegedin. Vor ihr zittert selbst die Hausfrau, und der Herr hält sie mit Geschenken und Schmeicheleien bei guter Laune, damit sie ihm die Apfelkrapfen und Schinkenfleckerl und den Paprika zu seiner schmunzelnden Zufriedenheit bereite. Ob es aber ein unabänderliches Naturgesetz ist, daß alle Szegediner Köchinnen häßlich sein müssen, weiß ich nicht; Thatsache ist, daß ich nie eine hübsche gefunden habe. Vielleicht trägt der Umstand dazu bei, daß ein mehr oder minder ehrwürdiges Alter zur Bekleidung dieses Amtes erforderlich zu sein scheint, vielleicht mehr noch der, daß die Köchin sich kontraktlich ein- bis zweimal in der Woche berauschen und auch an den übrigen Tagen eine ziemlich große Menge Weines zu sich nehmen darf.

Da aber unsere Terka von diesem Vorrechte nur mäßigen Gebrauch machte, so waren ihre breiten Backen noch nicht gar zu blauroth geworden und ihre derbe Gestalt noch nicht allzu sehr aus einander gegangen. Auch hielt sie viel auf ihren Anzug, flocht ihr schwarzes, dickes, straffes Haar am Wirbel des Kopfes so fest in den üblichen Mongolenzopf und durchwand ihn Sonntags mit so breiten rothen Bändern, daß sie – mindestens in ihren eigenen Augen – eine gar nicht üble Person war. Sie hatte freilich schon das bedenkliche Alter von vierundzwanzig Jahren erreicht, ein Alter, in welchem in Szegedin die Mädchen mehr zur Köchin als zur Frau begehrt werden. Was that das aber, da sie und Janos sich dennoch ineinander verliebt hatten? Eigentlich hatte der Zeit nach Terka sich zuerst in den Janos verliebt. Er sah wirklich zu hübsch aus, wenn er ihr den großen Henkelkorb auf den Markt nachtrug und dazu einen Csardas pfiff oder ihr ein keckes Wort zuraunte. Terka hob dann noch einmal so stolz den Kopf, denn sie merkte wohl, wie die vierschrötigen walachischen Marktweiber hinter ihr und dem Janos die Köpfe zusammensteckten. Ja, sie konnten weit suchen, bis sie eine Köchin fanden, welche einen so stattlichen Utvaros hinter sich hatte wie die Terka!

Dem Janos aber schmeichelte die Vorliebe der gestrengen Köchin, die ihm durch die vier Jahre, welche sie vor ihm voraus hatte, noch besonders imponirte, und da die Eitelkeit viel mehr noch der Männer als der Frauen schwächste Seite ist, so eroberte Terka von dort aus sein Herz, wenn auch vorläufig ohne weitere Folgen; denn an Heirath dachte wohl sie, nicht aber er.

Nun war gerade in die Zeit, da die Beiden ziemlich stark in einander verliebt waren, der Karfreitag gefallen, der eine von den beiden Tagen, welchen die Szegediner durch gänzliche Enthaltung von aller Speise heiligen und welcher neben dem Weihnachts-Heiligabend dem Herrn Sarosdy, dem Institutsvater, wie ihn die Pensionärinnen unter sich nannten, stärkere und zahlreichere Seufzer erpreßte, als alle übrigen dreihundertdreiundsechzig Tage des Jahres zusammengenommen.

Am heurigen Karfreitag goß es zur Vollendung der Plage in solchen Strömen vom Himmel, daß die ungepflasterten Straßen sich im Nu in Sümpfe verwandelten und dem Herrn Sarosdy das einzige Mittel nahmen, den Tag zu kürzen: das Schlendern von einer Kirche zur andern. Das heißt, er hätte ja freilich mit seinen hohen Stulpstiefeln ungefährdet die Pilgerreise unternehmen können, wozu aber, da er genau wußte, daß von allen den hübschen Frauen und Mädchen, welche sonst die Kirchen bevölkern, heute auch nicht das kleinste Stirnlöckchen dort zu erblicken sein werde! Und da an diesem Tage jede Weinstube geschlossen, das Anrühren von Karten verboten war, da Madame, die Gattin und Institutsvorsteherin, heute den unschuldigsten Spaß mit den Pensionsfräulein durch strenges Stirnrunzeln bestrafte, da man nicht einmal ein Buch aufschlagen durfte – in welche Versuchung übrigens Herr Sarosdy seit seinen Studienjahren noch nie gerathen war – was sollte er Anderes thun, als seufzen? Und wer konnte es ihm verdenken, daß er mit lautem „Eljen Sarody néni!“ („Es lebe Tante Sarosdy [Scharoschdi]!“) das kleinste Institutsfräulein, die achtjährige serbische Katicza, bis über seinen grauen Kopf hob, als seine Gattin schon um drei Uhr Nachmittags die Behauptung aufstellte, die Sonne sei bereits untergegangen, und den Tisch decken ließ, welcher nun in der ganzen Länge des kleineren Schulsaals mit Kuchen, Kaffee, Fleisch und eingelegten Früchten besetzt wurde.

War nun seine Empfänglichkeit für solche Genüsse gesteigert, oder hatte Terka sich wirklich besondere Mühe gegeben; genug, Herr Sarosdy fand die Aprikosenkrapfen so vorzüglich, daß er die Köchin hereinrufen ließ und ihr eine launige Lobrede in sehr schlechtem Ungarisch hielt; denn Herr Sarosdy war wie viele Ungarn früher deutscher Abstammung gewesen, hatte „Gärtner“ geheißen und war erst, als die magyarische Abstammung Modesache wurde, zu dieser, seinem magyarischen Namen und seinem schlechten Ungarisch gekommen. Außer der Lobrede aber verehrte Herr Sarosdy der Terka noch einen ganzen Papiergulden, und die überglückliche Köchin trug das Geschenk gleich nächsten Tages den Weg, welchen alle Ersparnisse aller ungarischen Köchinnen gehen: „ins Terno“, die Lotterie, welche dreimal wöchentlich ihre Ziehungen hält. Sie setzte den Gulden auf die Nummer vierundvierzig, welche sie durch Addiren von ihrem Alter zu dem des Geliebten unter schwerem Kopfzerbrechen gefunden hatte. Zwar sah sie im Traume der nächsten drei Nächte jedesmal die Zahl fünfzig mit leuchtender Schrift auf dem Kuchenblech stehen und machte sich schwere Vorwürfe, daß sie ihr Glück nicht auf diese Ziffer gebaut hatte, welche das Alter ihres Gönners bezeichnete; aber diesmal wie immer trug die Liebe über die Pflicht der Dankbarkeit den Sieg davon; die Nummer vierundvierzig kam heraus und zwar mit dreihundert Gulden.

Dieser Erfolg machte die Terka närrisch, den Janos hingegen klug; er fühlte plötzlich, daß er ohne Terka nicht länger leben könne, und da Terka in Bezug auf Janos im Stillen schon lange zu dem gleichen Schluß gekommen war, so beschlossen die Beiden, schon am zweiten Pfingstfeiertage Hochzeit zu machen.

Der erste Pfingsttag war herangekommen; Janos und Terka kehrten aus der Kirche zurück, wo sie als Vorbereitung für ihre Hochzeit zusammen die Messe gehört hatten. Terka wollte den letzten Abend ihres Mädchenlebens bei ihrer alten Mutter verbringen, welche sie bei einer Bäuerin in Kost und Pflege gegeben hatte. Aber es war ein so schöner Nachmittag: die Sonne leuchtete, die Oleander vor den Häusern blühten, ein schier betäubender Duft voll Rosen und Nelken zog aus den ummauerten Hofgärten durch die Straßen, eine bunte Menge geputzter Menschen strömte aus den dunkeln Kirchen heraus in das Licht des Maitages, den großen Plätzen zu, von welchen her Geige und Cimbal zum Csardas lockten! In Terka’s Adern wallte das Blut; eine unbestimmte und furchtsame Sehnsucht glühte in ihr auf. Sie scheute zum ersten Mal das Alleinsein mit ihrem Geliebten und mochte ihn doch nicht lassen und ihr glühendes Herz in der dumpfen, dunkeln Stube der kranken Mutter abkühlen. So faßte sie Janos bei der Hand und zog ihn in das dichteste Gewimmel der Menschen hinein, die dem großen Marktplatz der oberen Stadt zudrängten. Janos, dem ziemlich gleichgültig zu Muth war, tanzte gern und folgte der Braut willig.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_706.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2017)