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runter? Da werden Sie ooch keene Lichter ausstecken.“ Und nun ging es an ein Zupfen und Zerren, Ziehen und Spannen, bis der Brave sich endlich befriedigt erklärte. Aber nun schnell! Das erste elektrische Signal ertönte schrill durch alle Räume; rasch wollten wir das Zimmer verlassen, aber ein energisches „Halt!“ scholl uns am Ausgang entgegen. Da stand zwar kein Erzengel Gabriel mit dem feurigen Schwert vor der Thür, aber an seiner Stelle ein wohlgenährter Mann, in der Linken einen offenen, mit rothem Puder gefüllten Cigarrenkasten, in der Rechten eine Hasenpfote. Ritsch, ratsch ging’s mit derselben in die Kiste und dann über unser Gesicht; „damit Sie nich das Lampenfieber bekommen,“ meinte der Herr mit der Hasenpfote vertraulich.

Nun waren wir ja endlich für unseren Beruf glücklich vorbereitet! Auf der Treppe wimmelte es von buntfarbigen Gestalten; Edelleute mit wehenden Mänteln, Pagen in enganschließenden Wämsern, Knappen mit klirrendem Schild, Kapuziner mit flatterndem Skapulier, Bauernmädchen mit bunten, weitschichtigen Röcken, Edeldamen mit rauschenden Schleppen, lockere Stadtmusikanten und ernsthafte Bürger, und dazwischen „wir Volk“: all dies drängte wie zum Jahrmarkt nach Plundersweilern hinunter zur Bühne. Dieselbe strahlte bereits in hellem Licht, denn das zweite Signal war soeben ertönt, und die Ouverture mußte sofort beginnen. Auf der Bühne und hinter den Koulissen herrschte noch lebhaftes Getümmel: ein Chor von Bürgermädchen stand eifrig plaudernd zusammen; einige „Ratten“, kleine vier- bis fünfjährige Mädchen, zeigten sich gegenseitig ihre neuesten, in der letzten Ballettstunde gelernten Pas; mehrere Kriegsknechte setzten die Tische und Stühle für ihr späteres Gelage zurecht und klapperten vernehmlich mit den, leider leeren, Humpen; Mönche, Edelfrauen, Ritter und Pagen drängten sich um die winzigen Ausschaulöcher im Vorhang. Rrrrr – das dritte Signal erklang, und zu gleicher Zeit setzte schmetternd das Orchester ein; auf der Bühne fügten sich die Gruppen zu den ersten Scenen zusammen; in fliegender Hast eilte der Direktor überall umher, hier selbst ordnend, dort befehlend, da wünschend und bittend, dann immer von Neuem prüfend, unermüdlich und rastlos in seinem schwierigen Amte. Noch ein letzter Blick – Alles in Ordnung! Es konnte losgehen! Gleich darauf rauschte auch der Vorhang in die Höhe, und der Chor der Bürger und Bürgerinnen, den Frühling begrüßend, erscholl.

In Erinnerung versunken.
Nach dem Oelgemälde von Fritz Strobentz.


Hinter und neben den Koulissen ging unterdessen das lebhafte Treiben weiter; immer andere Gestalten tauchten auf. Theaterarbeiter liefen eilends hin und her, die für den zweiten Akt bestimmten Koulissen wurden zurechtgestellt, und nun raschelte und flatterte es auch heran, wie eine weiße, duftige Woge: die ersten Ballett-Tänzerinnen erschienen und stellten sich hinter den Koulissen auf, immer wieder das Kleidchen zurechtzupfend und immer von Neuem prüfende Blicke auf die Kolleginnen werfend; die Solisten und Solistinnen wandelten auf und nieder, halblaut diesen und jenen Ton anschlagend oder sich noch einmal über diese und jene Scene, die sie mit einander zu spielen hatten, verständigend; die Garderobenmütter spähten umher, ob nicht noch im letzten Augenblick etwas an den Kleidungen ihrer Schutzbefohlenen zu ändern wäre, und die nie pausirenden Inspicienten eilten von der einen Seite der Bühne zur anderen.

„Wir Volk“ standen in unseres Nichts durchbohrendem Gefühle hinter den ersten Koulissen, von denen aus man die hohe Gestalt des Kaisers in seiner kleinen Loge erblicken konnte. „Lampenfieber“ hatten wir nicht, aber „Lampenhitze“, denn die kleinen Gasflammen, in deren unmittelbarer Nähe wir uns befanden, strömten eine afrikanische Wärme aus. Doch wir sollten bald in Bewegung kommen, unser Debüt stand bevor. „Wenn ich sage ‚raus!‘, gehen Sie auf die Bühne und räumen die Tische und Stühle fort; aber um Gotteswillen drehen Sie doch die Siegelringe um, nehmen Sie die Klemmer ab! Sie sind ja altes lothringisches Volk!“ lautete der Zuruf des Statistenführers. Und gleich hinterher erscholl sein: „Raus!“ und unmittelbar darauf: „Donnerwetter, die Klemmer ab!“ – Glühend vor schauspielerischem Thatendrang stürzten wir wie die Wölfe auf die Bühne, ergriffen mit nerviger Faust den nächstbesten Stuhl oder Tisch, so fest, als ob wir den schlimmsten Theaterbösewicht an der Kehle packten, und schleppten den Gegenstand unserer ersten künstlerischen Leistung hinter die Koulissen, um dann schnell von Neuem auf die Bühne eilen zu können. O trügerischer Wahn! „Hinter mit den Sachen!“ schrie uns einer der „Obertheaterarbeiter“ an, „vorwärts, nicht lange zögern!“ Und wir stolzen Kunstjünger mußten wie prosaische Lastträger keuchend und schwitzend die Tische und Stühle bis zum letzten Bühnenraum tragen. Als wir zurückkehrten, hatten natürlich Andere unsere Erfolge eingeheimst; das Publikum applaudirte, und der Vorhang rasselte herunter!

„Das ist das Los des Mimen auf der Erde,“ trösteten wir uns, und da unsere erste künstlerische Leistung immerhin eine Belohnung verdiente, der Intendant sie uns aber vielleicht doch nicht gewährt hätte, belästigten wir ihn nicht erst, sondern belohnten uns selbst durch einen kühlen Trunk der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1886). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1886, Seite 702. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1886)_702.jpg&oldid=- (Version vom 17.7.2021)